Einfluß der Eisenbahn auf die Landwirtschaft
Erschienen: Neue Tiroler Stimmen – Für Gott, Kaiser und Vaterland / 11. Februar 1868
Über diesen Text...
Der Anschluss an das europäische Bahnnetz war eines der wichtigsten Ereignisse der Innsbrucker Stadtgeschichte. Wirtschaft und Mobilität profitierten von dieser technischen Neuerung. Bereits kurz nach der Anbindung wurden aber auch Stimmen laut, die vor den Gefahren für die lokale Wirtschaft warnte. Vor allem billige landwirtschaftliche Erzeugnisse aus dem Osten der Donaumonarchie wurden als Bedrohung für die heimischen Kleinbauern wahrgenommen.
Der Artikel
Unläugbar ist die Thatsache, daß den Tiroler praktischer Sinn für Alles, was er angreift und Arbeitseifer in hohem Grade auszeichnen. Auf allen Gebieten der Wissenschaft, der Kunst und der Industrie ragten Tiroler hervor, ebenso wie sich viele durch Unternehmensgeist und tüchtige Geschäftskenntniß im Ausland ein gutes Fortkommen, eine achtbare Stellung errungen haben. Auch die Handwerker aus Tirol, die schaarenweise in die Fremde nach Arbeit ziehen, sind überall geschätzt und gut entlohnt. Eine Eigenthümlichkeite aber ist es, die den Tiroler vor allen auszeichnet, und die kaum anderswo zu solcher Geltung und Bedeutung gelangt, wie bei ihm, und das ist, – sein Streben nach Selbstständigkeit in der eigenen Heimat. Die allermeisten Auswanderer zieht es wieder in die Berge zurück. Hat sich der Tiroler Arbeiter mit Mühe und Schweiß ein kleines Capital, sei es auch nur von wenigen hundert Gulden erworben, kauft er sich damit ein „Heimatl“ oder wenigstens einen Acker. Das Merkwürdigste dabei aber ist, daß er nur aus Luft und Liebe zur Arbeit, seine Scholle bebaut – und Umstand, der sich leicht erweisen läßt.
Nehmen wir z.B. einen Acker aus der Umgebung Innsbrucks, wo 1 Jauch in den besseren Lagen sammt Gerichtsunkosten 1500 fl. kostet. Davon betragen die (nur 5%) Zinsen 75 fl., dazu rechnen wir zu Türkenfeld 8 Doppelfuhren Dünger auf das Feld gestellt zu 48 fl. Eggen und Bauen sammt Saamen 10 fl., „Becken“, „Häufeln“ 8 fl., Abnehmen, Einführen, Abmachen und „Abnehmen“ 12 fl., Steiern 8 fl., so ergibt sich die Summe von 161 fl. als Auslage. Rechnet man nun durchschnittlich 60 Staar Türken a 2 fl., Stroh und Kolben 20 fl., so beträgt die Einnahme 140 fl. – Es bearbeitet demnach der Besitzer ein solches Feld umsonst und weil er hiezu nicht gezwungen ist, so bleibt kein andererer Erklärungsgrund übrig, als der, daß er es aus Vergnügen thut.
Allerdings geschieht die meiste Arbeit nebenher – wie man sagt – „man rechnet“ die eigene Arbeit nicht“ und bekommt dabei doch etwas in´s Haus, was für Arbeiter, die im Winter vielfach ohne Brschäftigung sind, wie Maurer, Zimmerleute u.s.w. von größerer oder geringerer Ausdehnung in der jüngsten Zeit immer häufiger werden, und ein solcher Besitzer, der obendrein oft kaum die Hälfte des Ankaufs-Capitales seines „Ackerles“ selbst besitzt und das übrige darauf schuldig ist, wird, wenn nicht ruinirt, so doch auf viele Jahre empfindlich berührt sein. So lange das Korn noch die jetzigen Preise hält, wird man sich wohl durch Mühen und harte Entbehrungen durchzuschlagen vermögen, was aber dann, wenn die Kornpreise sinken? Wenn die Pusterthaler Bahn den Weg, den das ungarische Korn bis zu uns jetzt macht, fast um die Hälfte verkürzt? Was dann, wenn in Ungarn selbst durch Zweigbahnen und gute Strassen die Zufuhr des Korns zu den Stationsplätzen (was bisher das meiste kostet) erleichtert und endlich die Bahnverwaltungen selbst einsehen werden, daß sie durch Herabsetzung des Fahr-Tarifes nicht nur den allgemeinen, sondern auch ihren eigenen Wohlstand fördern? Wenn man dann z.B. den Weizen in Ungarn um 2 fl. kauft und die Fracht ebenfalls 2 fl. beträgt. Welche Rückwirkung wird das auf unsere eigenen Erzeugnisse, auf unsere ganze Bodenkultur haben?
Es ist hohe Zeit, daß sich die Landwirthe mit dieser Frage allen Ernstes beschäftigen. Denn wenn es einmal durch weitere Ausbreitung des Bahnnetzes im Osten (auch auf die an Ungarn grenzenden Länder) möglich wird, daß wir das Staar Weizen nur um 2 1/2 fl. kaufen, wird die hier herum meist gezogene Fruchte – der Türken im Preise um die Hälfte herabgedrückt, und dadurch der jetzige enorme Werth der Felder selbst natürlich gemindert. Die Bedeutung der Frage ist einleuchtend und verdient unsere Beachtung im höchsten Grade. Zwar ist die Eisenbahn schon deshalb für unser Land von ungeheurem Nutzen, weil wir bei 1/3 unserer Bedürfnisse von Außen beziehen müssen, weshalb es auf der Hand liegt, daß sich das Gesamtvermögen steigern muß, wenn wir diesen Mehrbedarf billiger als es durch Are möglich ist, beziehen und für unsere eigenen Ausfuhr-Artikel weitere Absatz Quellen suchen können. Nichtsdestoweniger werden durch die Vervollständigung des Bahnnetzes manche tiefgehende Umgestaltungen in unseren landwirthschaftlichen Verhältnissen eintreten müssen, um die einzelnen nachtheiligen Folgen durch zeitgemäßere Ausnützung des Bodens möglichst auszugleichen. In erster Linie dürfen hierzug wohl die Hebung der Viehzucht und folgerichtig bessere Kultivierung der Futterkräuter und vorzüglich der Alpen liegen.