Rudolfsbrunnen

Boznerplatz

Rudolfsbrunnen Innsbruck Bozner Platz
Wissenswert

„Mag auch die strenge Kritik einiges an dem Standbilde ausstellen, so muß doch das Ganze als höchst gelungen bezeichnet werden und macht einen schönen, befriedigenden Eindruck.“

In der Redaktion des Innsbrucker Tagblatts scheint man am 29. September 1877, dem Tag der Enthüllung des Rudolfsbrunnens, einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis der neuesten Attraktion der Stadt gewesen sein. Der Gestaltung des Platzes waren allerdings heftige Diskussionen zwischen liberalen und konservativen Zeitgenossen vorhergegangen. Der Rudolfsbrunnen am Innsbrucker Boznerplatz erinnert an die Vereinigung Tirols mit dem Habsburgerreich. Das Projekt den Brunnen zu bauen, begann 1863 anlässlich 500 Jahre Zugehörigkeit Tirols zu Österreich. Für die Planung konnte Friedrich Schmidt gewonnen werden. Der spätere Wiener Dombaumeister sollte einer der wichtigsten Architekten des neogotischen Stils in der K.u.K. Monarchie werden. Zwischen Bozen, Böhmen und Ruthenien realisierte er viele markante Gebäude, unter anderem den Neubau des Südturms des Stephansdoms und die St. Nikolauskirche in Innsbruck. Er ist nicht nur Ehrenbürger der Stadt Innsbruck, sondern besitzt auch ein prunkvolles Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof.

Die Figur am 12 Meter hohen Brunnen stellt Herzog Rudolf IV. dar. Dank eines mutmaßlich gefälschten Erbvertrags war die Grafschaft Tirol ein Teil des Habsburgerreichs geworden. Seinen Beinamen Der Stifter verpassten ihm Historiker wegen seiner Verdienste um Wien, der heutigen Bundeshauptstadt Österreichs. Zur Zeit Rudolfs lag das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches in Prag. Mit der Gründung der Universität Wien und St. Stephan als Metropolitankapitel und Grablege der Habsburger unter Rudolf war der erste Schritt Wiens als neues Zentrum des Heiligen Römischen Reiches getan. Seinen aufsehenerregendsten Coup konnte Rudolf im Jahr 1358 landen. Das Privilegium maius, eine Urkunde, die dem Haus Habsburg etliche Sonderrechte gegenüber allen anderen deutschen Fürsten zugestand, war ebenfalls eine Fälschung. Bereits Kaiser Karl IV., ein erbitterter Gegner der Habsburger, war überzeugt, dass die Urkundensammlung eine Fälschung war. Der große Gelehrte Francesco Petrarca kam ebenfalls zu dem Schluss, dass das Privilegium maius nicht echt sein konnte. Nichtsdestotrotz wurden die Sonderrechte der Erzherzogswürde, die Erbfolge und die eigenständige Gerichtsbarkeit in ihren Territorien den Österreichern zuerkannt. Wer heute vor dem Rudolfsbrunnen am Boznerplatz steht, sollte nicht vergessen, dass der Mann, dem zu Ehren ein Brunnen errichtet wurde, nicht nur ein frommer Stifter, sondern vor allem ein begnadeter Betrüger war.

Schwindel oder nicht, die Einheit Österreichs und Tirols war ein Grund zu feiern. Das 19. Jahrhundert war die große Zeit des Nationalismus. Europaweit wurde nach Traditionen und Gemeinsamkeiten gesucht, um Menschen eine nationale Identifikation zu geben. Bauwerke, Literatur und Denkmäler sollten die Zugehörigkeit zum Habsburgerreich und den Nationalstolz in der Bevölkerung stärken. Der Brunnen war eine Manifestation der Einheit und Zugehörigkeit des Kronlandes Tirol zur Habsburgermonarchie.

