Olympische Spiele in Innsbruck
Olympische Spiele in Innsbruck
Es gibt Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis einer Gemeinschaft über Generationen hinweg Bestand haben. Man muss nicht dabei gewesen sein, ja noch nicht mal auf der Welt, damals am Patscherkofel am 5. Februar 1976, als Franz Klammer in der Herrenabfahrt in seinem gelben Einteiler zum Sieg in der Olympiaabfahrt der Herren raste. Franz Josef I. mag den Patscherkofel 1848 bestiegen haben, zur Legende auf diesem Berg aber wurde Kaiser Franz. „Jawoll! 1;45,73 für unseren Franzi Klammer,“ schallte es damals aus zahllosen TV-Geräten in Österreich. Zwölf Jahre zuvor war es vor allem das Radio, das den Menschen die Olympischen News ins Haus brachte. Um dem Nationalhelden Klammer auf seinem Teufelsritt folgen zu können, durften die Innsbrucker Schüler wie bereits 1964 an diesem Tag zu Hause bleiben. Auch sonst waren die Straßen leergefegt. Klammer schaffte das, was etliche Kaiser, Könige und Politiker nicht geschafft hatten. Er einte die Nation Österreich. “Mi hats obageibtlt von oben bis unten, I hatt nie gedacht, dass i Bestzeit foa,“ gab Klammer im Kärntner Dialekt beim Siegerinterview zu Protokoll. Kein Tiroler, nobody is perfect, aber die Olympischen Spiele waren für die Gastgebernation Österreich schon am zweiten Tag gerettet. 1976 fanden die Olympischen Winterspiele bereits zum zweiten Mal in Innsbruck statt. Eigentlich wäre Denver an der Reihe gewesen, wegen eines Referendums auf Grund finanzieller und ökologischer Bedenken trat man in Colorado als Ausrichter zurück. Innsbruck setzte sich als Gastgeber im zweiten Versuch gegen Lake Placid, Chamoix und Tampere durch. Zum ersten Mal war man 12 Jahre zuvor Ausrichter der Olympiade gewesen. Vom 29. Januar bis zum 9. Februar 1964 war Innsbruck der Nabel gewesen, nachdem man sich mit der Bewerbung gegen Calgary und Lahti durchgesetzt hatte. Erheblicher Schneemangel bereitete Probleme bei der Durchführung etlicher Events. Nur mit Hilfe des Bundesheeres, das Schnee und Eis aus dem Hochgebirge zu den Wettkampfstätten brachte, konnten die 34 Bewerbe über die Bühne gehen. Die Eröffnungsfeier im randvollen Berg Isel Stadion ist auf Archivbildern gut nachzuvollziehen. Anders als die aufwändigen Zeremonien der heutigen olympischen Spiele ging das Prozedere in den 60er Jahren noch unspektakulär vonstatten. Die Wiltener Stadtmusik erfreute unter Leitung des umstrittenen Kapellmeisters Sepp Tanzer, der nach dem Krieg mit einem Berufsverbot belegt worden war, die internationalen Gäste mit Tiroler Blasmusik. Beim Einmarsch der Fahnen konnten Besucher zum ersten Mal im Rahmen von olympischen Spielen die Flagge Nordkoreas erblicken. Das Entzünden der olympischen Flamme wurde von den Tiroler Schützen bewacht. Auch die Bilder der Sportbewerbe zeigen das Bild einer wesentlich weniger aufwändigen Veranstaltung. Das Bobrennen fand zum ersten Mal auf einer Kunsteisbahn statt, wenn auch noch nicht im heutigen Igler Eiskanal. Die Eishockeyspiele wurden zum Teil noch in der Messehalle in sehr