Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485
Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485
Das Mittelalter wird oft als dunkles Zeitalter der Menschheit dargestellt. Die ungebildete Bevölkerung trägt in Filmen für gewöhnlich graue Kleidung, Klerus und Aristokratie sind egoistische Machthaber ohne Sinn für das allgemeine Wohl. Diese Darstellung ist natürlich nicht korrekt. Weder war das Mittelalter eine triste Epoche, tatsächlich war die Zeit bis 1500 sogar ausgesprochen farbenfroh, noch war sie von Gesetzlosigkeit und Willkür geprägt, wie ein berühmtes Beispiel aus Innsbruck beweist. Unter dem Landesfürsten Sigmund spielte sich 1485 eine Kuriosität ab, die große Auswirkungen auf ein finsteres Kapitel der europäischen Geschichte der nächsten Jahrhunderte haben sollte. Es war die Zeit, in der Innsbruck als Residenzstadt überdurchschnittlich wuchs. Beamte, Soldaten, Händler und anderes fremdes Volk erregte Unsicherheit, ebenso wie die vielen gesellschaftlichen Veränderungen die sich zutrugen. Trotzdem war Innsbruck noch immer klein genug, dass jeder jeden kannte. Neid und Missgunst waren Teil des Alltags. Streitigkeiten und Unpässlichkeiten über Denunziation zu regeln, war auch damals ein von einigen Mitbürgern gerne in Anspruch genommenes Mittel. Der Inquisitor Heinrich Kramer, Autor des Hexenhammers, unternahm in diesem Innsbruck einen ersten Versuch eines Hexenprozesses. Kramer war ein frauenfeindlicher, abergläubischer, vom Glauben an den Teufel und die Apokalypse getriebener, unglücklicherweise vom Papst mit einer Vollmacht zur Hexenjagd ausgestatteter religiöser Eiferer. Er war im Elsass geboren, damals ein Teil der Habsburgermonarchie. Ähnlich einem Schausteller zog er als wandernder Inquisitor durch die deutschen Länder. In Predigten rund um das Thema Magie und Hexerei legte er dar, Magisches wie Liebes- oder Krankheitszauber, Flüche, Teufelsanbetung, Beschwörung, Gotteslästerung magische Artefakte wie Knochen ungetaufter Kinder, Holzsplitter eines Galgens – die Verdachtsmomente und Gründe, wegen derer man der Hexerei angeklagt werden konnte im Innsbruck des 15. Jahrhunderts waren mannigfaltig. Es gab im Aberglauben der Menschen schwarze, also schädliche, und weiße, helfende Magie. Heilige wurden um Beistand gebeten, Flüche hingegen gefürchtet. Prozessionen und Gebete sollten helfen, dem Teufel und der Verdammung als Endgegner im Leben nach dem Tod zu entgehen. Schädliche Gegenstände wie Knochensplitter Ungetaufter oder Holzstücke eines Galgens brachten Unglück. Wer die Menschen des Mittelalters aus heutiger Sicht für Hinterwäldler hält, beobachte moderne Sportler, die sich vor dem Wettkampf bekreuzigen oder ertappe sich selbst dabei, an Glücksbringer zu glauben, bevor er sich ein Urteil bildet. Die Umstände waren andere. Nahrungsmittel waren dauerhaft krank, was zum vermehrten Auftreten von Krankheiten und Missbildungen aller Art führten. Die Sterblichkeit bei Kindern bis zum Alter von 10 Jahren lag bei annähernd 50%. Medizinische Versorgung im heutigen Sinne war nicht vorhanden, was bereits kleine Beschwerden zu einem großen Leiden machen konnte. Wetterberichte, anhand derer Bauern ihre Tätigkeit hätten ausrichten können, gab es ebenfalls nicht. Krankheiten, Schmerzen, Unfruchtbarkeit, Impotenz, lokale Hagelschauer, die die Ernte des einen Bauern vernichteten und des Nachbarn verschonten, vieles wurde überirdischen Mächten zugeschrieben. Nach getaner Aufklärung der Zuhörer, ermunterte der Inquisitor sein Publikum der Hexerei Verdächtige zu melden. Es kam zu Untersuchungen und Verhören. 50 Personen, der Großteil davon Frauen, standen nach Denunziation durch Mitbürger wegen des Vorwurfs der Häresie im Verdacht der Hexerei. Sieben Personen wurden offiziell angeklagt. Es war der Brixner Bischof Golser, der rettend einschritt. Sein Gesandter stellte schwere Verfahrensmängel fest. Ein Anwalt wurde dazu erkoren, alle sieben Angeklagten Frauen zu vertreten. Schließlich wurden alle Verdächtigen freigelassen. Der Bischof forderte Kramer auf, Tirol zu verlassen. „In der Praxis zeigte sich seine Dummheit, denn er unterstellt vieles, was gar nicht erwiesen war,“ schrieb Golser in einem Brief. Kramer wurde vom Bischof des Landes verwiesen. Dieser für ihn enttäuschende Prozess war der Startschuss einer zweifelhaften Karriere für den in seiner Ehre beleidigten Kramer. Im Anschluss an diese Episode verfasste er sein Werk Der Hexenhammer. Er leitete es sogar bezugnehmend auf Innsbruck ein mit „aber was, wenn ich alle (Fälle) berichten wollte, die allein in jener Stadt gefunden worden sind? Es hieße, ein Buch zu verfassen.“ Das Mittelalter war nicht wie oft vermittelt eine Zeit der Hexenverbrennungen im großen Stil. Diese dunkle Episode sollte erst im 16. Jahrhundert starten, mitgetragen von der rabiaten Gegenreformation der Jesuiten und angeleitet unter anderem vom Hexenhammer Kramers. Wobei zu bemerken ist, dass die meisten Hexenprozesse nicht vor der Inquisition, sondern vor weltlichen Gerichten verhandelt wurden. Religion, Aberglaube, Magie und Justiz konnten nicht streng getrennt werden. Häresie war ein weltliches Verbrechen. Die Prozesse sollten, zumindest am Papier, nach gewissen Richtlinien geführt werden. Die Folter war geregelt, was sie nicht weniger fürchterlich machte, zumindest aber ein wenig der Willkür wegnahm. In Europa starben geschätzt 100 – 150.000 Menschen als Ketzer, Hexen und Zauberer, viele mehr wurden gefoltert und gefangen gehalten. Dabei traf es Eliten, die Neid erregten ebenso wie Randgruppen und sozial schwache, die als Sündenböcke für Unwetter, Krankheit und sonstiges Unglück herhalten mussten. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau war dabei etwa 1:3. Innsbruck allerdings, sollte nach 1485 von weiteren Hexenverfolgungswellen verschont bleiben. Das Einschreiten Golsers und die Innsbrucker Bürgerschaft haben dabei wohl eine entscheidende Rolle gespielt.