Je nach politischer Einstellung und Perspektive ergaben sich verschiedene Ideen des nationalen Gedankens. Den deutschnational-liberalen Politikern der Stadt war es ein Anliegen die Einheit von Tirol und Österreich darzustellen. Sie sahen Innsbruck als einen Teil eines starken Habsburgerreichs unter deutscher Vorherrschaft gegenüber den anderen Völkern des Vielvölkerstaats. Die konservative Version der Tiroler Identität orientierte sich an einer katholischen, tirolisch-nationalen Identität samt Herz-Jesu-Kult, die ihr Denkmal im Andreas-Hofer-Denkmal am Berg Isels erhielt. Während bei der Enthüllung des Rudolfsbrunnens der liberale Kronprinz Rudolf anwesend war, war der konservative Franz Josef I. bei der Eröffnung des Denkmals am Berg Isel zu Gast.

Knapp 150 Jahre nach seiner Errichtung steht der Boznerplatz wieder im Zentrum reger Diskussionen im Gemeinderat. Betrachtet man ihn auf alten Bildern, sieht man einen attraktiven innerstädtischen Platz. Die aktuelle Realität ist etwas trister. Der Boznerplatz ist vom Verkehr bedrängt und lädt kaum zum Verweilen ein. Die Geister scheiden sich daran, ob und wie der Platz um den Rudolfsbrunnen vom Verkehrsknotenpunkt wieder zu einer Begegnungszone umgestaltet werden soll. Die Diskussionen drehen sich nicht mehr um die Frage der Tiroler Identität, Klima und Mobilität rücken den Boznerplatz in den Fokus eines modernen Kulturkampfes.

Von Maultasch, Habsburgern und dem Schwarzen Tod

Zwischen dem letzten Grafen von Andechs und dem ersten Tiroler Landesfürsten aus dem Haus Habsburg lagen 115 bewegte Jahre der Innsbrucker Stadtgeschichte. Nach dem letzten Andechser lenkten die Grafen von Tirol für etwa 100 Jahre die Geschicke des Landes und somit zu einem guten Teil auch der Stadt Innsbruck. Meinhard II. von Tirol (1239 – 1295) konnte mit geschickter Politik und etwas Glück sein Territorium vergrößern. Er schaffte es den Flickenteppich am Gebiet des heutigen Tirols von seiner Stammburg in Meran aus zu einem einheitlicheren Ganzen zu einen. Sein Nachfolger als Tiroler Landesfürst, Herzog Heinrich von Kärnten (1265 – 1335), zählte zu den wichtigsten Aristokraten im Heiligen Römischen Reich. Ein männlicher Nachfolger allerdings war ihm nicht beschieden gewesen. Noch vor seinem Tod hatte Heinrich aber sichergestellt, dass seine Tochter Margarethe seine Nachfolge antreten konnte.

Margarethe „Maultasch“ von Tirol-Görz (1318 – 1369) zählt zu den bekanntesten weiblichen Figuren der Tiroler Geschichte. Sie war in zweiter Ehe mit Ludwig von Brandenburg, einem Wittelsbacher verheiratet. Die Wittelsbacher waren damals als Herzöge von Bayern die großen Widersacher der Habsburger innerhalb des Heiligen Römischen Reichs. Das Problem war, dass Margarethe von ihrem ersten Ehemann Johann-Heinrich von Luxemburg noch gar nicht geschieden war. Dieser ungeliebte böhmische Adlige war von der Tiroler Bevölkerung 1341 aus dem Land gescheucht worden, zu einer offiziellen Scheidung kam es aber nicht. Der Papst das Land Tirol wegen der „unheiligen“ Ehe seiner Landesfürstin mit einem Bannfluch belegt. Dieses Interdiktum war für die Menschen im Mittelalter eine der härtesten Strafen. Es verbot in den Kirchen des Landes das Abhalten von Messen und die Erteilung der Kommunion. Es war wohl in dieser Zeit, dass Margarethe den Spitznamen Maultasch verpasst bekam. Zeitgenössische Portraits, die auf einen deformierten Mund hinweisen würden, sind nicht vorhanden. Die Bilder, die wir heute von Margarethe Maultasch haben, stammen frühestens aus dem 16. Jahrhundert.

