Claudiaplatz
Claudiaplatz
Wissenswert
Die Zeit um 1900 brachte eine neue, globalisierte Welt hervor. Telegrafie und Telefon ermöglichten die schnellere Verbreitung von Neuigkeiten, was zu einer „Gleichzeitigkeit“ zwischen Geschehenem und Berichterstattung in den Medien führte. Genau andersrum funktionierte die Unterhaltungsbranche. Kino und Grammophon ermöglichten es erstmals einem größeren Publikum Geschehenes zu speichern und „ungleichzeitig“ zu konsumieren. Wirtschaft und Handel waren auf einem nie vorher gesehenen Niveau angelangt und weltweit verstrickt. Freud und Nietzsche brachten in Medizin und Philosophie neue Perspektiven ein, die zwar nicht von der breiten Masse, dank der neuen Möglichkeiten aber immer größer werdenden Publikum rezipiert wurden. Zweig, Klimt, Kokoschka, Schiele, Mahler, Wagner, Schönberg und Freud prägen ein nostalgisches Bild Wiens und Österreichs dieser Zeit im Ausland bis heute.
Innsbruck war nicht Wien und das Fin de Siecle wurde in Tirol nicht so zelebriert wie in Paris, das Bürgertum der Alpenregion war aber von der europäischen beeinflusst. Während sich Nationen politisch mehr und mehr voneinander entfernten, näherte sich die Architektur in vielen europäischen Städten an. Die neuen bürgerlichen Eliten in Buenos Aires, Madrid, London, New York und Wien hatten den Historismus für sich entdeckt. Innsbruck bildete hier keine Ausnahme. Ein wenig vom Flair dieser Zeit kann man rund um den Claudiaplatz erleben.
Dieser innerstädtische Kreisel, dessen Namensgeberin Claudia de Medici war, ist eines von vielen Beispielen für die Architektur der Belle Epoque und bildet bis heute so etwas wie das Zentrum des Stadtteils Saggen. Er grenzt den „Villensaggen“ im Nordwesten vom „Blocksaggen“ mit den Mietshäusern im Osten des Stadtteils ab. Nicht nur architektonisch, auch sozial bildete der Claudiaplatz schon immer eine Art Grenze. Während sich in den Wohnblöcken des Blocksaggen kleine Angestellte ansiedelten, residierte in den Villen das gehobene Bürgertum.
Die Besiedlung des Saggen am Beispiel des Claudiaplatzes ist ein Beispiel für die Innsbrucker Immobilienwirtschaft samt Spekulation, die schon früh einsetzte. Claudiaplatz 1 und 2 sowie Elisabethstraße Nummer 11 wurden ab 1898 vom deutschen „Immoentwickler“ Reinhold Boos finanziert. Er ließ die herrschaftlichen Wohnhäuser mit bis zu sieben Wohnungen für ein finanzkräftiges Publikum errichten. Anders als in Wilten oder Pradl waren die Häuser für ein zahlungskräftiges Klientel gedacht. Die prächtigen Häuser sind trapezförmig im Grundriss und reizvoll mit Erkern und überbordendem Schmuck verziert. Schon die Stiegenhäuser, die in der Gründerzeit gebaut wurden, waren kleine Kunstwerke und sollten den Besucher auf die Wohnungen und das Ambiente einstimmen.
Fünf Straßen münden in das Rondell Claudiaplatz. Westlich des Platzes führt die Elisabethstraße in das Villenviertel, während die Kaiser-Franz-Josef-Straße mit dem reizvollen begrünten Mittelstreifen mit größeren, aber ebenfalls sehenswerten Wohnhäusern bestückt ist. Bemerkenswert ist das Haus Conradstraße 6, das sich nur wenige Meter vom Claudiaplatz befindet. Der Steinbruchbesitzer Josef Leutsch ließ sich vom Architekten Josef Mayr dieses Haus im Jugendstil planen. Gegenüber mündet die Claudiastraße in den Platz. Die bunten Häuser dieser Zeile sind vom Rondell des Platzes aus ein beliebtes Fotomotiv. Das Milieu in diesem Teil Innsbrucks bestehend aus Akademikern und Freiberuflern, das davon angezogen wurde, hat sich bis zu einem gewissen Grad bis heute dynastisch erhalten.
