Die Reformation in Tirol

Goldenes Dachl
Die Reformation in Tirol

Um 1500 begannen neue Entdeckungen und Denkströmungen in allen Lebensbereichen das Ende des Mittelalters einzuläuten. Künstler, Gelehrte und Kleriker begannen überall in Europa Hierarchien, Ordnung und Legitimationen zu hinterfragen. 1515 war es Albrecht Dürer, der 1495 bei seiner Durchreise sein berühmtes Aquarell der Stadt Innsbruck angefertigt hatte, vergönnt mit eigenen Augen ein Rhinozeros sehen, das aus Indien nach Europa gekommen war, wie ein Bild des Meisters beweist. Seefahrer wie Vasco da Gama und Kolumbus hatten neue Teile der Welt für Europa entdeckt und schafften so die Basis für eine frühe Form der kapitalistischen Globalisierung. Buchdruck und Postwesen ermöglichten die Verbreitung von Informationen und ungeahnter Geschwindigkeit. Die Welt war im Aufbruch und die Kirche mit ihren alten Ritualen, Hierarchien und Ansprüchen benötigte eine Renovierung. In der Kunst der Renaissance spiegelt sich dies wider. Dürer war, wenn auch Lebemann und Spieler, ein gläubiger Mensch wie eine Vielzahl seiner christlich orientierten Motive beweisen. An der Allmacht der römischen Kirche begann er allerdings, ähnlich wie viele Zeitgenossen, zu zweifeln. Die Bilder Da Vincis, Michelangelos oder Caravaggios zeigen zwar christliche Motive, stellen aber den Menschen in den Mittelpunkt und hinterfragen dessen Verhältnis zu Gott. Die stark verweltlichte und korrupte katholische Kirche mit ihrem Zentrum in Rom kam durch Reformatoren wie John Wyclif, Jan Hus, Jean Calvin und Martin Luther unter Druck. Ihre Lehren von einem reformierten und puren Glauben abseits der dekadenten römischen Kirche und des verweltlichten Papsttums verbreiteten sich durch den modernen Buchdruck. Martin Luthers Schriften behandelten zwar primär Glaubensfragen, wenn es darum ging, nur Taufe und Abendmahl als Sakramente anzuerkennen und die Heiligenverehrung zurückzudrängen. Seine Forderungen nach Beendigung des Ablasshandels und Titel wie Von der Freiheit eines Christenmenschen bargen aber auch politischen Sprengstoff, waren päpstliche und weltliche Politik doch eng verschränkt. In Innsbruck begannen ab 1500 die Landesfürsten an den Privilegien des Stiftes Wilten, dem größten Grundherrn im heutigen Stadtgebiet, zu sägen. Infrastruktur im Besitz des Klosters wie Mühle, Säge und Sillkanal sollten stärker der Allgemeinheit zugutekommen.

Die Habsburger waren erzkatholisch, das feudale System des Adels und der Kaiser legitimierten sich über den Papst und seine Lehren, wonach jeder sich seines angeborenen Standes gemäß zu verhalten habe. Störungen der religiösen Ordnung wurden daher auch als Störung der weltlichen Ordnung gesehen. In Tirol waren vor allem die Bergwerkstädte Hall und Schwaz die Zentren der Reformation, in denen Prediger wie Jacob Strauß die Menschen mit abweichenden Gedanken nicht nur im religiösen, sondern auch im sozialen Sinn aufwiegelten. Strauß predigte vor vollen Kirchen – allerdings nach den Lehren Luthers, nicht denen des Papstes. Reformatorisch orientierte Kleriker setzten ihr ganzes Geschick in flammenden Predigten ein, während sich die offizielle Kirche hinter alter Liturgie in lateinischer Sprache, die niemand verstand, versteckte. Ein großer Teil des Erfolgs von Luthers Reform bestand darin, die Bibeltexte in deutscher Sprache zu veröffentlichen und predigen. Sola scriptura, nur die Heilige Schrift der Bibel, sollte die Basis des Glaubens bilden. Dabei waren die Kirchenreformatoren zwar papstkritisch, keineswegs aber besonders sozial oder liberal im heutigen Sinn. Der toskanische Dominikanerpater Girolamo Savonarola (1452 - 1498) errichtete in Florenz einen strengen Gottesstaat, nachdem er die Medici aus der Stadt verdrängt hatte. Der Mensch sollte für sein gottloses Dasein büßen. Spiegel und teure Gewänder als Zeichen der Eitelkeit, Musikinstrumente, gottlose Literatur und weitere allzu weltliche Dinge wurden verboten. Mit ähnlichem Furor verfuhr Jean Calvin (1509 – 1564) in Genf einige Jahre später, der religiöse Darstellungen, Musik sowie Heiligen- und Reliquienverehrung als Teil des religiösen Alltags verbieten ließ. Martin Luther ließ den 1525 revoltierenden Bauern ausrichten, dass er sich keineswegs für ihre Sache begeistern konnte, sondern eher ein Anhänger der Reformation von oben war.

