Von Maultasch, Habsburgern und dem Schwarzen Tod
Von Maultasch, Habsburgern und dem Schwarzen Tod
Zwischen dem letzten Grafen von Andechs und dem ersten Tiroler Landesfürsten aus dem Haus Habsburg lagen 115 bewegte Jahre der Innsbrucker Stadtgeschichte. Nach dem letzten Andechser lenkten die Grafen von Tirol für etwa 100 Jahre die Geschicke des Landes und somit zu einem guten Teil auch der Stadt Innsbruck. Meinhard II. von Tirol (1239 – 1295) konnte mit geschickter Politik und etwas Glück sein Territorium vergrößern. Er schaffte es den Flickenteppich am Gebiet des heutigen Tirols von seiner Stammburg in Meran aus zu einem einheitlicheren Ganzen zu einen. Sein Nachfolger als Tiroler Landesfürst, Herzog Heinrich von Kärnten (1265 – 1335), zählte zu den wichtigsten Aristokraten im Heiligen Römischen Reich. Ein männlicher Nachfolger allerdings war ihm nicht beschieden gewesen. Noch vor seinem Tod hatte Heinrich aber sichergestellt, dass seine Tochter Margarethe seine Nachfolge antreten konnte.
Margarethe „Maultasch“ von Tirol-Görz (1318 – 1369) zählt zu den bekanntesten weiblichen Figuren der Tiroler Geschichte. Sie war in zweiter Ehe mit Ludwig von Brandenburg, einem Wittelsbacher verheiratet. Die Wittelsbacher waren damals als Herzöge von Bayern die großen Widersacher der Habsburger innerhalb des Heiligen Römischen Reichs. Das Problem war, dass Margarethe von ihrem ersten Ehemann Johann-Heinrich von Luxemburg noch gar nicht geschieden war. Dieser ungeliebte böhmische Adlige war von der Tiroler Bevölkerung 1341 aus dem Land gescheucht worden, zu einer offiziellen Scheidung kam es aber nicht. Der Papst das Land Tirol wegen der „unheiligen“ Ehe seiner Landesfürstin mit einem Bannfluch belegt. Dieses Interdiktum war für die Menschen im Mittelalter eine der härtesten Strafen. Es verbot in den Kirchen des Landes das Abhalten von Messen und die Erteilung der Kommunion. Es war wohl in dieser Zeit, dass Margarethe den Spitznamen Maultasch verpasst bekam. Zeitgenössische Portraits, die auf einen deformierten Mund hinweisen würden, sind nicht vorhanden. Die Bilder, die wir heute von Margarethe Maultasch haben, stammen frühestens aus dem 16. Jahrhundert.
Die Regierungszeit Margarethes war von mehreren Krisen gekennzeichnet. Das 14. Jahrhundert sah eine Klimaerwärmung Europas, die eine Heuschreckenplage zur Folge hatte. Auch in Tirol kam es infolgedessen zu Missernten und Hungersnöten. Damit nicht genug. Von 1348 bis 1350 wurde Europa von der Pest heimgesucht. Von Venedig aus über Trient und das Etschtal kam die Krankheit wohl nach Innsbruck. Der Schwarze Tod dezimierte die Bevölkerung und brachte für die Überlebenden wirtschaftliche Not und Elend. Viele Informationen sind in den Archiven dazu nicht zu finden, die Folgen der Seuche waren aber wie in ganz Europa verheerend. Eine an der Pest erkrankte Innsbruckerin sprach in ihrem Testament vom „gemeinen Sterben, das im Land umgeht“.
Die Menschen konnten sich Phänomene wie Missernten und Pest nicht erklären. Viele sahen die Verwüstung des Landes als eine Strafe Gottes an und Margarethe dafür verantwortlich, war der päpstliche Bannfluch doch ihretwegen verhängt worden. Die Gründe lagen wohl woanders. Innsbruck war weder eine gepflasterte Stadt noch gab es das Abwassersystem oder die Trinkwasserversorgung, die sich kurz später etablieren sollten. Tiere und Menschen teilten sich den engen Platz innerhalb der Stadtmauern unter unhygienischen Bedingungen, was den Schwarzen Tod wohl eher anfachte als der päpstliche Bannfluch.
