Hungerburgbahn & Nordkettenbahn
Neue Hungerburgbahn: Talstation Kongresshaus
Alte Hungerburgbahn: Rennweg 39
Wissenswert
Innsbruck ist selbsternannte Hauptstadt der Alpen. Man mag über den Titel der Hauptstadt uneins sein, Grenoble, Turin, Trient, Bern – viele andere Städte könnten ihn wohl ebenfalls für sich beanspruchen. Innsbruck nimmt aber dank seiner Einkesselung zwischen den umliegenden Bergen einen besonderen Platz in dieser Wertung ein. Der höchste Punkt der Stadt ist der Gipfel der Praxmarerkarspitze auf 2642 Meter über Meereshöhe.
Die Lage Innsbrucks zwischen dem Olympiaberg Patscherkofel im Süden und der Nordkette ist spektakulär. Vor allem ein Besuch auf der Nordkette ist für Einheimische und Touristen gleichermaßen ein besonderes Erlebnis. Innerhalb kürzester Zeit gelangt man vom Zentrum aus schon seit den 1920er Jahren in die hochalpine Welt des Karwendel ohne das Stadtgebiet zu verlassen. Gemeinsam mit Panoramagebäude und der alten Kettenbrücke bildete die Bahn auf die Hungerburg Anfang des 20. Jahrhunderts das moderne Zentrum der Stadt. Wie die beiden anderen Sehenswürdigkeiten ereilte auch sie das Schicksal allen Irdischen. Die majestätische Kettenbrücke wurde 1939 gegen eine modernere Stahlbetonbrücke ersetzt, das Panoramagebäude steht seit 2011 leer. 2005 wurde auch die Hungerburgbahn außer Betrieb genommen. 101 Jahr zuvor aber war sie als Verbindung zwischen Innsbruck und dem neu angelegten, als Nobel- und Tourismusort konzipierten Ortsteil über der Stadt, das Gesprächsthema Nummer 1 in den Innsbrucker Nachrichten:
„Die Hungerburgbahn wurde heute früh um 7 Uhr – nicht gerade vom besten Wetter begünstigt, eröffnet. Die Züge verkehren viertelstündlich bis 10 Uhr abends. Wie es scheint, interessiert sich insbesondere auch die heimische Bevölkerung für die neue Bahn, die die erste Drahtseilbahn in Nordtirol ist. Im Hotel Mariabrunn vereinigte gestern ein interner Abend die Vertreter des Betriebes, der Bauleitung, der „Union“, des städtischen Elektrizitätswerkes und der Presse zu einem fröhlichen Zusammensein. Ingenieur Innerebner gedachte hierbei des derzeit in Karlsbad zur Kur weilenden Schöpfers der Bahn, Herrn Ing. Riehl … Die Betriebsleitung hat Betriebsinspektor Twerdy übernommen. Vor sechseinhalb Jahren hat der Genannte nur die Lokalbahn Innsbruck – Hall übernommen; seit dieser Zeit sind ihm vier Bahnen aller Systeme zugewachsen: die Mittelgebirgsbahn, die Stubaitalbahn, die elektrische Tramway und nunmehr die Drahtseilbahn auf die Hungerburg.“
Die Bergwelt war immer schon Teil der Stadt, auch vor den Zeiten des Tourismus. Der Steinbruch war Lieferant der Höttinger Breccie, die bis ins 20. Jahrhundert Basis für Innsbrucker Bauten war. An den Hängen der Nordkette hatte Innsbruck bis ins frühe 16. Jahrhundert eigene Weinberge, allerdings mit geringem Ertrag.