1555 kam es zum Augsburger Religionsfrieden zwischen den einzelnen Parteien. Diese Vereinbarung besagte unter anderem, dass nach dem Prinzip cuius regio, eius religio der Landesfürst über die Konfession seiner Untertanen bestimmen konnte. Untertanen war es dafür erlaubt, ihre Scholle zu verlassen, ein Recht, das zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war. Für gewöhnlich konnte ein Fürst über Mobilität und Privatleben bis hin zur Hochzeit seiner Untertanen bestimmen. Da der Landesfürst spätestens mit 1555 seine Untertanen zufriedenstellen musste, um ihre Arbeitskraft in seinem Territorium zu halten, hatte er auch für Seelsorge nach ihren Vorstellungen zu sorgen. Ferdinand I. und seine Nachfolger aus dem Haus Habsburg konnten die Reformation in Tirol erfolgreich durch Maßnahmen wie zurückdrängen. Ferdinand II. beschrieb seine Motive mit den Worten:

aus eingebung Gotes und seines Hayligen Geistes Inspiration. Alles zu ehre des aller höchsten aus ainem Rechen inprünstigen zu der heyligen Catholischen Alleinsseligmachenden Religion tragenden eyfer.“

Anhänger der Reformation hatten es in Tirol alles andere als leicht. Protestanten konnten viele Staatsämter in katholischen Ländern wie Tirol nicht erlangen. Ihre Kirchen waren verboten. Besonders der Ablasshandel und die oftmals mangelnde Seelsorge des Klerus führte zwar immer wieder zu Unzufriedenheit und Aufruhr, trotzdem konnte sich der Katholizismus als Leitbekenntnis halten. Der Glaube, dass man im irdischen Leben für das Leben nach dem Tod durch Ablasszahlungen vorbauen könnte und ein gottgefälliges Leben die Dauer des Fegefeuers verkürzt, war ein probates Mittel der Kirche, um die Portokasse zu füllen. Je höher der Kirchenmann und größer die Spende, desto wirksamer der Ablass. Der Großteil des Geldes ging nach Rom, wo sich der Papst und sein Klerus finanzierten. Aus heutiger Sicht ist es wundervoll, dass die Kirche Geld zur Verfügung hatte, um Kunstwerke wie die Sixtinische Kapelle zu errichten, den Gedanken der Humanisten und der Vernunft widersprach es aber natürlich. Erst mit Luthers Thesen und seinen Schriften sollte sich das zu ändern beginnen. Die Maßnahmen, die am Konzil von Trient (1543 – 1563) von der römisch-katholischen Kirche ergriffen wurden wie die Verbesserung der Ausbildung von Pfarrern oder die Erhöhung in den von der Kirche betriebenen Schulen waren Reaktionen auf Reformatoren und ihre neuen Lehren im Kampf um den größten Anteil an gläubigen Untertanen.

Bis heute gilt Tirol als selbsternanntes „Heiliges Land“, wobei sich heilig explizit auf den katholischen Glauben bezieht. In Innsbruck wurden Protestanten wie in vielen anderen Regionen Österreichs unterdrückt und vertrieben. Die Wiedertäufer wurden unter der Regentschaft Ferdinands im frühen 16. Jahrhundert in Hundertschaften hingerichtet. Immer wieder kam es zu Hausdurchsuchungen, Bücherkontrollen und Zensur. Noch unter Maria Theresia im 18. Jahrhundert wurden Tiroler Protestanten in weit entlegene Teile des Habsburgerreichs zwangsweise umgesiedelt. Den Menschen war ihr Glaube wichtig genug, um sich für ihre Konfession kriminalisieren zu lassen und ins Exil zu gehen. Die Umsiedlungen bedeuteten aber nicht nur für die betroffenen Bürger ein Problem. Die Länder standen vor dem Problem dessen, was man heute als Braindrain bezeichnet. Mit den Umgesiedelten verließ auch Arbeitskraft das Land. 1781 erließ Kaiser Joseph II. das Toleranzpatent, das den Bau von protestantischen Kirchen erlaubte, wenn auch an Bedingungen gebunden. So durften diese Bethäuser keine Türme oder sonstigen baulichen Besonderheiten aufweisen. Die Gebäude durften keine straßenseitigen Fenster haben. In Tirol kam es zu Widerständen gegen das Toleranzpatent, man fürchtete um die guten Sitten und wollte fremdartige Religionen, Zwietracht und Unruhen aller Art vermeiden. Konvertierten Untertanen wurden Dinge wie Ehe und ein Begräbnis auf katholischen Friedhöfen verwehrt.

Nach und nach hielt die Toleranz zwar Einzug im Kaiserreich und in den Ländern, die Zusammengehörigkeit von Obrigkeit und katholischer Kirche biss sich aber weit ins 20. Jahrhundert in vielen Lebensbereiche, zum Beispiel der Schulbildung, fest. Noch 1837 wurden Protestanten aus dem Zillertal abgeschoben. Die Nachfahren der sogenannten Zillertaler Inklinanten, die unter behördlichem Druck auswanderten, leben bis heute in Deutschland. 1861 erließ Kaiser Franz Josef das Protestantenpatent, das der evangelischen Kirche mehr oder minder die gleichen Rechte wie die katholische Kirche. Die Tiroler Bevölkerung ließ sich in ihrer Beharrungsfähigkeit auch nicht vom kaiserlichen Protestantenpatent von ihrer Intoleranz abbringen. Das Argument lautete, dass es in Tirol ohnehin keine Andersgläubigen gäbe, es daher auch keiner Toleranz gegenüber Nichtkatholiken bedurfte. Erst 1876 kam es zur Gründung einer evangelischen Pfarrgemeinde in Innsbruck.

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