März 1848... und was er brachte
Nach den Napoleonischen Kriegen begann Tirol sich zu erholen. Die Industrialisierung hob in und rund um Innsbruck an. Der Tourismus war noch ein Randphänomen, einige mutige Reisende und ihre Ideen schafften es aber ins Land im Gebirge. 1826 öffnete auch die Universität ihre Pforten und brachte auswärtige Studenten nach Innsbruck. Die kleine Stadt am Rande des Kaiserreiches hatte etwas mehr als 12.000 Einwohner, „ohne die Soldaten, Studenten und Fremden zu rechnen“. Universität, Gymnasium, Lesekasino, Musikverein, Theater und Museum zeugten von einer gewissen urbanen Kultur. Es gab ein Deutsches Kaffeehaus, eine Restauration im Hofgarten und mehrere Gasthöfe wie den Österreichischen Hof, die Traube, das Munding, die jeweils Goldenen Adler, Stern und Hirsch.
Im Gegensatz zum bäuerlich geprägten Umland bildetet sich in Innsbruck ein aufgeklärtes Bildungsbürgertum. In Gaststätten und Kaffeehäusern trafen sich Studenten, Beamte, Mitglieder des niederen Adels und Akademiker, um modernes Gedankengut auszutauschen. Menschen wollten keine Untertanen eines Monarchen oder Landesfürsten mehr sein, sondern Bürger mit Rechten und Pflichten gegenüber einem Staat. Studenten und Freiberufler forderten politische Mitsprache, Pressefreiheit und Bürgerrechte. Arbeiter verlangten nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen. Die Allmacht der Kirche wurde in Frage gestellt.
Kanzler Clemens von Metternichs (1773 – 1859) Polizeistaat hielt diese gesellschaftlichen Regungen lange Zeit unter Kontrolle. Liberales Gedankengut, Zeitungen, Flugblätter, Schriften, Bücher und Vereine standen unter Generalverdacht der Obrigkeit. Magazine und Zeitschriften mussten sich anpassen oder im Untergrund verbreitet werden, um nicht der Zensur anheimzufallen. Schriftsteller wie Hermann von Gilm (1812 – 1864) und Johann Senn (1792 – 1857), an beide erinnern heute Straßen in Innsbruck, verbreiteten in Tirol anonym politisch motivierte Literatur und Schriften. Der Mix aus großdeutschem Gedankengut und tirolischem Patriotismus vorgetragen mit dem Pathos der Romantik mutet heute eher eigenartig, harmlos und pathetisch an, war aber dem metternich´schen Staatsapparat weder geheuer noch genehm. Alle Arten von Vereinen wie die Innsbrucker Liedertafel und Studentenverbindungen, sogar die Mitglieder des Ferdinandeums wurden streng überwacht. Auch die Schützen standen, trotz ihrer demonstrativen Kaisertreue, auf der Liste der zu überwachenden Institutionen. Als zu aufsässig galten sie, nicht nur gegenüber fremden Mächten, sondern auch gegenüber der Wiener Zentralstaatlichkeit. Die Arbeiterschaft wurde von der Geheimpolizei Metternichs ebenfalls ins Visier genommen. Besonders St. Nikolaus und Hötting waren als „rote Pflaster“ bekannt.
Im März 1848 entlud sich in vielen Städten Europas dieses sozial und politisch hochexplosive Gemisch in Aufständen. In Innsbruck feierten Studenten und Professoren die neue Pressefreiheit mit einem Fackelzug. Von einem spontanen Ausbruch der Emotionen zu sprechen wäre verwegen, der Termin des Zuges wurde wegen Schlechtwetter vom 20. auf den 21. März verschoben. Es kam kaum zu antihabsburgischen Ausschreitungen oder Übergriffen, ein verirrter Stein in ein Fenster der Jesuiten war einer der Höhepunkte der alpinen Variante der Revolution von 1848. Die Studenten unterstützten das Stadtmagistrat sogar dabei, die öffentliche Ordnung zu überwachen, um so dem Monarchen ihre Dankbarkeit für die neu gewährten Freiheiten und ihre Treue zu zeigen.
