Zeughaus

Zeughausgasse 1

Zeughaus Innsbruck
Wissenswert

Der Beginn des 16. Jahrhunderts war ein Wendepunkt in der Geschichte der Stadt. Aus Sicht des Touristen mag das Goldene Dachl das auffälligste zu dieser Zeit entstandene Gebäude sein, wesentlich größeren Einfluss auf das Leben der Zeitgenossen hatte allerdings das Zeughaus. Zwischen 1500 und 1506 ließ Kaiser Maximilian I. von Jörg Kölderer das Äußere Zeughaus an der Sill im heutigen Stadtteil Saggen errichten. Das Äußere Zeughaus war zur Zeit Maximilians das größte Waffenlager des Heiligen Römischen Reichs und umfasste Ausrüstung und Kanonen für bis zu 30.000 Soldaten. Hofmaler Jörg Kölderer hielt das Arsenal bildlich in seinen Zeugbüchern fest.

Unter Maximilian entwickelte sich die bewegliche und leichte Artillerie, die die Kriegsführung revolutionieren sollte. Innsbruck war dank seiner Lage zwischen den Kriegsschauplätzen in Norditalien und der Schweiz strategisch optimal gelegen, um hier nicht nur ein Lager, sondern auch die Waffenproduktion des Reiches anzusiedeln. Durch die Anlage samt frühindustrieller Fertigung war Innsbruck zum Zentrum der Rüstungsindustrie der Frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum geworden. Das Zeughaus selbst war das Zentrum eines großen Industriekomplexes. Der Innenhof wird von einer zweistöckigen, burgähnlichen Anlage umschlossen. Rund um das Hauptgebäude gab es etliche kleinere Gebäude, in denen Arbeiten erledigt wurden.

Der Sillkanal versorgte die Industriebetriebe der Kohlstaat mit Wasser. Die Anbindung über die seit 1453 gepflasterte Silbergasse zur Innenstadt machten die Kohlstatt zum idealen Standort für das Waffenlager samt Fertigung. Ein paar Kilometer weiter östlich wurde ab 1511 eine Erweiterung des Zeughauses im heutigen Weyrerareal in Mühlau eingerichtet. Vor allem die großen Kanonen der Artillerie, die im ausgehenden 15. Jahrhundert zunahm, konnten nicht im kleinen alten Zeughaus in der Andechsburg gelagert werden.

Das Zeughaus war Wirtschaftsmotor und wichtiger Arbeitgeber der Stadt. Die frühe Industrialisierung, die sich in der Kohlstatt abspielte, hatte massiven Zuzug und Einwohnerwachstum zur Folge. Mit den Arbeitskräften kamen aber nicht nur ein quantitatives Wachstum in die Stadt, es entstand eine gänzlich neue Bevölkerungsschicht. Der Name Kohlstatt rührt von den Köhlern, die für die Herstellung der Kohle zuständig waren, mit der die Öfen des Zeughauses betrieben wurden. Anders als bäuerliche Schichten oder die in Gilden organisierten Handwerker der Stadt, handelte es sich um eine frühe Form der Arbeiterschaft und deren Familien. Neben den einfachen Arbeitern waren auch Techniker und Gießer beschäftigt, hochqualifizierte und begehrte Schlüsselarbeitskräfte.

Das Zeughaus änderte nicht nur die Spielregeln im Sozialen, es hatte auch Einfluss auf die sinnliche Erscheinung Innsbrucks. Die große Werkstätte veränderte den Geruch und den Klang der Stadt. Betrachtet man die Entwicklung der Kohlstatt, der Heimat der Arbeiter und die Finanzierung der kaiserlichen Politik durch die Augsburger Fugger, erhält man ein Bild des frühen Kapitalismus. Obwohl Kaiser Maximilian große Erfolge bei der Reichserweiterung durch gewitzte Heiratspolitik für die Dynastie der Habsburger errang, war er doch auch ein eifriger Kriegsherr. Seine Anleihen wurden durch den Kriegskreislauf gespeist, der bereits zu einem Wirtschaftsfaktor geworden war. Auch abseits der Front in den Fertigungsstätten beeinflusste er die Lebensumstände der Menschen.