moderatem Rahmen abgehalten. Im Eishockey triumphierte die Sowjetunion vor Schweden. Mit 11 Goldmedaillen sicherte sich die UDSSR auch Platz 1 im Medaillenspiegel, mit vier Goldenen wurde Österreich sensationell Zweiter. Als Logo wurden lediglich die Olympischen Ringe über das Wappen der Stadt gelegt, ein Maskottchen gab es noch nicht. Skibewerbe, wie der Slalom und Riesenslalom der Damen, in dem sich in jeweils anderer Konstellation die französischen Schwestern Christine und Marielle Goitschel Gold und Silber umhängen ließen, fanden in der Axamer Lizum statt. Am Berg Isel verfolgten laut offiziellen Angaben 80.000 Zuschauer das Spektakel, als sich der Finne Veikko Kankonnen Gold sicherte. Am Berg Isel fand auch die Eröffnung der Spiele statt. Die diesmal 37 Bewerbe der zweiten Olympischen Spiele 1976 fanden zu einem großen Teil an den gleichen Wettkampforten in Innsbruck, Axams, Igls und Seefeld statt wie 1964. Eisstadion und Skisprungarena waren noch immer olympiatauglich. In Igls wurde eine neue Kunsteisbahn gebaut. Die Axamer Lizum erhielt eine neue Standbahn, um die Athleten zum Start auf den Hoadl zu bringen. Zur Erinnerung an 1964 wurden am Berg Isel während der Eröffnung zwei Flammen entzündet. 1976 war Schnee erneut Mangelware im Vorfeld und man bangte erneut, rechtzeitig schlug das Wetter im letzten Moment aber um und bescherte Innsbruck das Weiße Gold. Das Schneemanndl, ein runder Schneemann mit Karottennase und Tiroler Hut, das Maskottchen der Spiele von 1976 war wohl ein gutes Omen. Die größte Veränderung zwischen den beiden olympischen Spielen innerhalb von zwölf Jahren war der Status der Athleten. Waren bei den ersten Spielen offiziell nur Amateure am Start, also Sportler, die einem Beruf nachgingen, konnten 1976 Profisportler antreten. Für Österreich und Franz Klammer, dessen Nichtantreten bei den olympischen Spielen 1972 zum Politikum geworden war, änderte das den Verlauf der Spiele. Die Goldmedaille in der Herrenabfahrt, ein nationales Anliegen, war in Reichweite. Auch die Übertragungs- und Fotoqualität war um einiges höher als bei der ersten Innsbrucker Edition. Die deutsche Skirennläuferin Rosi Mittermaier wurde perfekt in Szene gesetzt bei ihren Fahrten zu Doppelgold und Silber bei den Damenskirennen. Das Eishockeyturnier gewann erneut die Sowjetunion vor Schweden, bereits zum vierten Mal in Folge. Die US-Auswahl wurde wie schon 1964 Fünfter. Vier Jahre später sollte es in Lake Placid zum legendären Miracle on Ice, bei dem die USA die Russen im Kalten Krieg auf Kufen bezwingen sollten. Auch der Medaillenspiegel sah am Ende die UDSSR wieder ganz oben, diesmal vor der DDR. Österreich konnte nur zwei Goldene erringen. Mit Klammers Gold in der Abfahrt war dies allerdings nur Nebensache. Der Patscherkofel und Österreichs Franzi sind seither untrennbar miteinander verbunden. Und auch wenn die Innsbrucker nicht ganz so sportlich sind, wie sie gerne wären, den Titel der Olympiastadt kann nach zwei Ausgaben plus einer Universiade und den Youth Olympic Games niemand wegdiskutieren.
