Die tirolischen Grafen v. Ferrari zu Occhieppo und Chiavazza
von Dr. Hans Bruner
Erschienen: Tiroler Anzeiger / 5. Juni 1937
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Nostalgische Artikel aus der guten alten Zeit der Monarchie waren in österreichischen Zeitungen der 1930er Jahre der große Renner. Der Tiroler Anzeiger ließ seine Leser allwöchentlich an den Abenteuern der besseren Gesellschaft vergangener Tage teilhaben. Besonders interessant ist die Diffamierung der liderlichen Sitten der Ferraris als „wellsch“, also italienisch. Piemont war zwar im 19. Jahrhundert die Keimzelle des politischen Gebildes Italiens, jedoch kulturell französisch.
The article
1. Im Jahre 1657 tauchte in Innsbruck, der Haupt- und Residenzstadt von Tirol und der ober- und vorderösterreichischen Lande es regierte Erzherzog Ferdinand Karl (1646—1662) mit seiner Gemahlin Anna, einer Tochter des reichen und mächtigen Cosimo II., Großherzogs von Toskana, aus dem Haufe Medici ein piemontesischer Edelmann, namens Girolamo Bernardo Ferrari, Conte d'O cchieppo, auf, der vorher als Gesandter des Herzogs von Savoyen nach Wien gekommen und dort in die Dienste des Hauses Oesterreich getreten war. Der damalige herzoglich savoyische Kämmerer und Ritter des St. Mauritius- und Lazarusordens ward anfangs des 17. Jahrhunderts in Biella, einem kleinen Städtchen in Piemont, Provinz Novara, geboren, wo feine Familie, dem Stadtadel angehörig, Häuser und Güter besaß, darunter die Lehensherrschaften Occhieppo und später Chiavazza, mit denen der Grafentitel verbunden war und nach denen sich die Familie zubenannte. Am Innsbrucker Hofe übten zu jener Zeit die Italiener den größten Einfluß aus. Sie förderten zwar einerseits Künste und Wissenschaften, nährten aber andererseits den Hang zur Prunk- und Verschwendungssucht. Dieser Hieronymus Bernhard Ferrari Graf v. Occhieppo, wie er sich später auf deutsch nannte, gelangte daher bald zu den höchsten Stellen und Würden bei Hof und Regierung: er wurde Obersthofmeister bei Ihrer fürstlich Durchlaucht der Erzherzogin Anna, die ihm bei ihrem Tode (1676) wegen der vielen Jahre hindurch gehorsamst und ersprießlichst geleisteten Dienste ein Legat von 80.000 Gulden vermacht hatte; er war kaiserlicher Kämmerer, dann o. ö. und Sr. Majestät wirklicher Geheimer Rat. Als Herzog Karl v. Lothringen, der berühmte Türkenbezwinger, Tirol und die o. und v. ö. Lande 1678—1690 als Gubernator verwaltete, wurde er auch noch zum Obersthofmeister dessen Gemahlin, einer geborenen Eleonora Erzherzogin v. Oesterreich, einer Schwester Kaisers Leopold, erwählt. Da diese in erster Ehe mit dem polnischen Wahlkönig Michael Wisnowiecki (1669 1673) vermählt war, wird sie auch immer„polnische Königin" genannt. Durch seine Gemahlin, eine geborene Anna Dorothea , war endlich Hieronymus Bernhard Graf Ferrari, wenn auch auf unehelichem Wege, mit dem Hause Habsburg weitschichtig verwandt, denn ihr Großvater mütterlicherseits war Karl Markgraf v. Burgau, der jüngere Sohn des Erzherzogs Ferdinand v. Tirol und der Philippine Welser. Den durch seine Stellung und seine Verbindungen erworbenen Reichtum verwendete Graf Ferrari noch in seinen alten Tagen zu großen Unternehmungen. 1682 erwarb er um die Pfandsumme von 60.000 Gulden die Gerichtsherrschaft Imst im Oberinntal, 1685 um 70.000 Gulden jene von Taufers im Pustertal, begann im selben Jahre den Bau des großartigen Barockpalastes auf der Kohlstatt (Dreiheiligen) und bestimmte ein Stiftungskapital von 30.000 Gulden für die Einführung des Ursulinenordens in Innsbruck. 1678 ist er zugleich mit seinem Brudersohn (Neffen) Johann Baptist Graf Ferrari in die tirolische Adelsmatrikel aufgenommen worden, so daß die männlichen Familienmitglieder die Titel „Gerichtsherr von Imst und Taufers, Herr und Landmann von Tirol" führen durften. Aus allen seinen Besitzungen in Piemont und Tirol errichtete er letztwillig 1687 ein Familiendynastie mit Primogenitur, um das Ansehen und den Glanz der Familie zu erhalten. Hieronymus Bernhard starb zu Innsbruck am 3. Jänner 1691, fast 90 Jahre alt, seine Frau ein Jahr später am 15. Jänner 1692 im 80. Lebensjahre. Beide wurden in der von ihm gewählten Familiengrabstätte in der Stiftskirche der Prämonstratenser zu Wilten begraben. Für fein und seiner Familie Seelenheil machte er außerdem noch große fromme Stiftungen. Der alte Graf hatte allen Grund, seinen Neffen Ioh. Bapt. Ferrari