Bis ins 18. Jahrhundert umgab ein Wassergraben das Zeughaus, das nach seinem Dienst als Arsenal bis 1918 als Kaserne genutzt wurde. Heute beheimatet das Zeughaus ein Museum mit wechselnden Ausstellungen und der Dauerausstellung zur Kulturgeschichte Tirols. Im 1.600 Quadratmeter großen Innenhof finden laufend unterschiedliche Veranstaltungen statt.

Maximilian I. und seine Zeit

Maximilian zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der europäischen und der Innsbrucker Stadtgeschichte. Über Tirol soll der passionierte Jäger gesagt haben: "Tirol ist ein grober Bauernkittel, der aber gut wärmt." Er machte Innsbruck in seiner Regierungszeit zu einem der wichtigsten Zentren des Heiligen Römischen Reichs. „Wer immer sich im Leben kein Gedächtnis macht, der hat nach seinem Tod kein Gedächtnis und derselbe Mensch wird mit dem Glockenton vergessen.“ Dieser Angst wirkte Maximilian höchst erfolgreich aktiv entgegen. Unter ihm spielten Propaganda, Bild und Medien eine immer stärkere Rolle, bedingt auch durch den aufkeimenden Buchdruck. Maximilian nutzte Kunst und Kultur, um sich präsent zu halten. So hielt er sich eine Reichskantorei, eine Musikkapelle, die vor allem bei öffentlichen Auftritten und Empfängen internationaler Gesandter zum Einsatz kam. Das Goldene Dachl, die Hofburg, die Hofkirche und das Innsbrucker Zeughaus wurden von ihm maßgeblich initiiert, ebenso die Befestigung der Straßen und Gassen der Altstadt durch Pflasterung. Er ließ den Handelsweg im heutigen Mariahilf verlegen und verbesserte die Wasserversorgung der Stadt. Eine Feuerordnung gab es in Innsbruck bereits seit 1510. Mit der neuen Wasserleitung, die 25 Jahre zuvor unter Maximilian nach Innsbruck verlegt wurde, ergaben sich neue Möglichkeiten für den Brandschutz. 1499 veranlasste Maximilian die Salvatorikapelle, ein Spital für die notleidenden Innsbrucker, die keinen Anspruch auf einen Platz im Stadtspital der Bruderschaft hatten umzubauen. Er begann auch an den Privilegien des Stiftes Wilten, dem größten Grundherrn im heutigen Stadtgebiet, zu sägen. Infrastruktur im Besitz des Klosters wie Mühle, Säge und Sillkanal sollten stärker unter landesfürstliche Kontrolle kommen.

Der kaiserliche Hof, der immer wieder in Innsbruck ansässig war, transformierte Aussehen und Attitüde Innsbrucks. Gesandte und Politiker aus ganz Europa bis zum osmanischen Reich sowie Adelige ließen sich ihren Wohnsitz in Innsbruck bauen oder übernachteten in den Wirtshäusern der Stadt. Kulturell war es vor allem seine zweite Ehefrau Bianca Maria Sforza, die Innsbruck förderte. Nicht nur die Hochzeit fand hier statt, sie residierte auch lange Zeit hier, war die Stadt doch näher an ihrer Heimat Mailand als die anderen Residenzen Maximilians. Sie brachte ihren gesamten Hofstaat aus der Renaissancemetropole mit in die deutschen Länder nördlich der Alpen.

Innsbruck wurde unter Maximilian aber nicht nur kulturell zu einem Zentrum des Reiches, auch wirtschaftlich brummte die Stadt. Unter anderem war Innsbruck Zentrale des Postdienstes im Kaiserreich. Die Familie Thurn und Taxis erhielt das Monopol auf diesen wichtigen Dienst und wählte Innsbruck als Zentrale ihrer privaten Reichspost.