Die Regierungszeit Margarethes war von mehreren Krisen gekennzeichnet. Das 14. Jahrhundert sah eine Klimaerwärmung Europas, die eine Heuschreckenplage zur Folge hatte. Auch in Tirol kam es infolgedessen zu Missernten und Hungersnöten. Damit nicht genug. Von 1348 bis 1350 wurde Europa von der Pest heimgesucht. Von Venedig aus über Trient und das Etschtal kam die Krankheit wohl nach Innsbruck. Der Schwarze Tod dezimierte die Bevölkerung und brachte für die Überlebenden wirtschaftliche Not und Elend. Viele Informationen sind in den Archiven dazu nicht zu finden, die Folgen der Seuche waren aber wie in ganz Europa verheerend. Eine an der Pest erkrankte Innsbruckerin sprach in ihrem Testament vom „gemeinen Sterben, das im Land umgeht“.

Die Menschen konnten sich Phänomene wie Missernten und Pest nicht erklären. Viele sahen die Verwüstung des Landes als eine Strafe Gottes an und Margarethe dafür verantwortlich, war der päpstliche Bannfluch doch ihretwegen verhängt worden. Die Gründe lagen wohl woanders. Innsbruck war weder eine gepflasterte Stadt noch gab es das Abwassersystem oder die Trinkwasserversorgung, die sich kurz später etablieren sollten. Tiere und Menschen teilten sich den engen Platz innerhalb der Stadtmauern unter unhygienischen Bedingungen, was den Schwarzen Tod wohl eher anfachte als der päpstliche Bannfluch.

In dieser Zeit etablierte sich in Innsbruck das 1350 erstmals erwähnte Untere Stadtbad in der heutigen Badgasse. Bäder dienten nicht nur zur Reinigung, hier erfolgte die medizinische Versorgung nach damaligen Standards beim Bader. Bader waren fahrende oder ortsansässige Heilkundige, die Kranke behandelten, Wunden nähten oder Zähne zogen. Die gängige Lehrmeinung bis in die Neuzeit war die Vier-Säfte-Lehre. Im Körper gab es laut dieser These ein Gleichgewicht von Blut, Schleim, schwarzer Galle und gelber Galle. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führt zu Krankheit. Das Gleichgewicht wurde durch gotteslästerliche Lebensführung, falsche Ernährung, übertriebene sexuelle Aktivität oder Miasmen in der Luft gestört. Auch Wasser stand im Verruf, über die Haut einzudringen und das Säfteverhältnis im menschlichen Körper durcheinanderzubringen, weshalb man nach dem Baden zur Ader gelassen werden sollte. Formal an Universitäten ausgebildete Ärzte gab es zwar, allerdings nicht besonders viele. Übernatürliches galt als real, auch in der medizinischen Versorgung. Der wissenschaftliche Ansatz der Universitäten dieser Zeit dem der praxisorientierten Bader nicht unbedingt überlegen.

Der Habsburger Rudolf IV. (1339 – 1365) hatte sich während der 1350er Jahre um eine Versöhnung zwischen dem Papst und den Fürsten von Tirol eingesetzt, nicht ganz ohne Eigeninteresse natürlich. Margarethes Sohn Meinhard III. war mit Margarethe von Österreich, einer Habsburgerin, verheiratet. Herzog Ludwig starb 1361, im Jahr 1362 verschied auch Meinhard. Der als Gegenleistung für die Intervention beim Papst ausgedungene Erbvertrag regelte die Nachfolge in der Grafschaft Tirol sehr günstig für die Habsburger. Margarethe übergab die Regierungsgeschäfte 1363 mit der Zustimmung des Tiroler Adels an Rudolf IV. von Österreich.

Die Herzöge von Bayern aus dem Haus Wittelsbach wollten diesen Erbvertrag nicht anerkennen, der ihre Ansprüche auf Tirol für nichtig erklärte. Noch 1363 zogen sie Richtung Innsbruck, um das Recht mit Waffengewalt zu zurechtzubiegen. Die zum Wehrdienst verpflichteten Bürger Innsbrucks konnten die durch die Andechsburg und die Stadtmauer befestigte Stadt erfolgreich verteidigen. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass es der Wittelsbacher Ludwig war, der die Stadtmauern hatte erhöhen und verstärken lassen.

