Saggen & Kohlstatt

Wissenswertes zum Saggen und zur Kohlstatt

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich Innsbruck nach allen Richtungen hin aus. Vergleicht man Karten des Jahres 1880 mit Karten des Jahres 1930 kann man das Wachstum des Viertels, das von einer Biegung des Inn, der Sill und den Viaduktbögen der Eisenbahn bis heute begrenzt wird, erkennen.  

Zwischen 1830 und 1870 stieg die Zahl der Einwohner von 12.000 auf 17.000. Studenten, Soldaten und Arbeiter aus allen Teilen des Reiches sowie Zuzüglern auf der Suche nach Arbeit aus dem Umland begannen Innsbruck wachsen zu lassen. Einer der Stadtteile, der sich besonders stark entwickelte, war der Saggen. Bereits 1453 wurde dieser Teil Innsbrucks der Stadt einverleibt. 1495 erwarb Maximilian I. den Teil, der bis heute als Kohlstatt bekannt ist, um hier die Rüstungsindustrie anzukurbeln. Rund um das Zeughaus entwickelte sich ein frühes Industriegebiet.

Bis ins 19. Jahrhundert gedieh der Saggen anschließend nur langsam. Dann begann auch hier, wie in den anderen Stadtteilen, ein exponentielles Wachstum. Während sich im heutigen Pradl und in Wilten ab 1850 viele Gewerbebetriebe ansiedelten, war der Saggen rund um den Claudiaplatz das Viertel für gehobenes bürgerliches Wohnen und Entertainment. Das Panorama des Riesenrundgemäldes und eine Radrennbahn waren ebenso Teil des Saggen wie die kurz nach 1900 eröffnete Hungerburgbahn. Die alte Kettenbrücke war eine aufsehenerregende Konstruktion.

Diese Infrastruktur war nicht mehr von der Aristokratie gestiftet und ihr vorbehalten wie die Gärten, Paläste und Jagdreviere vergangener Zeiten. Die Paläste des Saggen, das Waisenhaus und das Greisenasyl im klassizistischen Stil wurden vom wohlhabenden Privatier Johann von Sieberer gestiftet.

Im Osten wurde mit dem heute denkmalgeschützten Schlachthofblock in den 1920er Jahren eine der größten Wohnanlagen für Arbeiter errichtet, ein großer Kontrast zum westlichen Saggen, dem Villenviertel der Jahrhundertwende. Diese Häuser wurden ganz im Stil der jeweiligen Zeit gebaut. Tiroler Heimatstil, Klassizismus und Jugendstil reichen sich im Saggen die Hände. Dieser Historismus bestimmte die Architektur ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg als eine Wiederbelebung und teils wilde Mixtur aus allen möglichen Stilen der vergangenen Jahrhunderte. Dass man über die gehobene Erweiterung der Stadt im Innsbruck der Jahrhundertwende erfreut war, zeigt ein Zeitungsartikel vom 24.2.1900:

Im östlichen Stadterweiterungs-Gebiet am Saggen scheint sich in diesem Jahre eine außerordentlich rege Bauthätigkeit entwickeln zu wollen. Abgesehen davon, daß im Teile für geschlossene Bauweise 9 Gebäude, im Cottage vier Villen im Baue sind und noch in diesem Jahr vollendet werden, ist die weitere Erbauung von 6 Häusern, darunter zwei ausgedehnten Eckwohngebäuden am Claudiaplatz und in der Adolf-Pichlerstraße in sicherer Aussicht.

Die Straßennamen wurden vom bürgerlichen Publikum, das sich hier ansiedelte, ausgewählt. Haydn, Bruckner, Schubert, Stifter, Goethe, Schiller, Wagner und Mozart standen Pate für die neuen Straßenzüge. Diese Straßennamen geben auch Auskunft über die Machtverhältnisse in der Innsbrucker Stadtpolitik der Jahrhundertwende. Die Liberalen, die vielfach den Bürgermeister stellten, waren großdeutsch gesinnt. In den Kulturschaffenden, nach denen die Straßen benannt wurden, sollte sich die gemeinsame Geschichte, Kultur und nationale Einheit des Deutschen Reichs und des Kaiserreichs Österreich widerspiegeln.

Heute gilt der Saggen in der Wahrnehmung der meisten Innsbrucker vor allem als altehrwürdiges Nobelviertel Innsbrucks. Auf breiten Alleen mit den sehenswerten Villen und der Szene im Blocksaggen bietet sich der Saggen als abwechslungsreicher Spaziergang an. Das Zeughaus und der nordwestliche Teil zwischen Hofgarten und Christuskirche lassen jede Geschäftigkeit vermissen. Das Viertel versprüht mit seinen Wohngebäuden, den kleinen Geschäften, vor allem aber dank seiner prächtigen Villen bis heute den Charme der Belle Epoque. Es gibt nur wenige Gasthäuser oder Cafés. Vergeblich sucht man hier nach großen Geschäften, ganz zu schweigen von einem Einkaufszentrum. Für den durchschnittlichen Innsbrucker mag es unerschwinglich sein, auch nur an ein Haus hier zu denken.

Das ist aber nur ein Gesicht des Saggens. Der östliche Teil rund um die Viaduktbögen der Ing.-Etzel-Straße und die Messehalle, der sogenannte Blocksaggen, hat sich über die letzten Jahrzehnte zu einem hippen Grätzel entwickelt. In den Bögen haben sich Restaurants, Bars, Pubs, Kaffeeröster, Bierbrauer und Nachtclubs angesiedelt. Dazwischen bevölkern Werkstätten und kleine Shops die Geschäftslokale. Während im ehemaligen Arbeiterviertel Wilten mittlerweile vor allem Studenten in WGs hausen, ist der Saggen zum Viertel der Kfz-Mechaniker, Barflies und Hipster geworden.