Die anfängliche Begeisterung für bürgerliche Errungenschaften wurde in Innsbruck schnell von deutschnationalem, patriotischen Rausch abgelöst. Am 6. April 1848 wurde vom Gubernator Tirols die deutsche Fahne während eines feierlichen Umzugs geschwungen. Auch auf dem Stadtturm wurde eine deutsche Tricolore gehisst. Während sich Studenten und Konservative bei der Pressefreiheit nicht einig wurden, teilte man die Abneigung gegen die italienische Unabhängigkeitsbewegung. Innsbrucker Studenten und Schützen zogen mit Unterstützung der k.k. Armeeführung ins Trentino und
Die Stadt als Heimat vieler Italienischsprachiger wurde zur Arena dieses Nationalitätenkonflikts. In Kombination mit reichlich Alkohol bereiteten anti-italienische Gefühle in Innsbruck mehr Gefahr für die öffentliche Ordnung als die nach bürgerlichen Freiheiten. Ein Streit zwischen einem deutschsprachigen Handwerker und einem italienischsprachigen Ladiner, eigentlich beide Tiroler, schaukelte sich dermaßen auf, dass es beinahe zu einem Pogrom gegenüber den zahlreichen Betrieben und Gaststätten von italienischsprachigen Tirolern gekommen wäre.
Als es in Wien auch nach dem März nicht aufhörte zu brodeln, floh Kaiser Ferdinand im Mai nach Tirol. Innsbruck war wieder Residenz des Kaisers, wenn auch nur für einen Sommer. Folgt man den Presseberichten aus dieser Zeit, wurde er hier von der Bevölkerung begeistert empfangen.
"Wie heißt das Land, dem solche Ehre zu Theil wird, wer ist das Volk, das ein solches Vertrauen genießt in dieser verhängnißvollen Zeit? Stützt sich die Ruhe und Sicherheit hier bloß auf die Sage aus alter Zeit, oder liegt auch in der Gegenwart ein Grund, auf dem man bauen kann, den der Wind nicht weg bläst, und der Sturm nicht erschüttert? Dieses Alipenland heißt Tirol, gefällts dir wohl? Ja, das tirolische Volk allein bewährt in der Mitte des aufgewühlten Europa die Ehrfurcht und Treue, den Muth und die Kraft für sein angestammtes Regentenhaus, während ringsum Auflehnung, Widerspruch. Trotz und Forderung, häufig sogar Aufruhr und Umsturz toben; Tirol allein hält fest ohne Wanken an Sitte und Gehorsam, auf Religion, Wahrheit und Recht, während anderwärts die Frechheit und Lüge, der Wahnsinn und die Leidenschaften herrschen anstatt folgen wollen. Und während im großen Kaiserreiche sich die Bande überall lockern, oder gar zu lösen drohen; wo die Willkühr, von den Begierden getrieben, Gesetze umstürzt, offenen Aufruhr predigt, täglich mit neuen Forderungen losgeht; eigenmächtig ephemere- wie das Wetter wechselnde Einrichtungen schafft; während Wien, die alte sonst so friedliche Kaiserstadt, sich von der erhitzten Phantasie der Jugend lenken und gängeln läßt, und die Räthe des Reichs auf eine schmähliche Weise behandelt, nach Laune beliebig, und mit jakobinischer Anmaßung, über alle Provinzen verfügend, absetzt und anstellt, ja sogar ohne Ehrfurcht, den Kaiser mit Sturm-Petitionen verfolgt; während jetzt von allen Seiten her Deputationen mit Ergebenheits-Addressen mit Bittgesuchen und Loyalitätsversicherungen dem Kaiser nach Innsbruck folgen, steht Tirol ganz ruhig, gleich einer stillen Insel, mitten im brausenden Meeressturme, und des kleinen Völkchens treue Brust bildet, wie seine Berge und Felsen, eine feste Mauer in Gesetz und Ordnung, für den Kaiser und das Vaterland."