Ohne Rudolfs Skrupellosigkeit und seinen Schwindel wäre die Geschichte Innsbrucks ganz anders verlaufen. Mit dem Erwerb Tirols konnte die Familie Habsburg eine wichtige geographische Lücke innerhalb ihres Machtbereichs schließen. Durch die Eingliederung der Stadt in das wesentlich größere Territorium der Habsburger gewann Innsbruck zusätzlich an Bedeutung, während die eigentliche Hauptstadt Meran weiter an den Rand gedrängt wurde. Neben dem Nord-Süd Transport von Waren, war die Stadt am Inn nun auch zu West-Ost Verkehrsknoten zwischen den östlichen Österreichischen Ländern und den alten Besitztümern der Habsburger im Westen geworden. Gleichzeitig kam es durch die für die Überlebenden der großen Pestwelle von 1348 zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in ganz Europa. Arbeitskraft war durch die geschrumpfte Bevölkerung rar geworden, dafür waren pro Kopf größere Ressourcen vorhanden. Für die Innsbrucker, die die turbulente erste Hälfte des 14. Jahrhunderts überlebt hatten, sollten nun bessere Zeiten beginnen.

Rudolf, liberaler Liebling der Völker

Der intelligente, liberal eingestellte und sensible Kronprinz Rudolf (1858 – 1889) galt als der Liebling der Völker des Habsburgerreichs. Seit dem Amtsantritt Kaiser Franz Josefs I. 1848 hatte sich die Donaumonarchie verändert. 1866 war Österreich nach Königgrätz aus dem Deutschen Bund ausgeschieden. 1867 war es zum sogenannten Ausgleich mit Ungarn gekommen. Die italienischen Gebiete mit Ausnahme des Trentino und des Hafens Triest waren verlorengegangen. Das Vielvölkerreich begann unter dem Druck der einzelnen nationalen Gruppen und Länder zu bröckeln. Die Bestrebungen der einzelnen Volksgruppen machten auch vor Tirol nicht halt, gehörte mit dem Trentino zwischen Salurn und Riva am Gardasee doch auch ein italienischsprachiger Teil zum Land. Im Tiroler Landtag forderten italienischsprachige Abgeordnete, sogenannte Irredentisten, mehr Rechte und Autonomie für das damalige Südtirol. In Innsbruck kam es zwischen italienischen und deutschsprachigen Studenten immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Wallschen, dieser Begriff für Italiener hält sich bis heute recht hartnäckig, galten als ehrlos, unzuverlässig und faul.

Franz Josefs Sohn und Thronfolger Rudolf galt als sehr belesen und gebildet, sprach neben Griechisch und Latein auch Französisch, Ungarisch, Tschechisch und Kroatisch. Er verfasste liberale Artikel im "Neuen Wiener Tagblatt" unter einem Pseudonym. Er wollte unter anderem Grund- und Bodenreformen vorantreiben durch stärkere Besteuerung der Großgrundbesitzer und den einzelnen Nationalitäten des Habsburgerreichs mehr Rechte zugestehen. Das brachte ihm in den deutschsprachigen ländlichen Gebieten wenig Zustimmung ein. Rudolf wurde bei Regierungsgeschäften wegen seiner liberalen Einstellung häufig außen vorgelassen. Sein Vater soll ihn sogar vom Geheimdienst überwachen haben lassen. So widmete er sich als Privatier dem Verfassen von Presseartikeln, der Wissenschaft und dem Reisen durch die Länder der Monarchie. Er veranlasste die Herausgabe des Kronprinzenwerks, einer naturwissenschaftlichen Enzyklopädie. 1893 erschien Band 13, der das Kronland Tirol behandelte.