Graf v. Occhieppo (geboren noch in Biella um 1650), vom Erbe des Fideikommisses auszuschließen; denn nicht nur daß dieser unwirtschaftlich war, sondern sein heißes, italienisches Blut verführte ihn immer wieder zu Ausschreitungen und Verletzungen von Recht und Sitte, zu einem Lebenswandel, der unvereinbar war mit seinem Stande und hohem Berufe, war er doch kaiserlicher Kämmerer und o. ö. Regimentsrat. Schon als junger Student überfiel er in einer Nacht des Monates April 1676 mit seinen nach welscher Art vermummten Kumpanen die ebenfalls an der Universität Innsbruck studierenden Brüder Ferdinand und Alexander Grafen von Arco, wobei letzterem außer einer Gesichtsverletzung durch eine Pistolenkugel ein Glied des rechten Daumes abgeschossen worden war 3 . Da er seine durch eine un glückselige Naturanlage und ein hitziges Temperament bedingte Lebensführung nicht aufgab und ein unstetes Wanderleben noch führte, wurde er auf Befehl des Kaisers 1695 zuerst auf dem Schlosse Rattenberg, dann auf der Festung Kufstein Jahre hin durch in„Arrest" gesetzt. Als der bayerisch-französische Einfall im Juni 1703 drohte, wurde er zunächst von Kufstein nach Innsbruck gebracht und sollte dann im Herbste zur Wiederherstellung seiner gebrochenen Gesundheit unter Aufsicht nach Meran über führt werden. Aus der Reise dorthin entwich er in der Nächtigungsstation Brixen nach Italien. Von da ab ist jede Spur von ihm und seiner Familie in Tirol verschwunden mit Ausnahme von zweien seiner Söhne, die nacheinander zur Fideikommißerb folge berufen wurden. 2. Johann Baptist Graf Ferrari war zweimal verheiratet. Seine erste Frau war eine Nichte der Gemahlin seines Oheims Hieronymus Bernhard, namens Anna Adelheid Ferrero Marchesa della Marmora, die nach der Geburt eines Söhnchens bald daraus starb. Diesen Großneffen Karl Josef Graf Ferrari (geboren 1681, gestorben 1705) setzte nun der alte Graf in seinem Testamente vom Jahre 1687 zum Universalerben in das Fideikommiß ein, während er seinen Neffen, den oft erwähnten Ioh. Baptist, also den Vater des Karl Josef, nur mit einem Jahreslegat von 1500 Gulden bedachte. 3. Die zweite Gemahlin, eine geborene Maria Katharina Gräfin v. Kuenburg aus Graz, erkor sich Ioh. Baptist Graf Ferrari auf etwas eigentümliche und ungewöhnliche Weise. Er entführte sie, die am Hofe des Herzogs Karl o. Lothringen zu Innsbruck Hoffräulein war, kurzer Hand in einer schönen Sommernacht des August 1682 in die Schweiz. Natürlich wurde der Herr kaiserliche, oberösterr. Regimentsrat ob dieses Frevels seiner Stellung entsetzt, aber auf Verwendung des Fürsterzbischofs von Salzburg, Max Gandolf Graf v. Kuenburg, eines nahen Verwandten der Entführten, vom Kaiser wieder in Gnaden aus genommen. Dieses Ehepaar wurden nun die Stammeltern dertirolischenGrafenv. Ferrari. Ihrer Ehe entspros sen in den Jahren 1683 bis 1692 sieben Kinder, von denen Leo pold Ignaz Graf Ferrari (geboren 1687, gestorben 1764), feinem ohne männliche Nachkommen verstorbenen Stiefbruder Karl Josef (aus der ersten Ehe seines Paters) 1705 als nächst berufener Fideikommißerbe folgte. Aber über ihm schwebte wie über seinem Vater, von dem er das heißblütige Naturell geerbt hatte, gleichfalls ein Unstern. Seine Verschwendungssucht hielt er doch oft bis zu 10 Bedienstete zerrüttete seine Hauswirtschaft. Fortwährend steht er im Kampfe mit den kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten. Man versucht ihn mit den verschiedensten Zwangsmitteln zur Einkehr zu bewegen. So wird eine ihm auferlegte Kirchenstrafe von 200 Gulden zur Anschaffung einer Orgel in Ahrn (Tauferertal) be timmt. Ein anderes Mal vergleicht er sich mit der Regierung zur„Wiederherstellung seiner Ehre" auf eine Geldstrafe von 4500 Gulden, die bei der Erbauung eines Zucht- und Strafhauses in Innsbruck (heute Einquartierungs-Turnusvereinshaus, Inn straße 2) verwendet wurde. Bußübungen„zur Rettung seines Seelenheiles" in den Kapuzinerklöstern zu Münster in der Schweiz und Innsbruck wechseln mit Hausarrest ab. Er entflieht auch öfters ins Ausland. Endlich wird der immer wieder Rückfällige wie fein Vater auf dem Schlosse Rattenberg „verarrestiert", bis ihm schließlich das Städtchen Hall als Zwangsaufenthalt angewiesen wird. Die letzten Lebensjahre verbrachte der alternde Graf, der ebenfalls kaiserlicher Kämmerer und o. ö. Regiments rat war, in beschaulicher Weise in seinem Palais zu Dreiheiligen.
