Ein historischer Reiseführer durch Innsbruck

Die Geschichte Innsbrucks

Warum diese Seite?

Ich lege in Innsbruck beinahe alle Strecken zu Fuß oder mit dem Rad zurück. Oft gönne ich mir den Luxus meinen Weg zur Arbeit von Amras im Osten Innsbrucks in die Höttinger Au im Westen durch das Zentrum, anstatt am kürzesten Weg über die Hauptverkehrsader, den Südring, zu gestalten. Ich fahre durch die Pradlerstraße mit ihren Häusern der Zeit der Jahrhundertwende, die Kohlstatt mit dem Kontrast zwischen Wirtschaftsuniversität und Jesuitenkirche und die morgendlich leere Altstadt mit den gotischen Häuserfronten und dem Goldenen Dachl. Bei besonders schönem Wetter halte ich am Marktplatz an, um ein Foto von den bunten Häusern der Mariahilfzeile zu machen. Obwohl ich den gleichen Ausblick schon unzählige Male hatte, genieße ich ihn noch immer. Auf meinen Joggingrunden laufe ich durch den Saggen, beneide die Bewohner der schönen Villen und ärgere mich darüber, dass das Panoramagebäude noch immer ungenutzt und leer steht. Als Besucher anderer Städte ärgere ich mich regelmäßig darüber, dass es kaum Reiseführer gibt, die es schaffen, dem überdurchschnittlich interessierten Reisenden Stadtteile, Gebäude und die Geschichte dahinter in einer zusammenhängenden und umfassenden Form näherzubringen. Die meisten Reiseführer sind unkritisch und oberflächlich gestaltet. Ein bisschen Klima, ein bisschen Geografie, ein bisschen Geschichte, das Ganze mit vielen, bunten Bildern aufpoliert, dazu fesche Infographiken, Bewertungen, Restauranttipps und Shoppingmöglichkeiten. Mag es bei Großstädten wie Rom oder Paris noch niveauvolle Kulturführer mit dem Charakter eines Travelguides geben, muss man sich bei mittelgroßen und kleineren Städten auf geschichtswissenschaftliche Fachliteratur und Architekturführer stürzen.

Dieser Stadtführer ist ein Versuch, sowohl Besuchern als auch Einheimischen die bekannten und weniger bekannten Sehenswürdigkeiten und die damit verbundene(n) Geschichte(n) näherzubringen. Innsbrucks ländlicher Teil spielt dabei ebenso Rolle wie Gebäude aus der Zwischenkriegszeit und die klassischen Highlights in der Altstadt. Ein Reiseführer ist kein Index, kein Adressbuch, in dem alle Gebäude einer Stadt aufgelistet werden. Beim Verfassen der Artikel war es mir wie bei der Auswahl der Sehenswürdigkeiten wichtig, tief genug zu gehen, um Interessierten einen guten Überblick über das Thema zu bieten, aber nicht so tief, dass eine wissenschaftliche Arbeit daraus wird. Auf meinen Spaziergängen und bei den Recherchen konnte ich viel für mich Neues über meine Heimatstadt erfahren. Ich hoffe der Leser hat ebenso viel Spaß und Freude bei der Lektüre und auf Erkundungstouren wie ich ihn beim Schreiben hatte.

Einleitende Worte

Einer meiner liebsten Welterklärer ist der Osteuropa-Spezialist Karl Schlögel. Sein wohl bekanntestes Werk ist das Buch Im Raume lesen wir die Zeit. Schlögel nimmt den Leser dabei mit auf eine Reise durch tatsächliche und imaginäre Räume, erklärt die Bedeutung von Landkarten und verknüpft verschiedene Disziplinen wie Architektur, Geografie und Geschichte. Mit seiner Art der urbanen Archäologie legt er dar, wie man die Entwicklung einer Stadt anhand ihres materiellen Erscheinungsbildes nachzeichnet. Kirchen, Einkaufszentren, Straßenzüge, Bahnhöfe, Schulen – kurzum – alles, was eine Stadt sichtbar ausmacht, gibt Auskunft über Herrschaftsverhältnisse und Alltagsleben vergangener Tage. Städte sind erlebbare Geschichte. Architektur, Bauweise, Material und Zweck von Gebäuden sind Hinweise auf politische, finanzielle und soziale Umstände, unter denen sie entstanden. Eine Stadt ist eine kleine Welt, ein Mikrokosmos, nicht aber ein von der jeweiligen Umwelt abgeschlossener Raum. Städte erzählen nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern zeigen kulturelle, politische und soziale Einflüsse verschiedener Epochen, die an sie herangetragen werden. Die Identität einer Stadt speist sich aus ihren Gebäuden, ihren Bürgern und den Geschichten, die über sie von den Bewohnern und Besuchern erzählt werden. Aus Rom wurde die Ewige Stadt, aus Paris die Stadt der Liebe und aus New York die Stadt, die niemals schläft. Natürlich sollte man nicht bei diesen Stereotypen stehenbleiben, will man diese Metropolen kennenlernen. Auch Innsbruck sammelte im Lauf der Zeit einiges an Erzählungen und Anekdoten. Je nachdem wer, wann und mit welchem Hintergrund über Innsbruck schrieb, lieferte eine andere Ansicht der Stadt und prägte damit auch ihre Identität.

