Nordkette von der Wiesengasse aus

Nordkette von der Wiesengasse aus

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Die Macht der Geographie

Was jedem Besucher Innsbrucks zuallererst auffällt, sind die Berge, die die Stadt einzukesseln scheinen. Diese Bergwelt ist nicht nur wunderschön anzusehen, sondern beeinflusste schon immer vieles in der Stadt. Das fängt bei vermeintlichen Kleinigkeiten wie dem Wetter an, wie uns der zeitgenössische Blick aus vergangenen Tagen beweist:

"Eine eigene Erscheinung ist der warme Wind oder Scirocco. Er kommt aus dem Süden, prallt am Nordgebirge ab, und fällt mit Gewalt ins Thal. Er macht gern Kopfweh, schmelzt aber die winterlichen Schneemasen schnell und befördert die Fruchtbarkeit ungemein. Dadurch wird in Innsbruck die Pflanzung des Maises möglich"

Dieses Wetterphänomen mag seinen Namen von Scirocco auf Föhn geändert haben und Verkehr war 1851 noch kein großes Problem. Genau wie der Innsbrucker Autofahrer heute jammerten aber mit Sicherheit der Hufschmied in der Altstadt im Jahr 1450 und der aus Mittelitalien in die Alpen abkommandierte Legionär im Jahr 350 über den warmen Fallwind, der mehrmals pro Monat alle verrückt zu machen scheint. Waren früher die Menschen froh um die warme, den Schnee auf den Feldern schmelzende Luft, jammern Touristiker heute über die aperen Skipisten auf der Nordkette.

Die Lage zwischen dem Wipptal im Süden und der Nordkette beeinflusst nicht nur die Migränehäufigkeit, sondern auch die Freizeitgestaltung der Innsbrucker, wie Beda Weber erkannte. "Die Einwohner zeichnen sich durch ihre Leutseligkeit und Wohlthätigkeit aus, sie lieben besonders Landausflüge in der schönen Jahreszeit.“ Man mag über Leutseligkeit und Wohlthätigkeit der Innsbrucker streiten, Landausflüge in Form von Wanderung, Skitour oder Radfahren erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit. Kein Wunder, Innsbruck ist von Bergen umgeben. Innerhalb weniger Minuten kann man von jedem Ort in der Stadt aus mitten im Wald stehen. Junge Menschen aus ganz Europa verbringen ihre Studienzeit zumindest zu einem Teil an der Universität Innsbruck, nicht nur wegen der hervorragenden Professoren und Einrichtungen, sondern auch um ihre Freizeit auf den Pisten, Mountainbikerouten und Wanderwegen zu verbringen, ohne auf urbanes Flair vermissen zu müssen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Die Universität als großer Arbeitgeber und Ausbildungsort kurbelt die Wirtschaft an, gleichzeitig steigen durch auswärtige Studenten die Lebenserhaltungskosten in der Stadt, die zwischen den Bergen eingeklemmt räumlich nicht weiterwachsen kann.

Der Aufstieg Innsbrucks zum politischen Zentrum Tirols im 15. Jahrhundert ist ebenfalls zu einem großen Teil auf die Lage der Stadt zurückzuführen. Die ehemalige Landeshauptstadt Meran hatte in ihrer Abgelegenheit keine Chance gegen den Knotenpunkt zwischen Brenner, Scharnitz und Achenpass. Der Brennerpass ist sehr niedrig und erlaubt es, den Alpengürtel, der sich rund um Italiens Nordgrenze schlängelt, verhältnismäßig einfach zu überqueren. In den Zeiten vor die Eisenbahn Waren und Menschen mühelos von A nach B brachte, war die Alpenüberquerung harte Arbeit, der Brenner eine willkommene Erleichterung.

Der Standort zwischen Italien und Deutschland begünstigte auch den Tourismus, der schon früh Fuß fassen konnte. Reisende schätzten die Kombination aus leichter Erreichbarkeit, städtischer Infrastruktur und alpinem Flair. Mit der Erschließung des Landes im Gebirge durch die Eisenbahn konnte man bequem anreisen, seine Freizeit in der Bergwelt oder einem der Kurbäder verbringen, ohne auf den Komfort des Stadtlebens verzichten zu müssen.

Neben den Bergen waren die Flüsse maßgeblich an der Entwicklung Innsbrucks beteiligt. Das Trinkwasser kam seit den Zeiten Maximilians von der Nordkette in einer Leitung in die Stadt, für alles andere waren Inn und Sill zuständig. Am Inn wurde gewaschen, Abfälle wurden entsorgt und das Vieh zur Tränke geführt. Waren wurden auf Flößen am Inn von Westen nach Innsbruck und von Innsbruck nach Osten verschifft. Die Innbrücke spülte Zolleinnahmen in die Stadtkassa. Ebenso wichtig wie der Inn war der kleinere Fluss, der Innsbruck durchquert. Dort wo heute die Sill die Sillschlucht verlässt, entstand am Grund des Stiftes Wilten der Sillkanal, der die Stadt mit Wasser versorgte. Anfangs vor allem zum Brandschutz gedacht, machten sich die Betriebe an diesem künstlich angelegten Kanal das fließende Wasser bald für den Betrieb von Mühlen zur Energiegewinnung dienstbar. Die Kleine Sill floss knapp 3 Kilometer von Wilten zur Innenstadt zum Gebiet der heutigen Ing.-Etzel-Straße im Saggen und Dreiheiligen bis zur Pradler Brücke, wo sie sich wieder mit dem Hauptfluss vereinigte. Knapp 700 Jahre lang versorgte der Sillkanal Innsbruck mit Wasser und Energie. Erst in den 1970er Jahren verschwanden die letzten Teile davon, nachdem Bombentreffer ihn während des Zweiten Weltkriegs beschädigt hatten.

Nicht zuletzt ist es der breite Talkessel, der die Entwicklung Innsbrucks begünstigte. Während die Bauern in den höhergelegenen Seitentälern harte Bedingungen vorfanden, bot das Inntal fruchtbaren Boden und genügend Fläche für Viehzucht und Ackerwirtschaft. Die Urbarmachung der Landschaft erlaubte das Wachstum der Stadt. Im 13. Jahrhundert war es rund um Innsbruck wie in vielen Teilen Europas deshalb zu frühen großen und langfristigen Eingriffen des Menschen für wirtschaftliche Zwecke in die Natur gekommen. Bis ins Hochmittelalter war das Inntal wesentlich stärker bewaldet gewesen. Durch das Städtewachstum und den Bevölkerungsaufstieg stieg auch der Bedarf nach Nahrungsmitteln. Anders als oft dargestellt, war das Mittelalter keine primitive Zeit des Stillstands, während der Menschen sich zum Allmächtigen betend den unerklärlichen Naturgewalten aussetzten. Es war eine dynamische Zeit, vor allem ab dem 12. Jahrhundert verließ man sich nicht mehr auf Gebete und Gottes Gnade, um den Auswirkungen regelmäßig auftretender Ernteausfälle zu entkommen. Innovationen wie die Dreifelderwirtschaft ermöglichten die Ernährung der landwirtschaftlich gesehen unproduktiven Stadtbevölkerung, die man im modernen Sprachgebrauch als Overhead bezeichnen würde. Der Mais, den Beda Weber schon 1851 im Innsbrucker Stadtbild für erwähnenswert hielt, wächst noch immer munter vor sich hin und gibt auch heute großen Flächen am Stadtrand einen landwirtschaftlichen Anstrich.