Auch für die un-sportliche Infrastruktur griff man bei beiden Spielen kräftig in die Taschen. Nach dem raschen Wiederaufbau der Stadt nach dem Krieg kam es im Vorfeld zu einer Modernisierung der Stadt. Die erste olympische Edition Innsbrucks fiel in die Zeit des Wirtschaftswunders. 1963 wurde die Olympiabrücke, die den Westen der Stadt mit den Wettkampfstätten verband, gebaut. Bis dahin ging der Ost-West Verkehr Innsbrucks kompliziert durch die Innenstadt. Die einzelnen Straßen zwischen der Amraser-See-Straße im Osten und der Bachlechnerstraße im Westen, aus denen die Hauptverkehrsader Südring heute besteht, wurden erst in der Folge ausgebaut und waren bis dahin ruhige Teile der Vorstadt. Wiesen und Felder prägten die Szenerie. Der Vergleich von Luftaufnahmen von 1960 und 2020 ist faszinierend. In Amras standen da, wo sich heute die tägliche Rush Hour abspielt, bis in die 1970er Jahre Bauernhöfe und einzelne Wohnhäuser. In der heutigen Egger-Lienz-Straße beim Westbahnhof verlief das Bahnviadukt der Westbahn. Alte Fotos zeigen die Gleise, daneben Bäume und spielende Kinder. Rund um die heutige Graßmayrkreuzung entstand fast im Vorbeigehen ein neuer Stadtteil. Das Kaufhaus Forum, hier befindet sich heute ein Kino, war eine Sensation und ein Zeichen für die Modernisierung Innsbrucks. Für die wurde zwei Mal ein olympisches Dorf aus dem Boden gestanzt. Der heutige Stadtteil O-Dorf im Osten der Stadt fungierte während der Spiele als Olympisches Dorf für die Athleten, das durch die Reichenauer Brücke über den Inn mit der Innenstadt und den Wettkampfstätten verbunden wurde. In der kaum besiedelten Arzler Au wurde 1961 mit dem Bau der ersten Wohnblöcke begonnen. Der Arzler Schießstand, den man auf einer Landkarte von 1960 noch sehen kann, wurde eine Talstufe weiter nach oben verlegt. In den 1970er Jahren kamen weitere Blöcke dazu. Das Olympische Dorf genießt unter Innsbruckern als Wohnviertel nicht den besten Ruf. Das geht auf seine Historie zurück. In den von Armut und Wohnungsnot geprägten 1930er Jahren (109) war am Gebiet der heutigen Reichenau die sogenannte Bocksiedlung entstanden, eine wilde Ansammlung von Baracken und Wohnwägen, die vom inoffiziellen Bürgermeister der Siedlung Johann Bock (1900 – 1975) wie eine unabhängige Kommune geleitet wurde. Die Bockala hatten einen fürchterlichen Ruf, das Leben in der Siedlung war arm und von Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägt. Um Wohnungen auf dem Gebiet bauen zu können, musste die Stadt Innsbruck in den 1950ern mit Johann Bock verhandeln. Erst ein Brand in der Siedlung zwang die letzten Bockala 1963 zum Aufgeben. Viele wurden nach den Olympischen Spielen in städtische Wohnungen in Pradl, der Reichenau und eben auch im O-Dorf einquartiert. Die Sitten der Bocksiedlung lebten noch einige Jahre fort, was den schlechten Ruf des Stadtviertels bis heute ausmacht. Tatsächlich ist das O-Dorf, trotz der wenig beschaulichen Hochhäuser im Stil der 1960er und 1970er Jahre wegen seiner Lage am Inn, den Grünflächen und der großartigen Anbindung an den öffentlichen Verkehr mittlerweile ein lebenswertes Grätzel. Viele weitere Bauten in Innsbruck, die während der Olympiade als Infrastruktur für Presse und Medien genutzt wurden, gehen ebenfalls auf die Olympischen Spiele zurück. Die Pädagogische Akademie PÄDAK in Wilten, die IVB-Halle und das Landessportheim können als olympisches Erbe betrachtet werden. Ebenfalls ein Erbe der olympischen Spiele ist etwas, das man heute verzweifelt zu ändern versucht: Das olympiabedingte Wachstum fiel mit den 60er und 70er Jahren in die frühe und unreflektierte Blütezeit des Automobils. Die Infrastruktur der Stadt drückt diesen Wandel noch in vielen Belangen aus.