Bereits in der frühen Neuzeit führte eine Brücke über die Sill. Hier begann der von Ferdinand II. befestigte Fürstenweg, der bis zum Schloss Ambras führte. Der nördliche Teil dieser frühen Nord-Süd-Verbindung ist die heutige Pradlerstraße. Ein Blick auf den Werdegang dieses kleinen Gebietes erzählt die Entwicklungsgeschichte Innsbrucks zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert. Durch das Mittelalter und die frühe Neuzeit hindurch war Pradl eines von vielen kleinen bäuerlichen Dörfern, die die Stadt Innsbruck mit Nahrungsmitteln versorgten. Einige der Höfe sind bis heute in ihren Grundzügen erhalten.
Sehenswert sind die liebevoll renovierten Fassaden. Das Haus Pradlerstraße 9 an der Ecke zur Reichenauerstraße zeigt an der nördlichen Fassade die Mariahilf-Gnadenmutter, eine Kopie des Bildes der Gnadenmutter Lukas Cranachs, dessen Original im Innsbrucker Dom hängt. Dieses Haus war auch das Geburtshaus des Schriftstellers Rudolf Greinz (1866 – 1942), der sich mit Tiroler Heimatromanen so sehr in die Gunst seiner Leser schrieb, dass man in Pradl noch zu Lebzeiten eine Straße nach ihm benannte. Das Gebäude der Hausnummer 13 ist ein barockes, zweistöckiges Bauernhaus mit typischer, religiöser bäuerlicher Malerei von Rafael Thaler (1870 – 1947). Gegenüber befindet sich ein Bauernhaus aus dem Jahr 1690 laut Giebelinschrift. Das Tiroler Lebensmittelunternehmen Hörtnagl entstammt dem Hörtnaglhof, heute Hausnummer 20, der sich auf das 16. Jahrhundert zurückdatieren lässt.
Der 1865 errichtete und 1913 um die barocke Statue des Heiligen Florian erweiterte Florianibrunnen, schafft einen kleinen Platz inmitten dieser Komposition. Biegt man von hier nach Osten in die Egerdachstraße ab, kommt man zu weiteren Bauernhäusern, die einst das alte Pradl bildeten. Der Stamserhof in Hausnummer 10 und der Lodronische Hof in Nummer 11 gehen auf das 16. Jahrhundert zurück. Im Lodronischen Hof hatte das Pradler Bauerntheater seinen Platz, das mit Stücken wie Der letzte Rottenburger oder die Tochter des Geächteten Innsbrucker oder Inszenierungen des Tiroler Freiheitskampfes von 1809 viele Städter ins ländliche Pradl lockte.
Die Bauernhäuser wurden im Rahmen der Stadterweiterung nach und nach von den modernen Wohnhäusern und Siedlungen umschlungen. Damit einher gingen auch soziale Spannungen zwischen den zugezogenen Arbeitern und den „einheimischen“ Pradlern. Bereits vor der Vereinigung Pradls mit Innsbruck 1904 siedelten sich große Arbeitgeber wie die Seidenspinnerei Rhomberg und das Gaswerk an. Bäckereien, Metzger, kleine Läden und Gaststätten öffneten. Es bedurfte Häuser und Wohnungen für die Angestellten und Arbeiter. Zwischen den Kreuzungen Amthorstraße/Pradlerstraße und Gumppstraße/Pradlerstraße befinden sich einige bemerkenswerte Gebäude.
Haus Nummer 32 war Wohnhaus und Werkstätte Rafael Thalers, der als Restaurator und Künstler für viele Fassadenmalereien und Fresken im Heimatstil in und rund um Innsbruck verantwortlich war. Das Gebäude wird von seinen eigenen Werken geschmückt. Haus Nummer 36 wird von einer Darstellung des Weinhändlers Benedikt Fritz geziert. Hausnummer 38 ist ein wunderbares Beispiel für den Heimatstil, der zu dieser Zeit charakteristisch für Innsbrucks Architektur war. Die Wandmalerei dieses Eckhauses, ebenfalls von Rafael Thaler, zeigt zwei Frauenfiguren, die Handel und Gewerbe repräsentieren. Das darunter stehende Bonmot war Ausdruck eines neuen bürgerlichen, jedoch noch immer konservativen, Selbstverständnisses der Besitzer.
„Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
ehrt den König seine Würde,
ehret uns der Hände Fleiß“
Zwischen den Bauernhäusern im Norden und den Wohnhäusern im Süden der Pradlerstraße entwickelte sich mit dem Wachstum Pradls ein neues Stadtteilzentrum rund um die Wahrzeichen der Pradler Erweiterung, die Leitgebschule und die Pfarrkirche. Die wachsende Bevölkerung musste nicht nur mit Arbeit, sondern auch mit Bildung und Seelsorge versorgt werden. Die Leitgebschule wurde zwischen 1907 und 1908 nach Plänen Eduard Klinglers erbaut. Namensgeber war der Innsbrucker Schriftsteller Josef Leitgeb (1897 – 1952), dessen Erzählungen und Gedichte einen Einblick in die bewegte Zwischenkriegszeit Österreichs geben. Der auf den ersten Blick sperrige und nüchterne Kubus wirkt bei näherem Hinsehen in seinen Details erstaunlich leicht, beinahe klassizistisch.
Wo heute die Leitgebhalle steht, befand sich bereits ab dem späten 17. Jahrhundert eine kleine Kapelle, die rund um die Kopie von Lukas Cranachs Gnadenmutter aus dem Geburtshaus von Rudolf Greinz errichtet worden war. Um den vielen neuen Seelen Pradls Herr zu werden, war diese Kirche im 19. Jahrhundert zu klein geworden. Zwischen 1905 und 1908 wurde die Pradler Kirche errichtet. Eindrucksvoll ist das Löwenportal. Die runden, romanischen Bögen, die das Gebäude charakterisieren, sind sehr ungewöhnlich, wurden Kirchen dieser Epoche doch meist im Stil der Neugotik gebaut. Am Platz vor der Kirche findet alljährlich am Samstag des ersten Adventwochenendes ein kleiner Weihnachtsmarkt statt.
Zwischen die Gründerzeithäuser, die Mietskasernen der Jahrhundertwende und die alten Bauernhäuser mischen sich viele Wohnprojekte neueren Datums. Wegen ihrer Nähe zum Bahnhof wurde die Pradlerstraße Opfer des Luftkrieges. Die Bronzeschilder mit der Aufschrift
„Dieses Haus wurde in den Kriegsjahren 1939/45 zerstört und aus Fondsmitteln des Bundesministeriums f. Handel u. Wiederaufbau in den Jahren unter dem Bundeskanzler Ing. Julius Raab wiederhergestellt.“
deuten auf diese Zerstörung und den darauffolgenden Wiederaufbau hin. Pradl entwickelte sich in der Nachkriegszeit zu einem typischen Wohnviertel der Innsbrucker Mittelklasse.
Seit den 1990er Jahren erlitt die Pradlerstraße das typische Schicksal zentrumsnaher Stadtviertel Europas. Alteingesessene Gewerbe- und Handelsbetriebe werden nicht mehr übernommen, neue Geschäfte sperren häufig auf, um kurz darauf wieder zu schließen. Einkäufe werden nicht mehr lokal, sondern in den Einkaufszentren am Stadtrand oder im Sillpark erledigt. Auch der Verkehr ab den 1960er Jahren trug dazu bei. Während der bayerischen Besatzung zur Zeit der napoleonischen Kriege war die Straße mit Papeln zu beiden Seiten geschmückt worden. Die Allee wurde vor allem in der finanziell klammen Zwischenkriegszeit nur mangelhaft gepflegt und verfiel zusehends. Im Rahmen der Straßenverbreiterung der 1960er Jahre wurden die Bäume endgültig dem Autoverkehr geopfert, den man seit einigen Jahren gerne wieder eindämmen möchte, um die Straße attraktiver zu machen.