In der Waffenherstellung konnte Maximilian auf das Fachwissen der Büchsenmeister aufbauen, die sich bereits unter seinem Vorgänger Siegmund in den Gießereien in Hötting etabliert hatten. Der berühmteste von ihnen war Peter „Löffler“ Laiminger. Die Geschichte der Löfflers ist im Roman Der Meister des siebten Siegels ausgezeichnet verarbeitet.

Die Fugger unterhielten eine Kontorei in Innsbruck. Neben seiner ihm gerne unterstellten Liebe für die Tiroler Natur waren ihm die Kostbarkeiten wie das Haller Salz und das Schwazer Silber mindestens ebenso teuer und nützlich. Seinen aufwändigen Hofstaat, die Wahl zum König durch die Kurfürsten und die vielen Kriege finanzierte sich Maximilian unter anderem durch Verpfändung der Bodenschätze des Landes an die reiche Kaufmannsfamilie aus Augsburg.

Bei den Tiroler Bauern war Maximilian zu Lebzeiten lange unbeliebt. Maximilian beschnitt die bäuerlichen Rechte der Allmende. Holzschlag, Jagd und Fischerei wurden dem Landesherrn unterstellt und waren kein Allgemeingut mehr. Das hatte negative Auswirkungen auf die bäuerliche Selbstversorgung. Fleisch und Fisch, im Mittelalter für lange Zeit ein Teil des Speiseplans gewesen, nun wurde dieser Genuss zum Luxus. Es war um 1500, dass aus Jägern Wilderer wurden.

Viele Tiroler mussten auf den Schlachtfeldern den kaiserlichen Willen durchsetzen. Zahlreiche Auseinandersetzungen Maximilians fanden in unmittelbarer Nähe zu Tirol statt. Die Kriege verlangten den wehrfähigen Männern viel ab. Das änderte sich erst in den letzten Regierungsjahren. Über den geschickten politischen Zug des Tiroler Landlibells von 1511 konnte sich Maximilian die Zuneigung und Treue der Untertanen erkaufen und den Einfluss der Bischöfe von Brixen und Trient einschränken. Maximilian gestand den Tirolern in einer Art Verfassung zu, dass sie als Soldaten nur für den Krieg zur Verteidigung des eigenen Landes herangezogen werden dürfen.

Maximilians Wirken in Innsbruck zu fassen, ist schwierig. Er soll regelrecht verliebt in sein Land Tirol gewesen sein. Liebesbekundungen eines Kaisers schmeicheln natürlich der Volksseele bis heute. Seine materielle Hinterlassenschaft mit den vielen Prunkbauten verstärken dieses positive Image. Er machte Innsbruck zu einer kaiserlichen Residenzstadt und trieb die Modernisierung der Infrastruktur voran. Innsbruck wurde zum Zentrum der Rüstungsindustrie und wuchs wirtschaftlich und räumlich. Die Schulden, die er dafür aufnahm und das Landesvermögen, das er an die Fugger verpfändete, prägten Tirol nach seinem Tod mindestens ebenso wie die strengen Gesetze, die er der einfachen Bevölkerung verordnete. In der heutigen Volksseele sind die harten Zeiten nicht so präsent wie das Goldene Dachl und die in der Schule gelernten weichen Fakten und Legenden rund um den einflussreichen Kaiser. 2019 überschlug man sich mit den Feierlichkeiten zum 500. Todestag des für Innsbruck wohl wichtigsten Habsburgers. Der Wiener wurde wohlwollend eingebürgert. Salzburg hat Mozart, Innsbruck Maximilian, einen Kaiser, den Tiroler passend zur gewünschten Identität Innsbrucks als rauen Gesellen, der am liebsten in den Bergen ist, angepasst haben. Sein markantes Gesicht prangt heute auf allerhand Konsumartikeln, vom Käse bis zum Skilift steht der Kaiser für allerhand Profanes Pate. Lediglich für politische Agenden lässt er sich weniger gut vor den Karren spannen als Andreas Hofer. Wahrscheinlich ist es für den Durchschnittsbürger einfacher, sich mit einem revolutionären Wirt zu identifizieren als mit einem Kaiser.