In dieser Zeit etablierte sich in Innsbruck das 1350 erstmals erwähnte Untere Stadtbad in der heutigen Badgasse. Bäder dienten nicht nur zur Reinigung, hier erfolgte die medizinische Versorgung nach damaligen Standards beim Bader. Bader waren fahrende oder ortsansässige Heilkundige, die Kranke behandelten, Wunden nähten oder Zähne zogen. Die gängige Lehrmeinung bis in die Neuzeit war die Vier-Säfte-Lehre. Im Körper gab es laut dieser These ein Gleichgewicht von Blut, Schleim, schwarzer Galle und gelber Galle. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führt zu Krankheit. Das Gleichgewicht wurde durch gotteslästerliche Lebensführung, falsche Ernährung, übertriebene sexuelle Aktivität oder Miasmen in der Luft gestört. Auch Wasser stand im Verruf, über die Haut einzudringen und das Säfteverhältnis im menschlichen Körper durcheinanderzubringen, weshalb man nach dem Baden zur Ader gelassen werden sollte. Formal an Universitäten ausgebildete Ärzte gab es zwar, allerdings nicht besonders viele. Übernatürliches galt als real, auch in der medizinischen Versorgung. Der wissenschaftliche Ansatz der Universitäten dieser Zeit dem der praxisorientierten Bader nicht unbedingt überlegen.
Der Habsburger Rudolf IV. (1339 – 1365) hatte sich während der 1350er Jahre um eine Versöhnung zwischen dem Papst und den Fürsten von Tirol eingesetzt, nicht ganz ohne Eigeninteresse natürlich. Margarethes Sohn Meinhard III. war mit Margarethe von Österreich, einer Habsburgerin, verheiratet. Herzog Ludwig starb 1361, im Jahr 1362 verschied auch Meinhard. Der als Gegenleistung für die Intervention beim Papst ausgedungene Erbvertrag regelte die Nachfolge in der Grafschaft Tirol sehr günstig für die Habsburger. Margarethe übergab die Regierungsgeschäfte 1363 mit der Zustimmung des Tiroler Adels an Rudolf IV. von Österreich.
Die Herzöge von Bayern aus dem Haus Wittelsbach wollten diesen Erbvertrag nicht anerkennen, der ihre Ansprüche auf Tirol für nichtig erklärte. Noch 1363 zogen sie Richtung Innsbruck, um das Recht mit Waffengewalt zu zurechtzubiegen. Die zum Wehrdienst verpflichteten Bürger Innsbrucks konnten die durch die Andechsburg und die Stadtmauer befestigte Stadt erfolgreich verteidigen. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass es der Wittelsbacher Ludwig war, der die Stadtmauern hatte erhöhen und verstärken lassen.
Ohne Rudolfs Skrupellosigkeit und seinen Schwindel wäre die Geschichte Innsbrucks ganz anders verlaufen. Mit dem Erwerb Tirols konnte die Familie Habsburg eine wichtige geographische Lücke innerhalb ihres Machtbereichs schließen. Durch die Eingliederung der Stadt in das wesentlich größere Territorium der Habsburger gewann Innsbruck zusätzlich an Bedeutung, während die eigentliche Hauptstadt Meran weiter an den Rand gedrängt wurde. Neben dem Nord-Süd Transport von Waren, war die Stadt am Inn nun auch zu West-Ost Verkehrsknoten zwischen den östlichen Österreichischen Ländern und den alten Besitztümern der Habsburger im Westen geworden. Gleichzeitig kam es durch die für die Überlebenden der großen Pestwelle von 1348 zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in ganz Europa. Arbeitskraft war durch die geschrumpfte Bevölkerung rar geworden, dafür waren pro Kopf größere Ressourcen vorhanden. Für die Innsbrucker, die die turbulente erste Hälfte des 14. Jahrhunderts überlebt hatten, sollten nun bessere Zeiten beginnen.