4. Graf Leopold Ignaz war zweimal vermählt. Die erste Ehe Mit Maria Franziska Gräfin Truchseß v. Waldburg-Zeil (gestorben 1730) blieb kinderlos. Die zweite Gemahlin, eine geborene Sidonia Wenzl v. Ragen und Kirchegg* schenkte ihm vier Kinder, von denen Josef Graf Ferrari (geboren in Hall 1735, gestorben 1794) Fideikommißerbe wurde. Er war k. k. Kämmerer und der letzte o. ö. Regimentsrat in dieser Familie. 5. Nur Josefs erste Ehe mit Maria Iofepha Gräfin v. Wolkenstein-Trostburg war mit vier Kindern gesegnet. Von ihnen ward Johann von Gott Graf Ferrari (geb. 1764, gestorben 1834), k. k. Kämmerer, der letzte Inhaber der Fideikommiß- und Lehensgüter in ihrem alten Umfange, die von den bei den letzten Besitzern wieder gut bewirtschaftet wurden. Die napoleonischen Umwälzungen brachten aber den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Infolge der Eroberungen Napoleons in Oberitalien gingen 1805 die dortigen Besitzungen verloren. Während der baye rischen Regierung (1806—1813) wurde ein Teil des tirolischen Fideikommiß- und Lehenbesitzes in freies Eigentum verwandelt und dann nach und nach veräußert. Die Patrimonialgerichte Imst und Täufers wurden vom Staate übernommen. Graf Johann von Gott war ebenfalls zweimal verheiratet. Die Tochter Katharina aus der zweiten Ehe (1810) mit Msria Anna Freiin v. Zech zu Deybach und Sulz war die Gattin Ferdinands Freiherrn Fenner von und zum Fennberg
5 . Die erste Frau, Kreszenzia Gräfin v. Sarnthein, hatte ihrem Gatten acht Kinder geboren. Sein ältester Sohn Josef (gestorben 1869) war k. k. Tabak und Stempelverschleiß-Magazinsverwalter. Das Magazin befand sich in seinem Palais in Dreiheiligen. Diese Linie ist mit dessen gleichnamigen Enkel Josef 1918 ausgestorben. Johannes v. Gott zweiter Sahn Friedrich (gestorben 1872) war Zollamtskontrollor in Vorarlberg. Seine Nachkommen leben in Südtirol, Ungarn und Deutschem Reich. Ignaz (gestorben 1858) der dritte Sohn Johanns von Gott, war Finanzbezirks-Direktionsassistent. Seine Tochter 4 Ein altes, jetzt ausgestorbenes Pustertaler Geschlecht, dessen jüngere Linie in den heutigen Freiherren v. Sternbach zu Stock und Luttach noch fortlebt. 5 Dieser, ein Sohn des berühmten Tiroler Freiheitskämpfers, späteren Feldmarschalleutnants und Maria-Therefien-Ritters Phi lipp Freiherr v. Fenner, schloß sich der revolutionären Bewegung der Jahre 1848 und 1849 an, mußte nach Amerika flüchten, wurde aber später amnestiert. Seine Tochter Ada, eine im hohen Alter stehende, aber noch geistreiche und geistesfrische Frau von Energie, ist die heutige Oberin des gräfl. Wolkenfteinischen adeligen Damenstiftes in Innsbruck. Rosa war mit dem Universitätsprofessor und berühmten öster reichischen Geschichtsforscher Dr. Alfons Huber vermählt. Die übrigen Nachkommen dieser Linie leben in Innsbruck und Steiermark.