Die Eisenbahn als Entwicklungshelfer Innsbrucks
Die Eisenbahn als Entwicklungshelfer Innsbrucks
Rasend schnell war die Eisenbahn über Europa gekommen. 1830 wurde zwischen Liverpool und Manchester die erste Bahnlinie der Welt eröffnet. Nur wenige Jahrzehnte später war auch das seit geraumer Zeit etwas von den Haupthandelswegen abgelegene und wirtschaftlich rückständige Tirol mit spektakulären Bahnbauten über die Alpen hinaus mit der Welt verbunden. Waren Reisen bisher teure, lange und beschwerliche Trips in Kutschen, auf Pferden oder zu Fuß, bedeutete das immer stärker ausgebaute Bahnnetz nie zuvor dagewesenen Komfort und Geschwindigkeit.
1858 wurde Innsbruck mit München per Bahn verbunden. Bereits 20 Jahre zuvor hatte Alois von Negrelli (1799 – 1858), dessen Mitarbeit am Suezkanal als eine der größten technischen Leistungen des 19. Jahrhunderts gilt, ein „Gutachten über den Zug einer Eisenbahn von Innsbruck über Kufstein bis zur königl. Bairischen Grenze an der Otto-Kapelle bei Kiefersfelden“ vorgelegt. Negrelli hatte in jungen Jahren in der k.k. Baudirektion Innsbruck Dienst getan, kannte die Stadt also sehr gut. Als Platz für den Hauptbahnhof hatte er die Triumphpforte und den Hofgarten ins Spiel gebracht. In einem Brief äußerte er sich über die Bahnlinie durch seine ehemalige Heimat mit diesen Worten:
„…Daß es mit der Eisenbahn von Innsbruck nach Kufstein ernst wird, vernehme ich ebenfalls mit innigster Theilnahme, in dem die Laage hierzu sehr geeignet ist und die Gegen dem Inn entlang so reich an Naturprodukten und so bevölkert ist, daß ich an ihr Gedeihen gar nicht zweifeln kann, auch werde ich nicht ermangeln, wenn es an die Abnahme von Actien kommen wird, selbst und durch meine Geschäftsfreunde thätigen Antheil daran zu nehmen. Das neue Leben, welches eine solche Unternehmung in der Gegen erweckt, ahnen Sie gar nicht…“
Bis zur Eröffnung der Bahnlinie über den Brenner 1867 war Innsbruck ein Kopfbahnhof für Züge, die aus dem Osten ankamen. Mit der neuen, spektakulären Bahnlinie über die Alpen waren der nördliche und südliche Landesteil sowie Deutschland und Italien verbunden. Ing. Carl von Etzel (1812 – 1865), der die Eröffnung der Brennerbahn auf Grund seines frühen Todes nicht mehr erlebte, hatte mit der Planung des Projekts ein kleines Wunder der Modernisierung vollbracht.
Mit der Eröffnung der Arlbergbahn 1884 war Innsbruck endgültig wieder zum Verkehrsknotenpunkt zwischen Deutschland und Italien, Frankreich, der Schweiz und Wien geworden. 1904 wurde die Stubaitalbahn, 1912 die Mittenwaldbahn eröffnet. Beide Projekte plante Josef Riehl (1842 – 1917) als privater Bahnunternehmer. Der gebürtige Bozner Riehl hatte erste Erfahrungen bei der Brennerbahn unter Etzel gesammelt, bevor er 1870 unter eigener Firma als Vorreiter den inneralpinen Raum mit vielen Projekten erschloss.
Die Eisenbahn war das am direktesten spürbare Merkmal des Fortschritts für einen großen Teil der Bevölkerung, nicht nur aus einer rein technischen Perspektive. Sie brachte einen immensen gesellschaftlichen Wandel. Die Bahnhöfe entlang der Linie belebten die Orte immens. Der Bahnhofsvorplatz in Innsbruck wurde zu einem der neuen Zentren der Stadt. Arbeitskräfte, Studenten, Soldaten und Touristen strömten in großer Zahl in die Stadt und brachten neue Lebensentwürfe und Ideen mit. Nicht allen war diese Entwicklung allerdings recht. Der ohnehin nach 1848 schwer gerupfte Kleinadel und besonders strenge Kleriker befürchteten den Kollaps der heimischen Landwirtschaft und den endgültigen Sittenverfall durch die Fremden in der Stadt.
Bis 1870 stieg die Einwohnerzahl Innsbrucks auch wegen der Wirtschaftsimpulse, die die Bahn brachte von 12.000 auf 17.000 Menschen. Lokale Produzenten profitieren von der Möglichkeit der kostengünstigen und schnellen Warenein- und Ausfuhren. Der Arbeitsmarkt veränderte sich. Vor der Eröffnung der Bahnlinien waren 9 von 10 Tirolern in der Landwirtschaft tätig. Mit der Eröffnung der Brennerbahn sank dieser Wert auf unter 70%. Für den Tourismus war die Bahn Gold wert. Es war nun möglich, die abgelegene und exotische Bergwelt der Alpen Tirols zu erreichen. Kurorte wie Igls und ganze Täler wie das Stubaital profitierten von der Entwicklung der Bahn.