Jakob Fugger: der reichste Mann der Geschichte

Es gibt wohl kaum eine ungekrönte Person, die größeren Einfluss auf die Geschichte Europas bis ins 20. Jahrhundert hatte als Jakob Fugger (1459-1525). Nicht nur deckt sich seine Lebenszeit mit der Kaiser Maximilians, die Schicksale der beiden Männer hingen eng aneinander. Auch die Geschichte Tirols wurde vom bedeutendsten Finanzmagnaten seiner Zeit bestimmt.

In der Region zwischen Florenz, Venedig und Mailand war eine frühe Form des Finanzkapitalismus entstanden. Das Bankwesen begann im Spätmittelalter hier seinen Siegeszug durch Europa zu starten. Kaufleute, die nicht Unmengen an Bargeld mit sich führen wollten, benötigten sogenannte Wechsel, um ihre Transaktionen durchführen zu können. In den bedeutenden Handelsstädten begannen sie deshalb Kontoreien aufzubauen. Auch in Innsbruck hatten italienische Finanzinstitute seit dem Hochmittelalter Niederlassungen.

Monarchen und Aristokraten Europas finanzierten ihren Hofstaat und die Kriegsführung über den Zehnten. Diese Abgabe wurde von den Bauern innerhalb des Feudalsystems geleistet. Besonders die Kriegsführung war, angetrieben durch moderne Schusswaffen, teurer geworden. Deshalb reichte dieser Zehent oft nicht mehr aus. Die Legitimation als Stellvertreter Gottes auf Erden hatte für Monarchen bis hierher funktioniert, um 1500 begannen klingende Münze und Zinsen in Form des Finanzkapitalismus langsam, aber sicher Gott als letztgültige Instanz abzulösen.

Jakob Fugger entstammte einer Augsburger Kaufmannsfamilie. Er und seine Brüder handelten Baumwolle mit norditalienischen Städten. In Venedig lernte Fugger auf seinen Handelsreisen die Kunst der doppelten Buchführung und die Feinheiten der fortschrittlichen italienischen Finanzwirtschaft kennen. Er erkannte schnell, dass mit Geldgeschäften und Krediten mehr zu verdienen war als mit Baumwolle.

Die Verbindung Jakob Fuggers mit dem Hause Habsburg und im Speziellen mit Tirol begann sich 1487 zu intensivieren. Der Tiroler Landesfürst Siegmund unterlag in einer kriegerischen Auseinandersetzung der Republik Venedig. Um seine Schulden gegenüber der Mittelmeermacht in Höhe von 100.000 Gulden zu bezahlen, lieh er sich Geld von den Fuggern. Dafür stellte er Schuldscheine aus, die er durch die Verpfändung der Schwazer Silbermine an seine Kreditgeber deckte. Schwaz war vor der Erschließung der amerikanischen Silberminen die größte der Welt. Die Fugger verkauften das Schwazer Silber an die Münze Hall, deren Eigentümer sie ebenfalls waren, und liehen diese Münzen wiederum Herzog Siegmund. Ein Kreislauf der besonderen Art war geboren.