Die Hungerburg, heute der teuerste Stadtteil Innsbrucks, hätte eine Art Luftkurort werden sollen. Etwas unterhalb in Mühlau gab es bereits ein Kurbad, das erholungsbedürftige Gäste mit genügend finanziellen Mitteln empfing. Ein künstlich angelegter See im ehemaligen Steinbruch sollte den Gästen den Aufenthalt versüßen. Alte Fotos des Hotel Seehof zeigen eine idyllische Postkartenwelt. Die Aussichtswarte steht heute noch erhaben über Innsbruck. Das für den Kurtourismus eröffnete Hotel Mariabrunn an den Hängen der Nordkette erweckte den Charme eines noblen Schlösschens oberhalb der Stadt. Ein paar Schritte westlich der Station Hungerburg erinnert das Gasthaus zur Linde mit seiner sehenswerten Fassade samt einer Darstellung der Frau Hitt noch an diese Zeit.
Lange war die Bahn die einzige Verbindung zwischen Hungerburg und Innsbruck. Erst 1926 wurde die Höttinger Höhenstraße mit Start bei der Höttinger Kirche gebaut. 2005 war es um die Hungerburgbahn, die bis heute viele Nostalgiker und Liebhaber historischer Verkehrsmittel und Züge besitzt, geschehen. Trotz mehrerer Appelle aus der Bevölkerung wurde der Betrieb der Bahn eingestellt. Erhalten blieben die Stahlfachwerkbrücke über den Inn und das Stampfbetonviadukt im oberen Bereich der Bahn. Bilder der alten Hungerburgbahn und Innsbrucks Seilbahnvergangenheit kann man bei der Talstation der Neuen Hungerburgbahn auf der Hungerburg besichtigen.
Die Schwebebahn auf die Nordkette wurde 1928 eröffnet, im gleichen Jahr wie das südliche Äquivalent auf den Patscherkofel. Beide Stationen sind nicht nur was den Ausblick angeht spektakulär. Auch die Gebäude der Bahnen sind sehenswert.
Der bis dahin unbekannte Franz Baumann, ein Vertreter des Architekturstils der Tiroler Moderne, gewann die Ausschreibung nach dem Ersten Weltkrieg. Knapp vor dem Eintreffen der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Tirol konnte das Projekt noch ausgeführt werden. Er wandte sich von den vorherrschenden Stilen des 19. Jahrhunderts, dem Klassizismus, dem Heimatstil und dem Historismus ab. Die Gebäude sollten sich in die Landschaft hineinschmiegen und darin aufgehen, anstatt zu stören. Baumann designte sowohl die Gebäude wie auch die Einrichtung, ganz nach Art des Bauhausstils, der ab 1919 von Weimar aus moderne europäische Architektur ergriffen hatte. Das Handwerk sollte nicht über der Kunst stehen, sondern beide Bereiche sollten sich ergänzen. Sowohl die Bergbahn als auch die Gastronomie wurden funktional berücksichtigt. Beim Umbau 2007 wurden so weit als möglich sowohl das Interieur mit den wuchtigen Holzmöbeln wie auch das Äußere der Mittel- und Bergstation erhalten.
In den 1930er Jahren wurde auf der Nordkette Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Victor Franz Hess veranlasste 1931 die Einrichtung eines Labors in einer aufgelassenen Baubaracke auf dem Hafele Kar in 2300 m Seehöhe, um dort ein Labor für Ultrastrahlenforschung zum Studium der kosmischen Strahlung zu betreiben. 1936 erhielt er dafür den Nobelpreis für Physik.
Heute kann man am Kongresshaus mitten in der Stadt in die Nordkettenbahn einsteigen und ist innerhalb kürzester Zeit am Hafele Kar auf 2256 m Höhe. Die Stationen der neuen Bahn bis hinauf zur Hungerburg wurden von der Stararchitektin Zaha Hadid in atemberaubend futuristischem Design entworfen. Auch wer nicht zu Fuß den Spaziergang hinauf zur Weiherburg auf sich nehmen mag, kann gemütlich vom Kongresshaus zum Alpenzoo fahren.