Das neue Verkehrsmittel trug zur gesellschaftlichen Demokratisierung und Verbürgerlichung bei. Nicht nur für wohlhabende Touristen, auch für Untertanen, die nicht der Upper Class angehörten, wurden mit der Bahn Ausflüge in die Umgebung möglich. Neue Lebensmittel veränderten den Speiseplan der Menschen. Erste Kaufhäuser entstanden mit dem Erscheinen von Konsumartikeln, die vorher nicht verfügbar waren. Das Erscheinungsbild der Innsbrucker wandelte sich mit neuer, modischer Kleidung, die für viele zum ersten Mal erschwinglich wurde. Der Warentransport auf dem Inn erhielt den endgültigen Todesstoß. In den 1870er Jahren wurde der letzte Floßabladeplatz der Stadt an der Stelle, an der sich heute der Waltherpark in St. Nikolaus befindet, geschlossen.
Die Bundesbahndirektion der K.u.K. General-Direction der österreichischen Staatsbahnen in Innsbruck war eine von nur drei Direktionen in Cisleithanien. Neue soziale Schichten entstanden durch die Bahn als Arbeitgeber. Es bedurfte Menschen aller Bevölkerungsschichten, um den Bahnbetrieb am Laufen zu halten. Arbeiter und Handwerker konnten bei der Bahn, ähnlich wie in der staatlichen Verwaltung oder dem Militär, sozial aufsteigen. Neue Berufe wie Bahnwärter, Schaffner, Heizer oder Lokführer entstanden. Bei der Bahn zu arbeiten, brachte ein gewisses Prestige mit sich. Nicht nur war man ein Teil der modernsten Branche der Zeit, die Titel und Uniformen machten aus Angestellten und Arbeitern Respektpersonen.
Die Bahn war auch von großer Bedeutung für das Militär. Schon 1866 bei der Schlacht von Königgrätz zwischen Österreich und Preußen war zu ersehen, wie wichtig der Truppentransport in Zukunft sein wird. Österreich war bis 1918 ein Riesenreich, das sich von Vorarlberg und Tirol im Südwesten bis nach Galizien, einem Gebiet im heutigen Polen und der Ukraine im Osten erstreckte. Um die unruhige Südgrenze zum sich neu konstituierenden Königreich Italien zu verstärken, musste die Brennerstrecke ausgebaut werden. Auch im Ersten Weltkrieg waren Tiroler Soldaten in den ersten Kriegsjahren bis zur Kriegserklärung Italiens an Österreich in Galizien im Einsatz. Als es zur Öffnung der Frontlinie in Südtirol kam, war die Bahn wichtig, um Truppen schnell bewegen zu können.
Carl von Etzel erinnert heute die Ing.-Etzel-Straße im Saggen entlang der Bahnviadukte. An Josef Riehl erinnert die Dr. -Ing.-Riehl-Straße in Wilten in der Nähe des Westbahnhofs. Als Spaziergänger oder Radfahrer kann man die Karwendelbrücke in der Höttinger Au einen Stock unter der Karwendelbahn überqueren und das Stahlfachwerk bewundern. Einen guten Eindruck vom Goldenen Zeitalter der Eisenbahn erhält man bei einem Besuch des ÖBB-Verwaltungsgebäudes im Saggen.
Einfluss der Eisenbahn auf die Landwirtschaft
Erschienen: Neue Tiroler Stimmen / 11. Februar 1868
Unläugbar ist die Thatsache, daß den Tiroler praktischer Sinn für Alles, was er angreift und Arbeitseifer in hohem Grade auszeichnen. Auf allen Gebieten der Wissenschaft, der Kunst und der Industrie ragten Tiroler hervor, ebenso wie sich viele durch Unternehmensgeist und tüchtige Geschäftskenntniß im Ausland ein gutes Fortkommen, eine achtbare Stellung errungen haben. Auch die Handwerker aus Tirol, die schaarenweise in die Fremde nach Arbeit ziehen, sind überall geschätzt und gut entlohnt. Eine Eigenthümlichkeite aber ist es, die den Tiroler vor allen auszeichnet, und die kaum anderswo zu solcher Geltung und Bedeutung gelangt, wie bei ihm, und das ist, – sein Streben nach Selbstständigkeit in der eigenen Heimat. Die allermeisten Auswanderer zieht es wieder in die Berge zurück. Hat sich der Tiroler Arbeiter mit Mühe und Schweiß ein kleines Capital, sei es auch nur von wenigen hundert Gulden erworben, kauft er sich damit ein „Heimatl“ oder wenigstens einen Acker. Das Merkwürdigste dabei aber ist, daß er nur aus Luft und Liebe zur Arbeit, seine Scholle bebaut – und Umstand, der sich leicht erweisen läßt.