Damit endete der politische Einfluss der Fugger aber nicht, vielmehr fing er erst an. Als 1490 die Tiroler Landstände Siegmund wegen seines desaströsen Geschäftsgebarens absetzten, folgte ihm Maximilian I. als Landesfürst Tirols nach. Fugger war klug genug auf den neuen Landesfürsten zu setzen. Das Wort Kredit, zurückgehend auf das lateinische credere, also glauben, zeigt sich in dieser Wahl. Fugger glaubte an einen mächtigen Maximilian als sein bestes Asset. Er finanzierte 1493 die Wahl Maximilians zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und sicherte sich damit seinen Einfluss. Als Maximilian 1519 starb, wiederholte Fugger dies und ließ über seine Finanzkraft Maximilians Enkel Karl V. zum Kaiser wählen. Fugger war es auch, der die Wiener Doppelhochzeit, Maximilians Meisterstück der Heiratspolitik, sponsorte, womit Ungarn ein Teil des Habsburgerreiches wurde.

Es wird geschätzt, dass das Finanzimperium Fuggers zum Zeitpunkt seines Todes etwa 50% des Staatshaushalt Tirols abwickelten und 10% der Vermögenswerte des Heiligen Römischen Reiches besaßen. Als Ausdruck seiner Verbundenheit und wohl auch seiner Verbindlichkeiten wurde Jakob Fugger in den Adelsstand erhoben. Seine Beamten verwalteten Minen in Tirol, Tschechien, der Slowakei und Spanien, finanzierten Handelsexpeditionen in der gesamten damals bekannten Welt und zahlreiche Kriege in Europa. Manchem Historiker gilt Jakob Fugger als der reichste Mann der Weltgeschichte. Wie hoch sein Vermögen war, ist schwer in heutige Maßstäbe umzurechnen. Als die FAZ 2016 einen Versuch unternahm, kam sie auf 300 Milliarden Dollar.

In Innsbruck erinnern das Palais Fugger-Taxis sowie eine kleine Gasse zwischen Maria-Theresien-Straße und Landhausplatz an die Fugger.

Innsbrucks Industrielle Revolutionen

Innsbruck ist heute als Wirtschaftsstandort vor allem für Universität, Krankenhaus, Verwaltung und Tourismus bekannt. Das war nicht immer so. Im 15. Jahrhundert begann sich in Innsbruck eine erste frühe Form der Industrialisierung zu entwickeln. Glocken- und Waffengießer wie die Löfflers errichteten in Hötting, Mühlau und Dreiheiligen Betriebe, die zu den führenden Werken ihrer Zeit gehörten. Die Industrie änderten nicht nur die Spielregeln im Sozialen durch den Zuzug neuer Arbeitskräfte und ihrer Familien, sie hatte auch Einfluss auf die Erscheinung Innsbrucks. Die Arbeiter waren, anders als die Bauern, keines Herren Untertanen. Kapital von außen kam in die Stadt. Wohnhäuser und Kirchen entstanden. Die großen Werkstätten veränderten den Geruch und den Klang der Stadt. Die Hüttenwerke waren laut, der Rauch der Öfen verpestete die Luft.

Die zweite Welle der Industrialisierung erfolgte im Verhältnis zu anderen europäischen Regionen in Innsbruck spät. Angehörige des Kleinadels investierten das Geld, das sie nach 1848 als Ablöse für ihre Ländereien im Rahmen der Grundentlastung erhalten hatten, in Industrie und Wirtschaft. Landwirte ohne Land machten sich vom Umland auf nach Innsbruck, um dort Arbeit zu finden. 1838 kam die Spinnmaschine über die Dornbirner Firma Herrburger & Rhomberg über den Arlberg nach Pradl. H&R hatte ein Grundstück an den Sillgründen erworben. Der Platz eignete sich dank der Wasserkraft des Flusses ideal für die schweren Maschinen der Textilindustrie. Über 20 Betriebe nutzten den Sillkanal um 1900. Der Lärm und die Abgase der Motoren waren für die Anrainer die Hölle, wie ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1912 zeigt:

„Entrüstung ruft bei den Bewohnern des nächst dem Hauptbahnhofe gelegenen Stadtteiles der seit einiger Zeit in der hibler´schen Feigenkaffeefabrik aufgestellte Explosionsmotor hervor. Der Lärm, welchen diese Maschine fast den ganzen Tag ununterbrochen verbreitet, stört die ganz Umgebung in der empfindlichsten Weise und muß die umliegenden Wohnungen entwerten. In den am Bahnhofplatze liegenden Hotels sind die früher so gesuchten und beliebten Gartenzimmer kaum mehr zu vermieten. Noch schlimmer als der ruhestörende Lärm aber ist der Qualm und Gestank der neuen Maschine…“

Wie 400 Jahre zuvor veränderte auch die Zweite Industrielle Revolution die Stadt nachhaltig. Stadtteile wie Pradl und Wilten wuchsen rasant. Während sich die neue vermögende Unternehmerklasse Villen in Wilten, Pradl und dem Saggen bauen ließ und mittlere Angestellte in Wohnhäusern in den selben Vierteln wohnten, waren die Arbeiter in Arbeiterwohnheimen und Massenunterkünften untergebracht.

Im Alltag vieler Innsbrucker kam es nach dem Revolutionsjahr 1848 und den neuen Gegebenheiten zu einer noch stärkeren Verbürgerlichung der Gesellschaft. Innsbruck erfuhr eine Gentrifizierung wie man sie heute in angesagten Großstadtvierteln wie dem Prenzlauer Berg in Berlin beobachten kann. Wie die Menschen die Verstädterung des ehemals ländlichen Bereichs erlebten, lässt uns der Innsbrucker Schriftsteller Josef Leitgeb in einem seiner Texte wissen:

„…viel fremdes, billig gekleidetes Volk, in wachsenden Wohnblocks zusammengedrängt, morgens, mittags und abends die Straßen füllend, wenn es zur Arbeit ging oder von ihr kam, aus Werkstätten, Läden, Fabriken, vom Bahndienst, die Gesichter oft blaß und vorzeitig alternd, in Haltung, Sprache und Kleidung nichts Persönliches mehr, sondern ein Allgemeines, massenhaft Wiederholtes und Wiederholbares: städtischer Arbeitsmensch. Bahnhof und Gaswerk erschienen als Kern dieser neuen, unsäglich fremden Landschaft.“

Der Wechsel vom bäuerlichen Leben des Dorfes in die Stadt beinhaltete mehr als einen örtlichen Wechsel. War der Grundherr am Land noch Herr über das Privatleben seiner Knechte und Mägde und konnte bis zur Sexualität über die Freigabe zur Ehe über deren Lebenswandel bestimmen, war man nun individuell zumindest etwas freier. Beda Weber schrieb dazu 1851:

Ihre gesellschaftlichen Kreise sind ohne Zwang, es verräth sich schon deutlich etwas Großstädtisches, das man anderwärts in Tirol nicht so leicht antrifft."

Das bis dato unbekannte Phänomen der Freizeit kam auf und begünstigte gemeinsam mit frei verfügbarem Einkommen einer größeren Anzahl an Menschen Hobbies. Vereine aller Art entstanden. Parks wie der Englische Garten beim Schloss Ambras waren nicht mehr exklusiv der Aristokratie zugänglich, sondern dienten den Bürgern als Naherholungsgebiete. Neue Grünanlagen wie der Rapoldipark und der Waltherpark entstanden.

Die bestehenden Gräben zwischen Stadt und Umland vertieften sich, was teils bis heute zu bemerken ist. Wer von der Universitätsstadt Innsbruck in eines der nahen Seitentäler reist, findet eine vollkommen andere Welt vor. Angefangen mit dem gesprochenen Dialekt unterscheidet sich bereits das wenige Kilometer südlich von Innsbruck gelegene Stubaital stark von der Landeshauptstadt, ganz zu schweigen von den weiter entfernten Seitentälern wie dem Ötztal im Westen oder dem Zillertal im Osten Tirols.