Bei Zirl fährt man ins Inntal herab. Die Lage ist unbeschreiblich schön, und der hohe Sonnenduft machte sie ganz herrlich. Der Postillon eilte mehr, als ich wünschte: er hatte noch keine Messe gehört und wollte sie in Innsbruck, es war eben Marientag, um desto andächtiger zu sich nehmen. Nun rasselte es immer an dem Inn hinab, an der Martinswand vorbei, einer steil abgehenden ungeheuern Kalkwand. Zu dem Platze, wohin Kaiser Maximilian sich verstiegen haben soll, getraute ich mir wohl ohne Engel hin und her zu kommen, ob es gleich immer ein frevelhaftes Unternehmen wäre. Innsbruck liegt herrlich in einem breiten, reichen Tale zwischen hohen Felsen und Gebirgen. Erst wollte ich dableiben, aber es ließ mir keine Ruhe. Kurze Zeit ergetzte ich mich an dem Sohne des Wirts, einem leibhaftigen Söller. So begegnen mir nach und nach meine Menschen. Das Fest Mariä Geburt zu feiern, ist alles geputzt. Gesund und wohlhäbig, zu Scharen, wallfahrten sie nach Wilten, einem Andachtsorte, eine Viertelstunde von der Stadt gegen das Gebirge zu. Um zwei Uhr, als mein rollender Wagen das muntere bunte Gedränge teilte, war alles in frohem Zug und Gang.

Das notierte Johann Wolfgang Goethe 1786 am Brenner in sein Tagebuch, nachdem er am Weg Richtung Italien die Stadt passiert hatte. Der Dichterfürst war ein Vertreter der frühen Romantik und ein Kind der Zeit der Aufklärung. Die exotischen Alpenbewohner Tirols mit ihrem bäuerlichen Erscheinungsbild und ihre Bräuche sowie die wilde Bergwelt faszinierten ihn. Es waren Berichte von Schriftstellern wie Goethe, die den Grundstein für den Tourismus im Alpenraum legen sollten. Ohne die Pionierleistungen der Alpenvereine im 19. Jahrhundert, die den Bergen das Bedrohliche nahmen und es gegen die Faszination austauschten, wären Innsbrucker heute nicht stolze Bürger der selbsternannten Hauptstadt der Alpen und Tourismusweltmeister, sondern Bewohner eines Landstrichs mit hohem wirtschaftlichen EU-Förderungsbedarf.

Nüchterner klang die Beschreibung 70 Jahre später. Innsbrucker mögen heute zu Recht stolz auf ihre Altstadt sein. Im 19. Jahrhundert hingegen hielt man nicht viel von den alten Gemäuern. Auch Innsbruck war vom Rausch der Modernisierung ergriffen worden, eine komplette Umgestaltung der Altstadt wurde nicht nur erwogen. 1862 kürte man bereits einen Siegerentwurf für das neue, neogotische Rathaus an der Stelle, an der sich heute das Alte Rathaus samt Stadtturm befindet. Aus heutiger Sicht ist es ein Glücksfall, dass damals die Mittel fehlten, um die kühnen Pläne umzusetzen. In einem Reisebericht aus dem Jahr 1846 hingegen ist Folgendes über den alten Teil der Stadt „am Fuße dieser Gebirgsdekoration im Innthale“ zu lesen:

Alterthümliche Baudenkmale von Kunstinteresse besitzt Innsbruck, mit Ausnahme des goldnen Dachlgebäudes, keine. Zu dem freundlichen Eindruck, den ihr Anblick von dieser Seite hervorbringt, trägt der Umstand wesentlich bei, daß sie nicht, wie man vermuthen könnte, aus einer Mehrzahl von alterthümlichen, sondern im Gegentheil von neuern Gebäuden besteht… Die Häuser der Altstadt, mit Laubengängen nach italienischer Sitte versehen, sind mehrentheils von älterer, schlechter Bauart.