Seine frühen Jahre, als er auf Wunsch seines Vaters Kaiser Franz Josef eine soldatische Erziehung unter General Gondrecourt durchlaufen musste, waren, anders als man es bei einem Kronprinzen vermuten könnte, wenig luxuriös. Erst nach Einschreiten seiner Mutter Elisabeth wurden Schikanen wie Wasserkuren, Exerzieren in Regen und Schnee und das Aufwecken mit Pistolenschüssen aus dem täglichen Programm des sechsjährigen Kronprinzen genommen. Tragisch verlief auch das weitere Leben Rudolfs. Dem schönen Geschlecht war er alles andere als abgeneigt. Seine Ehe war äußerst unglücklich und lieblos, wie auch die Beziehung zu seinem Vater Franz Josef. Schon während seines Militärdiensts wurde Rudolf eine Affäre nachgesagt, es sollte nicht die letzte sein. In seinen letzten Lebensmonaten unterhielt er eine Affäre mit der als besonders schön geltenden, allerdings erst siebzehn Jahre Mary Vetsera aus reichem ungarischem Adel. Unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen nahm sich Rudolf gemeinsam mit ihr am 30. Januar 1889 in Mayerling in der Nähe von Wien das Leben durch einen Pistolenschuss in den Kopf. Es war eine skurrile Tat. Rudolf kam mehr oder minder direkt von einem Besuch bei einer Prostituierten in das Jagdschloss im Wienerwald. Er war zu dieser Zeit von Depressionen, Gonorrhö, Alkohol und Morphium schwer gezeichnet und dürfte der jungen Frau eine gemeinsame gotisch-düstere Zukunft im Jenseits in den romantischen Vorstellungen einer Oper Wagners oder Verdis versprochen haben. Erst nach Diskussionen mit dem Papst konnte er christlich bestattet werden, Selbstmord war eine schwere Sünde und verhinderte ein christliches Begräbnis. Vetsera wurde am Friedhof in Heiligenkreuz bei Mayerling in einem kleinen Grab an der Friedhofsmauer unauffällig beigesetzt, während Rudolf ein Staatsbegräbnis erhielt und seine letzte Ruhe in der Kapuzinergruft, der wohl berühmtesten Grablege der Habsburger in Wien erhielt. Von der Familie Habsburg wurde der Selbstmord nie anerkannt. Zita (1892 – 1989), die Witwe des letzten Kaisers Karl, sprach noch in den 1980ern von einem Mordanschlag. Der Rudolfsbrunnen in Innsbruck am Boznerplatz erinnert zwar nicht an den Kronprinzen, bei seiner Einweihung war er aber zugegen. Im konservativen Tirol war er wenig beliebt, bei den liberal gesinnten Innsbruckern hingegen galt er als Hoffnung für eine Erneuerung der Monarchie im Sinne eines modernen, föderalen Staates.

Innsbruck und das Haus Habsburg

Innsbrucks Innenstadt wird heute von Gebäuden und Denkmälern geprägt, die an die Familie Habsburg erinnern. Die Habsburger waren über viele Jahrhunderte ein europäisches Herrscherhaus, zu dessen Einflussbereich verschiedenste Territorien gehörten. Am Zenit ihrer Macht waren sie die Herrscher über ein „Reich, in dem die Sonne nie untergeht“. Durch Kriege und geschickte Heirats- und Machtpolitik saßen sie in verschiedenen Epochen an den Schalthebeln der Macht zwischen Südamerika und der Ukraine. Innsbruck war immer wieder Schicksalsort dieser Herrscherdynastie. Besonders intensiv war das Verhältnis zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert. Durch die strategisch günstige Lage zwischen den italienischen Städten und deutschen Zentren wie Augsburg und Regensburg kam Innsbruck spätestens nach der Erhebung zur Residenzstadt unter Kaiser Maximilian ein besonderer Platz im Reich zu. Manche der Habsburger Landesherren hatten weder eine besondere Beziehung zu Tirol noch brachten sie diesem deutschen Land besondere Zuneigung entgegen. Ferdinand I. (1503 – 1564) wurde am spanischen Hof erzogen. Maximilians Enkel Karl V. war in Burgund aufgewachsen. Als er mit 17 Jahren zum ersten Mal spanischen Boden betrat, um das Erbe seiner Mutter Johanna über die Reiche Kastilien und Aragorn anzutreten, sprach er kein Wort spanisch. Als er 1519 zum Deutschen Kaiser gewählt wurde, sprach er kein Wort Deutsch.

Tirol war Provinz und als konservativer Landstrich der Herrscherfamilie meist zugetan. Die schwer zugängliche Lage machte es zum perfekten Fluchtort in unruhigen und krisenhaften Zeiten. Karl V. (1500 – 1558) floh während einer Auseinandersetzung mit dem protestantischen Schmalkaldischen Bund für einige Zeit nach Innsbruck. Ferdinand I. (1793 – 1875) ließ seine Familie fern der osmanischen Bedrohung im Osten Österreichs in Innsbruck verweilen.  Franz Josef I. genoss kurz vor seiner Krönung im turbulenten Sommer der Revolution 1848 gemeinsam mit seinem Bruder Maximilian, der später als Kaiser von Mexiko von Aufständischen Nationalisten erschossen wurde, die Abgeschiedenheit Innsbrucks. Eine Tafel am Alpengasthof Heiligwasser über Igls erinnert daran, dass der Monarch hier im Rahmen seiner Besteigung des Patscherkofels nächtigte.