Nehmen wir z.B. einen Acker aus der Umgebung Innsbrucks, wo 1 Jauch in den besseren Lagen sammt Gerichtsunkosten 1500 fl. kostet. Davon betragen die (nur 5%) Zinsen 75 fl., dazu rechnen wir zu Türkenfeld 8 Doppelfuhren Dünger auf das Feld gestellt zu 48 fl. Eggen und Bauen sammt Saamen 10 fl., „Becken“, „Häufeln“ 8 fl., Abnehmen, Einführen, Abmachen und „Abnehmen“ 12 fl., Steiern 8 fl., so ergibt sich die Summe von 161 fl. als Auslage. Rechnet man nun durchschnittlich 60 Staar Türken a 2 fl., Stroh und Kolben 20 fl., so beträgt die Einnahme 140 fl. – Es bearbeitet demnach der Besitzer ein solches Feld umsonst und weil er hiezu nicht gezwungen ist, so bleibt kein andererer Erklärungsgrund übrig, als der, daß er es aus Vergnügen thut.
Allerdings geschieht die meiste Arbeit nebenher – wie man sagt – „man rechnet“ die eigene Arbeit nicht“ und bekommt dabei doch etwas in´s Haus, was für Arbeiter, die im Winter vielfach ohne Brschäftigung sind, wie Maurer, Zimmerleute u.s.w. von größerer oder geringerer Ausdehnung in der jüngsten Zeit immer häufiger werden, und ein solcher Besitzer, der obendrein oft kaum die Hälfte des Ankaufs-Capitales seines „Ackerles“ selbst besitzt und das übrige darauf schuldig ist, wird, wenn nicht ruinirt, so doch auf viele Jahre empfindlich berührt sein. So lange das Korn noch die jetzigen Preise hält, wird man sich wohl durch Mühen und harte Entbehrungen durchzuschlagen vermögen, was aber dann, wenn die Kornpreise sinken? Wenn die Pusterthaler Bahn den Weg, den das ungarische Korn bis zu uns jetzt macht, fast um die Hälfte verkürzt? Was dann, wenn in Ungarn selbst durch Zweigbahnen und gute Strassen die Zufuhr des Korns zu den Stationsplätzen (was bisher das meiste kostet) erleichtert und endlich die Bahnverwaltungen selbst einsehen werden, daß sie durch Herabsetzung des Fahr-Tarifes nicht nur den allgemeinen, sondern auch ihren eigenen Wohlstand fördern? Wenn man dann z.B. den Weizen in Ungarn um 2 fl. kauft und die Fracht ebenfalls 2 fl. beträgt. Welche Rückwirkung wird das auf unsere eigenen Erzeugnisse, auf unsere ganze Bodenkultur haben?
Es ist hohe Zeit, daß sich die Landwirthe mit dieser Frage allen Ernstes beschäftigen. Denn wenn es einmal durch weitere Ausbreitung des Bahnnetzes im Osten (auch auf die an Ungarn grenzenden Länder) möglich wird, daß wir das Staar Weizen nur um 2 1/2 fl. kaufen, wird die hier herum meist gezogene Fruchte – der Türken im Preise um die Hälfte herabgedrückt, und dadurch der jetzige enorme Werth der Felder selbst natürlich gemindert. Die Bedeutung der Frage ist einleuchtend und verdient unsere Beachtung im höchsten Grade. Zwar ist die Eisenbahn schon deshalb für unser Land von ungeheurem Nutzen, weil wir bei 1/3 unserer Bedürfnisse von Außen beziehen müssen, weshalb es auf der Hand liegt, daß sich das Gesamtvermögen steigern muß, wenn wir diesen Mehrbedarf billiger als es durch Are möglich ist, beziehen und für unsere eigenen Ausfuhr-Artikel weitere Absatz Quellen suchen können. Nichtsdestoweniger werden durch die Vervollständigung des Bahnnetzes manche tiefgehende Umgestaltungen in unseren landwirthschaftlichen Verhältnissen eintreten müssen, um die einzelnen nachtheiligen Folgen durch zeitgemäßere Ausnützung des Bodens möglichst auszugleichen. In erster Linie dürfen hierzug wohl die Hebung der Viehzucht und folgerichtig bessere Kultivierung der Futterkräuter und vorzüglich der Alpen liegen.
Sehenswürdigkeiten dazu…
Palais Ferrari & Altes Garnisonsspital
Weinhartstraße 2 – 4
Karwendelbrücke
Karwendelbögen
Turnusvereinshaus
Innstraße 2
ÖBB Verwaltungsgebäude
Claudiastraße 2