In den 1920er Jahren ließ der Schriftsteller Ödon von Horvath (1901 – 1938), ein spitzzüngiger Zyniker, der die Schrecken des ersten Weltkriegs und den Zerfall Österreich-Ungarns erlebt hatte, seine Romanfigur Kobler in “Der ewige Spießer“ noch profaner über Innsbruck denken. Die Nachkriegszeit war weniger poetisch als das Zeitalter der Romantik, in dem Goethe lebte.  

„Unter dieser Dunstwolke lag Innsbruck, die Hauptstadt des heiligen Landes Tirol. Kobler wusste nichts weiter von ihr, als dass sie ein berühmtes goldenes Dachl hat, einen preiswerten Tiroler Wein und dass der Reisende, der von Westen ankommt, zur linken Hand einige große Bordelle sehen kann.

Es gibt nicht das EINE Innsbruck, jede Zeit hat ihr Innsbruck. Schaut man sich alte Stadtveduten und Panoramen Innsbrucks an, wie sehr sich die Stadt veränderte. Folgt man dem Ansatz Karl Schlögels, kann man diese Identitäten und die vergangenen Zeiten auf Spaziergängen durch die Stadt nacherleben. Das Innsbruck von 1500 hat ebenso wenig zu tun mit dem Innsbruck von 1800 wie das von 1900 mit dem von 2000. Lässt man Innsbruck mit der römischen Besiedlung beginnen, durchschreitet man 2000 Jahre europäischer Geschichte. Lange war Innsbruck nicht mehr als eine kleine befestigte Stadt, eine Brücke mit Zollstation zwischen den Handelszentren Augsburg im Norden und Venedig im Süden. Auf einem Aquarell, das Albrecht Dürer 1495 auf seiner Durchreise nach Italien anfertigte, sieht man eine gotische Stadt, geprägt von Mauern und Türmen. Innsbruck war zur Residenzstadt geworden. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde Innsbruck, geprägt vom Zeitgeist der Gegenreformation, barockisiert. Mit den Änderungen in der Kriegsführung verschwand im 18. Jahrhundert die sinnlos gewordene Stadtmauer mit ihren Toren. Die festungsartige Burg am Rennweg wich durch Umbau der barocken und prunkvollen Hofburg. Die Verwaltung in einem mehr und mehr zentralisierten Staat änderte sich ebenso wie das Strafrecht, was den Stadtkerker im ehemaligen Kräuterturm nutzlos machte. Dafür bedurfte es des Zucht- und Arbeitshauses in St. Nikolaus Bald schon wuchs die Neustadt in Richtung des Stifts Wilten im Süden, im Osten wurde der Saggen ausgebaut und von der Stadt quasi eingesaugt. Wer von erhöhtem Posten auf den Süden der Stadt schaut, sieht die nach dem Zweiten Weltkrieg gebauten Autobahnen durchs Inntal und vom Brenner kommen, die die Stadt zu zerschneiden scheinen. 2000 Jahre nach der römischen Besiedlung, ein paar Revolutionen, Weltkriege, Olympiaden und Erweiterungs- und Umbauphasen später, ist Innsbruck seit der Jahrtausendwende selbsternannte Weltstadt. Oder Sportstadt. Oder die Hauptstadt der Alpen. Oder hippe, junge Universitätsstadt.