Nicht alle Habsburger waren stets glücklich in Innsbruck zu sein. Angeheiratete Prinzen und Prinzessinnen wie Maximilians zweite Frau Bianca Maria Sforza oder Ferdinand II. zweite Frau Anna Caterina Gonzaga strandeten ungefragt nach der Hochzeit in der rauen, deutschsprachigen Bergwelt. Stellt man sich zudem vor, was ein Umzug samt Heirat von Italien nach Tirol zu einem fremden Mann für einen Teenager bedeutet, kann man erahnen, wie schwer das Leben der Prinzessinnen war. Kinder der Aristokratie wurden bis ins 20. Jahrhundert vor allem dazu erzogen, politisch verheiratet zu werden. Widerspruch dagegen gab es keinen. Man mag sich das höfische Leben als prunkvoll vorstellen, Privatsphäre war in all dem Luxus nicht vorgesehen.

Als Sigismund Franz von Habsburg (1630 – 1665) als letzter Landesfürst kinderlos starb, war auch der Titel der Residenzstadt Geschichte und Tirol wurde von einem Statthalter regiert. Der Tiroler Bergbau hatte an Wichtigkeit eingebüßt. Kurz darauf verloren die Habsburger mit Spanien und Burgund ihre Besitzungen in Westeuropa, was Innsbruck vom Zentrum an den Rand des Imperiums rückte. In der K.u.K. Monarchie des 19. Jahrhunderts war Innsbruck der westliche Außenposten eines Riesenreiches, das sich bis in die heutige Ukraine erstreckte. Franz Josef I. (1830 – 1916) herrschte zwischen 1848 und 1916 über ein multiethnisches Vielvölkerreich. Sein neoabsolutistisches Herrschaftsverständnis allerdings war aus der Zeit gefallen. Österreich hatte seit 1867 zwar ein Parlament und eine Verfassung, der Kaiser betrachtete diese Regierung allerdings als „seine“. Minister waren dem Kaiser gegenüber verantwortlich, der über der Regierung stand. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zerbrach das marode Reich. Am 28. Oktober 1918 wurde die Republik Tschechoslowakei ausgerufen, am 29. Oktober verabschiedeten sich Kroaten, Slowenen und Serben aus der Monarchie. Der letzte Kaiser Karl dankte am 11. November ab.  Am 12. November erklärte sich „Deutschösterreich zur demokratischen Republik, in der alle Gewalt vom Volke ausgeht“. Das Kapitel der Habsburger war beendet.

Bei allen nationalen, wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Problemen, die es in den Vielvölkerstaaten gab, die in verschiedenen Kompositionen und Ausprägungen den Habsburgern unterstanden, die nachfolgenden Nationalstaaten schafften es teilweise wesentlich schlechter die Interessen von Minderheiten und kulturellen Unterschiede innerhalb ihres Territoriums unter einen Hut zu bringen. Seit der EU-Osterweiterung wird die Habsburgermonarchie von einigen wohlmeinenden Historikern als ein vormoderner Vorgänger der Europäischen Union gesehen. Gemeinsam mit der katholischen Kirche prägten die Habsburger den öffentlichen Raum über Architektur, Kunst und Kultur. Goldenes Dachl, Hofburg, die Triumphpforte, Schloss Ambras, der Leopoldsbrunnen und viele weitere Bauwerke erinnern bis heute an die Präsenz der wohl bedeutendsten Herrscherdynastie der europäischen Geschichte in Innsbruck.