1848 überließ Ferdinand den Thron dem jungen Franz Josef I. Im Juli 1848 kam es in Wien in der Hofreitschule zur Abhaltung einer ersten parlamentarischen Sitzung. Eine erste Verfassung wurde in Kraft gesetzt. Der Reformwille der Monarchie flachte aber schnell wieder ab. Das neue Parlament war ein Reichsrat, es konnte keine bindenden Gesetze erlassen, der Kaiser besuchte es Zeit seines Lebens nie und verstand auch nicht, warum die Donaumonarchie als von Gott eingesetzt diesen Rat benötigt.
Die zart in Gang gesetzte Liberalisierung nahm in den Städten trotzdem ihren Lauf. Innsbruck erhielt den Status einer Stadt mit eigenem Statut. Das Innsbrucker Gemeinderecht sah ein Bürgerrecht vor, das zwar an Besitz oder die Abgabe von Steuern gebunden war, jedoch den Angehörigen der Gemeinde gewisse Rechte gesetzlich zusicherte. Das Heimatrecht konnte durch Geburt, Verehelichung oder außerordentlicher Verleihung erworben werden und verlieh zumindest den männlichen Volljährigen das Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Geriet man in finanzielle Notlage, so hatte man das Anrecht auf eine Grundversorgung durch die Stadt.
Am 2. Juni 1848 erschien die erste Ausgabe der liberal und großdeutsch gesinnten Innsbrucker Zeitung, der obiger Artikel zur Ankunft des Kaisers in Innsbruck entnommen ist. Die zuvor abgeschaffte Zensur wurde in Teilen wieder eingeführt. Herausgeber von Zeitungen mussten einigen Schikanen der Obrigkeit unterziehen. Zeitungen durften nicht gegen Landesregierung, Monarchie oder Kirche schreiben.
"Wer durch Druckschriften andere zu Handlungen auffordert, aneifert oder zu verleiten sucht, durch welche die gewaltsame Losreißung eines Theiles von dem einheitlichen Staatsverbande... des Kaiserthums Österreich bewirkt... oder der allgemeine öster. Reichstag oder die Landtage der einzelnen Kronländer... gewalttätig stört... wird mit schwerem Kerker von zwei bis zehn Jahren Haft bestraft."
Nachdem Innsbruck 1849 Meran als Landeshauptstadt abgelöste hatte und somit auch endgültig zum politischen Zentrum Tirols geworden war, bildeten sich Parteien. Ab 1868 stellte die liberal und großdeutsch orientierte Partei den Bürgermeister der Stadt Innsbruck. Der Einfluss der Kirche nahm in Innsbruck im Gegensatz zu den Umlandgemeinden ab. Individualismus, Kapitalismus, Nationalismus und Konsum sprangen in die Bresche. Neue Arbeitswelten, Kaufhäuser, Theater, Cafés und Tanzlokale verdrängten Religion zwar auch in der Stadt nicht, die Gewichtung wurde durch die 1848 errungenen bürgerlichen Freiheiten aber eine andere.
Die vielleicht wichtigste Gesetzesänderung war das Grundentlastungspatent. In Innsbruck hielt der Klerus, vor allem das Stift Wilten, einen großen Teil des bäuerlichen Grundbesitzes. Kirche und Adel waren nicht steuerpflichtig. 1848/49 wurden in Österreich Grundherrschaft und Untertänigkeitsverhältnis aufgehoben. Abgelöst wurden damit Grundzinsen, Zehent und Robot. Die Grundherren erhielten im Rahmen der Grundentlastung ein Drittel des Wertes ihrer Ländereien vom Staat, ein Drittel wurde als Steuererleichterung gewertet, ein Drittel der Ablöse mussten die Bauern selbst übernehmen. Die Bauern konnten diesen Betrag in Raten innert zwanzig Jahren abzahlen. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren. Die Nachkommen der damals erfolgreichen Bauern genießen durch den geerbten Landbesitz, der auf die Grundentlastung 1848 zurückzuführen ist, die Früchte des Wohlstandes und auch politischen Einfluss durch Grundstücksverkäufe für Wohnbau, Pachten und Ablösen der öffentlichen Hand für Infrastrukturprojekte.