Die Geschichte einer Stadt endet nicht an ihren örtlichen Grenzen und Mauern. Innsbruck war, wie jede Stadt, immer Kind seiner Zeit und dementsprechend an Strömungen und Entwicklungen ihrer Umgebung und Machthaber gebunden. Innsbruck beherbergte Kaiser, Könige, Ketzer, Kriminelle, Kaufleute, Künstler, Wissenschaftler, Arbeiter, Bauern, Fürsten, Feldherren, Söldner, Soldaten, Geistliche, Sportler, Händler, Bauern, Wissenschaftler. Ein Blick auf das Best of an Gästen am Eingang des Gasthofs Goldener Adler in der Altstadt gibt einen Querschnitt durch die Prominenz der Besucher. Sie prägten die Stadt und teilten die Erfahrungen, die sie mit ihr hatten nach außen hin mit. Stilrichtungen wie die Gotik, der Barock oder der Klassizismus waren keine Innsbrucker Eigenheit. Gotteshäuser, Paläste, Verwaltungsgebäude und Bahnhöfe waren in den Städten des Habsburgerreichs stets recht ähnlich, wenn auch natürlich jede Region ihre Eigenheiten hatte. Es ist interessant zu sehen, wie viel in eine Stadt von außen hereingetragen wird, bevor es nach und nach zur ureigenen Kultur erklärt wird. Städte sind immer Schmelztiegel. Eine Stadt ist in Stein abgebildete Gesellschaftsentwicklung. Kunstwerke, Gebäude und Stadtteile entstanden nicht ohne Grund. So erzählt die Altstadt von der Entwicklung Innsbrucks im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Anhand der Stadtpaläste der Aristokratie in der Maria-Theresienstraße lassen sich der frühe Kapitalismus und die Anfänge vom Ende der Feudalwirtschaft verfolgen. Das Zeughaus gibt einen Einblick in eine Zeit, in der Innsbruck das militärische Rüstungs- und Machtzentrum des alpinen Raums war. Die Wohnhäuser Wiltens, des Saggens und Pradls zeigen das Wachstum und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen des 19. Jahrhunderts wie den Wechsel von der landwirtschaftlich geprägten Feudalwirtschaft hin zur bürgerlich getrieben Industrialisierung. All diese Gebäude sind mit Personen, Phänomenen und Ereignissen verbunden, deren Geschichte wert ist, erinnert zu werden. Zu einem Reiseführer gehört leider nicht nur das Sammeln, sondern auch das Weglassen von Informationen. Beda Weber (1798 – 1858) schrieb in seinem 1851 erschienenen Handbuch für Reisende in Tirol zu Innsbruck vor allem über Kirchen und Klöster. Viele der Gotteshäuser sind heute noch sehenswert, der durchschnittliche Innsbruck Tourist interessiert sich mit Ausnahme der Hofkirche aber mehr für den Berg Isel, die Nordkette und die Gassen der Altstadt. ​Es gäbe neben den 70 beschriebenen Sehenswürdigkeiten noch viele weitere Orte, die eine Beschreibung wert sind. Das Olympische Dorf als Ansammlung architektonischer Stilverfehlung der 1960er und 1970er Jahre, der Dorfplatz in Hötting, Friedhof und Kirche in Mariahilf, die Sillschlucht als Naherholungsgebiet und der Nordwesten der Stadt würden sich durchaus mehr Platz verdienen als ihnen im Vorbeigehen von mir genehmigt wird.

Die großen Zäsuren Entwicklung Innsbrucks waren die Stadtgründung um 1200, der Epoche Maximilians um 1500, die Erweiterung um 1900 und die Wiederaufbauphase und Modernisierung zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Olympischen Spielen in den 1960ern und 70ern. Unzählige Quellen und viel Literatur stehen zur Verfügung um die Geschichte einer kleinen Siedlung, die zu einer Olympiastadt wurde zu erzählen. Warum sieht das heutige Innsbruck aus wie es aussieht? Es ist erstaunlich, dass die Kenntnis der eigenen Geschichte der meisten Innsbrucker bei ein paar Anekdoten über Kaiser Maximilian und Maria Theresia aus dem Sachkundeunterricht der Volksschule ein Ende finden. Besonders die Zeit nach 1850 ist vielen Menschen gänzlich unbekannt. Nur langsam und zögerlich regen sich Bereitschaft und Interesse, die jüngere Geschichte und Erinnerungsorte dafür zu finden. Umso interessanter ist es auch dieser Spur durch die Stadt zu folgen. Auf die jüngste Geschichte nach den olympischen Spielen habe ich dafür bewusst verzichtet, ist es doch schwer sich darüber jetzt schon ein Urteil über dieses Work in Progress zu bilden.