Die Tirolische Nation, "Demokratie" und das Herz Jesu

Viele Tiroler sehen sich bis heute oft und gerne als eigene Nation. Mit „Tirol isch lei oans“, „Zu Mantua in Banden“ und „Dem Land Tirol die Treue“ besitzt das Bundesland gleich drei mehr oder weniger offizielle Hymnen. Dieser ausgeprägte Lokalpatriotismus hat historische Gründe. Oft wird die Tiroler Freiheit und Unabhängigkeit wie ein lokales Heiligtum herangezogen, um das zu untermauern. Gerne wird von der ersten Demokratie Festlandeuropas gesprochen, was wohl eine maßlose Übertreibung ist, sieht man sich die feudale und von Hierarchien geprägte Geschichte des Landes bis weit ins 19. Jahrhundert an. Eine gewisse Eigenheit in der Entwicklung kann man dem Land allerdings nicht absprechen, auch wenn es sich dabei weniger um Partizipation breiter Teile der Bevölkerung als vielmehr die Beschneidung der Macht des Landesfürsten handelte.

Nach der Hochzeit des Bayern Ludwigs von Wittelsbach mit der Tiroler Landesfürstin Margarete von Tirol-Görz waren die bayrischen Wittelsbacher für kurze Zeit nach den Grafen von Andechs erneut Landesherren von Tirol. Um die Tiroler Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen, beschloss Ludwig den Landständen im 14. Jahrhundert ein Zuckerl anzubieten. Im "Großen Freiheitsbrief" von 1342 versprach Ludwig den Tirolern keine Gesetze oder Steuererhöhungen zu erlassen, ohne sich nicht vorher mit den Landständen zu besprechen. Dieser Große Freiheitsbrief wurde fortan von den Vertretern der Tiroler Bevölkerung bei allen Verhandlungen mit den Landesfürsten herangezogen. Von einer demokratischen Verfassung im Verständnis des 21. Jahrhunderts kann allerdings keine Rede sein, waren diese Landstände doch vor allem die adeligen, landbesitzenden Klassen, die dementsprechend auch ihre Interessen vertraten

Als im 15. Jahrhundert Städte und Bürgertum langsam wichtiger wurden, entwickelte sich ein Gegengewicht zum Adel innerhalb dieser Landstände. Beim Landtag von 1423 unter Friedrich IV. trafen erstmals 18 Mitglieder des Adels auf 18 Mitglieder der Städte und der Bauernschaft. Nach und nach entwickelte sich in den Landtagen des 15. und 16. Jahrhundert eine feste Zusammensetzung. Vertreten waren die Tiroler Bischöfe von Brixen und Trient, die Äbte der Tiroler Klöster, der Adel, Vertreter der Städte und der Bauernschaft. Den Vorsitz hatte der Landeshauptmann. Natürlich waren die Beschlüsse und Wünsche des Landtags für den Fürsten nicht bindend, allerdings war es für den Regenten wohl ein beruhigendes Gefühl, wenn er die Vertreter der Bevölkerung auf seiner Seite wusste oder schwere Entscheidungen mitgetragen wurden.

Eine weitere wichtige Urkunde für das Land war das Tiroler Landlibell. Maximilian hielt darin im Jahr 1511 unter anderem fest, Tiroler Soldaten nur für den Kriegsdienst zur Verteidigung des eigenen Landes heranzuziehen. Der Grund für Maximilians Großzügigkeit war weniger seine Liebe zu den Tirolern als die Notwendigkeit die Tiroler Bergwerke am Laufen zu halten, anstatt die kostbaren Arbeiter und die sie versorgende Bauernschaft auf den Schlachtfeldern Europas zu verheizen. Dieses Sonderrecht der Tiroler war einer der Gründe für die Erhebung von 1809, als junge Tiroler bei der Mobilisierung der Streitkräfte im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht ausgehoben wurden.

