Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485
Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485
Das Mittelalter wird in Büchern und Filmen oft als dunkles Zeitalter porträtiert, in dem tyrannische Aristokraten und blutrünstige Raubritter mausgrau gekleidete Bauern unterdrücken und Frauen ohne Prozess als Hexen am Scheiterhaufen verbrannt werden. Diese Darstellung entspricht in keinerlei Hinsicht den Tatsachen. Weder war das Mittelalter eine farblose Epoche, tatsächlich war die Zeit bis 1500 sogar ausgesprochen farbenfroh, noch war sie von Gesetzlosigkeit und Willkür geprägt. Das Mittelalter war auch nicht die große Zeit der Hexenverbrennungen im großen Stil. Diese dunkle Episode sollte erst im 16. Jahrhundert starten. Seinen Anfang nahm dieses finstere Kapitel der Geschichte im Jahr 1485 zum Teil in Innsbruck unter Mitwirkung Heinrich Kramers, dem Verfasser des Hexenhammers.
Die wirtschaftlichen und sozialen Umstände in Städten wie dem vormodernen Innsbruck waren ein guter Nährboden für Hexenprozesse. Städte wuchsen überdurchschnittlich schnell. Beamte, Hofdiener, Schausteller, Soldaten, Händler und anderes „fremdes Volk“ erregte Unsicherheit. Die Sterblichkeit bei Kindern unter 10 Jahren lag bei annähernd 50%. Wetterberichte, anhand derer Bauern ihre Tätigkeit hätten ausrichten können, gab es ebenfalls nicht. Nahrungsmittel waren dauerhaft knapp, was zum vermehrten Auftreten von Krankheiten und Missbildungen aller Art führten. Medizin und Wissenschaft waren noch nicht so weit, um all das zu erklären.
Vieles wurde deshalb überirdischen Mächten zugeschrieben. Es gab im Aberglauben der Menschen schwarze, also schädliche, und weiße, helfende Magie. Heilige wurden um Beistand gebeten. Prozessionen und Gebete sollten helfen, dem Teufel und der Verdammung im Leben nach dem Tod zu entgehen. Schädliche Gegenstände wie Knochensplitter ungetauft verstorbener Kinder oder Holzstücke eines Galgens brachten Unglück, Reliquien hingegen waren heiß begehrte Artefakte, um sich davor zu schützen. Schon in kleinsten Partikeln des Körpers eines Heiligen wurden Kräfte vermutet, die Wunder wirken konnten. Liebes- oder Krankheitszauber, Flüche, Teufelsanbetung – die Gründe, warum man der Hexerei angeklagt werden konnte im Innsbruck des 15. Jahrhunderts waren mannigfaltig.
Heinrich Kramer war ein frauenfeindlicher, abergläubischer, vom Glauben an den Teufel und die Apokalypse getriebener, unglücklicherweise vom Papst mit einer Vollmacht zur Hexenjagd ausgestatteter religiöser Eiferer, der sich genau diese Situation zu Nutze machte. Ähnlich einem Schausteller zog er als Inquisitor durchs Land und kam 1485 nach Innsbruck. Seine Darlegungen und Predigten rund um Magie und Zauberei fielen in Innsbruck auf fruchtbaren Boden. Kramer ermunterte sein Publikum der Hexerei Verdächtige zu melden, was dankend angenommen wurde. Neid und Missgunst waren innerhalb der Stadtgemeinde Teil des Alltags. Streitigkeiten über Denunziation zu regeln, war ein von einigen Stadtbürgern gerne in Anspruch genommenes Mittel. 50 Personen, der Großteil davon Frauen, standen nach Denunziation durch Mitbürger wegen des Vorwurfs der Häresie im Verdacht der Hexerei. Nach Verhaftungen und Verhören wurden sieben Personen angeklagt, ihnen drohte die Todesstrafe. Die Gründe für die Anklagen waren mannigfaltig. Helene Scheuberin wurde zum Beispiel vorgeworfen, den Ritter Jörg Spiess per Magie vergiftet zu haben.
Es war der Brixner Bischof Golser, der an Kramers Darstellung zweifelte und einschritt. Sein Gesandter stellte schwere Verfahrensmängel fest. Ein Anwalt wurde dazu erkoren, alle sieben Angeklagten Frauen vor Gericht zu vertreten. Schließlich wurden alle Verdächtigen freigelassen. Der Bischof forderte Kramer auf, Tirol zu verlassen. „In der Praxis zeigte sich seine Dummheit, denn er unterstellt vieles, was gar nicht erwiesen war,“ schrieb Golser in einem Brief. Dieser für ihn enttäuschende Prozess war der Startschuss einer zweifelhaften Karriere für den in seiner Ehre beleidigten Kramer. Im Anschluss an diese Episode verfasste er sein Werk Der Hexenhammer. Er leitete es sogar bezugnehmend auf Innsbruck ein mit „aber was, wenn ich alle (Fälle) berichten wollte, die allein in jener Stadt gefunden worden sind? Es hieße, ein Buch zu verfassen.“
Kramers Schrift wurde zum Standardwerk der Inquisitoren Europas. Fast gleichzeitig feierte der Buchdruck um 1500 seinen großen Durchbruch und vereinfachte die Verbreitung dieser Anleitung zur Hexenjagd und den Prozessen. Es ist zu bemerken ist, dass die meisten Hexenprozesse nicht vor kirchlichen Gerichten verhandelt wurden. Häresie war ein weltliches Verbrechen, für deren Durchführung zumindest am Papier Richtlinien galten. Folter war geregelt, was sie nicht weniger fürchterlich machte, zumindest aber ein wenig der Willkür wegnahm.
In Europa starben geschätzt zwischen 100.000 und 150.000 Menschen als Ketzer, Hexen und Zauberer. Dabei traf es Eliten, die Neid erregten ebenso wie Protestanten, Randgruppen und sozial Schwache, die als Sündenböcke für Unwetter, Krankheit und sonstiges Unglück herhalten mussten. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau war dabei etwa 1:3. Innsbruck sollte nach 1485 von weiteren Hexenverfolgungswellen verschont bleiben. Das Einschreiten Golsers und eines Teils der Innsbrucker spielten dabei eine entscheidende Rolle.