Ein Meilenstein für das Tiroler Selbstverständnis waren die Napoleonischen Kriege, als das katholische Kronland von den „gottlosen Franzosen“ und der revolutionären Gesellschaftsordnung von 1792 bedroht wurde. Die Tiroler Schützen vertrauten ihr Schicksal vor einer entscheidenden Schlacht im Kampf gegen Napoleons Armeen im Juni 1796 dem Herzen Jesu an und schlossen einen Bund mit Gott persönlich, der ihr Heiliges Land Tirol vor Napoleon behüten sollte. Eine weitere Legende des Jahres 1796 rankt sich um eine junge Frau aus dem Dorf Spinges. Katharina Lanz, die als die Jungfrau von Spinges in die Landesgeschichte als identitätsstiftende Nationalheldin einging, soll die beinahe geschlagenen Tiroler Truppen mit ihrem herrischen Auftreten im Kampf solcherart motiviert haben, dass sie schlussendlich den Sieg über die französische Übermacht davontragen konnten. Je nach Darstellung soll sie mit einer Mistgabel, einem Dreschflegel oder einer Sense ähnlich der französischen Jungfrau Johanna von Orleans den Truppen Napoleons das Fürchten gelehrt haben. Teile des Tiroler Selbstverständnisses rund um die Schützen und das Nationalgefühl, eine selbstständige und von Gott auserwählte Nation zu sein, die zufällig der Republik Österreich angehängt wurde, geht auf diese Legenden zurück. Nationalisten zu beiden Seiten des Brenners bedienen sich noch heute der Jungfrau von Spinges, dem Herzen Jesu und Andreas Hofers, um ihre Anliegen publikumstauglich anzubringen. Die Säcularfeier des Bundes Tirols mit dem göttlichen Herzen Jesu wurde noch im 20. Jahrhundert unter großer Anteilnahme der politischen Elite gefeiert.

Auf diese eigenständige politische Landesgeschichte stützt sich der historische Tiroler Nationalismus und die bis heute andauernde Abneigung gegen alles, was aus Wien oder Brüssel kommt, der seine höchste Vollendung in Bonmots wie „bisch a Tiroler bisch a Mensch, bisch koana, bisch a Oasch“ feiert. Je stärker die Zentralisierung seit Maria Theresia voranschritt, desto mehr war man in Wien darauf erpicht, Sonderrechte in den historischen Kronländern wie Tirol, Kärnten und der Steiermark zu minimieren. Das Zugehörigkeitsgefühl der Untertanen sollte nicht dem Land Tirol, sondern dem Haus Habsburg gelten. Im 19. Jahrhundert wollte man die Identifikation mit der Monarchie stärken. Die Presse, Besuche der Herrscherfamilie, Denkmäler wie der Rudolfsbrunnen oder die Eröffnung des Berg Isels mit Hofer als kaisertreuem Tiroler sollten dabei helfen, die Bevölkerung in kaisertreue Untertanen zu verwandeln.

Als nach dem Ersten Weltkrieg das Habsburgerreich zusammenbrach, zerbrach auch das Kronland Tirol. Das, was man bis 1918 als Südtirol bezeichnete, der italienischsprachige Landesteil zwischen Riva am Gardasee und Salurn im Etschtal, wurde zum Trentino mit der Hauptstadt Trient. Der deutschsprachige Landesteil zwischen Neumarkt und dem Brenner ist heute Südtirol / Alto Adige, eine autonome Region der Republik Italien mit der Hauptstadt Bozen. Im Tiroler Teil nördlich des Brenners gab es nach dem verlorenen Weltkrieg wie in vielen ehemaligen Kronländern die Intention, sich von der neu konstituierten Republik Deutschösterreich zu lösen. Der kleine Rumpfteil des verschwundenen Habsburgerreiches mit der überdimensionierten Hauptstadt Wien wurde vom Großteil der Menschen als nicht überlebensfähig gesehen. Innsbrucker fühlten sich durch die Jahrhunderte hindurch als Innsbrucker, Tiroler, Deutsche, Katholiken und Untertanen des Kaisers. Als Österreicher aber fühlte sich vor 1945 kaum jemand. Bei einer Volksbefragung stimmten 99% der Tiroler für einen Anschluss an Deutschland. Erst nach dem 2. Weltkrieg begann sich ein Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich zu entwickeln. Bis heute aber sind viele Tiroler vor allem stolz auf ihre lokale Identität und grenzen sich gerne von den Bewohnern anderer Bundesländer und Staaten ab. Für viele Tiroler stellt der Brenner nach über 100 Jahren noch immer eine Unrechtsgrenze dar, auch wenn man im Europa der Regionen auf EU-Ebene politisch grenzüberschreitend zusammenarbeitet. Die Legende vom Heiligen Land, der unabhängigen Tirolischen Nation und ersten Festlanddemokratie hält sich bis heute. Dass das historische Kronland Tirol mit Italienern, Ladinern, Zimbern und Rätoromanen ein multiethnisches Konstrukt war, wird dabei in rechtsgerichteten Kreisen gerne übersehen.