Der Alpenzoo mit Weiherburg besitzt eine eigene Haltestelle der Hungerburgbahn. Von der Hungerburg aus geht es über die Seegrube hinauf zum Gipfelerfolg samt Gipfelkreuz. Der Ausblick auf die Stadt, das Wipptal und Berge wie Nockspitze und Serles oder hinab ins Karwendel Richtung Norden sind atemberaubend.
Auf der westlichen Seite der Nordkette (Anm.: von der Stadt aus gesehen links) erhebt sich eine markante Bergzacke. Mit etwas Fantasie ähnelt diese Felsformation einer Frau auf einem Pferd. Mit der Sage rund um diese Frau Hitt, deren Moral vor Hochmut und Verschwendung warnen soll, wachsen Innsbrucker Kinder seit Generationen auf.
„In uralten Zeiten, als das Geschlecht der Riesen noch auf Erden lebte, hauste hoch in den Bergen über dem Inn, wo unten im Tal Innsbruck entstand, eine stolze, mächtige Riesenkönigin, Frau Hitt, deren Hochmut und Hartherzigkeit von allen ihren Untertanen gefürchtet war. Herrliche Wälder, saftige Weiden und wogende Felder erfüllten das Reich, das sie beherrschte. Edle Erze und kostbare Gesteine lagen in den Bergen offen herum, und ihr Reichtum war grenzenlos. Ein kristallenes Schloß, das weit in das Tal hinabglänzte, bot ihr mit seinen unzähligen prunkvollen Räumen einen wahrhaft königlichen Aufenthalt. Rings um das Schloß dehnten sich wundervolle Gärten, in denen die schönsten Rosen blühten, die es je zu sehen gab. Frau Hitt nannte einen Sohn ihr eigen, den sie über alle Maßen liebte und verhätschelte. Das junge Riesenknäblein tummelte sich gern in der Nähe des Palastes umher und machte der besorgten Mutter durch seine Neugierde und seinen Übermut gar manchen Kummer, obgleich es meist harmlose Dinge waren, um die sie sich sorgte. Einmal geschah es, daß der Riesenknabe auf einem Steckenpferd reiten wollte. Er brach sich zu diesem Zweck eine junge Tanne ab, die am Rande eines moosigen Sumpfes wuchs. Wie er sich aber da mit der Tanne herumbalgte, gab das Erdreich nach, und der Riesenjunge plumpste samt seiner Tanne in den schwarzen moorigen Schlamm. Zwar gelang es ihm, mit Hilfe seiner ihm angeborenen Kraft sich aus dem unfreiwilligen Moorbad wieder herauszuarbeiten, aber Hände und Füße und Kleider waren über und über von dem übelriechenden Morast bedeckt, und auch das Gesicht wies etliche breite Schmutzspritzer auf. Heulend lief der Junge zur Mutter ins Schloß, bei jedem Schritt die schwarze Spur seines Unglücks hinterlassend. Frau Hitt beruhigte das Kind mit liebenden Worten und versprach ihm neues, schönes Spielzeug zum Trost für die ausgestandene Angst. Dann befahl sie ihren Dienern den Knaben zu entkleiden und sauber zu baden. Damit aber nicht eine Spur von dem Morast an ihm haften bleibe, sollten sie ihn noch mit Milch und aufgeweichtem Weißbrot am ganzen Körper waschen und abreiben und dann mit wohlriechenden Essenzen besprengen. Aber kaum hatten die Diener begonnen, die göttliche Gabe der Milch und des Brotes zu ihrem schmutzigen Werk zu mißbrauchen, als sich plötzlich der Himmel verfinsterte und mit rasender Schnelligkeit ein schweres Gewitter heranzog. Ein gewaltiges Erdbeben erschütterte die Berge, und mit donnerndem Krachen stürzte der kristallene Palast der Frau Hitt zu einem unförmigen Trümmerhaufen in sich zusammen. Und da kamen auch schon, gleichwie vom Himmel herabgeschleudert, riesige Muren und Steinlawinen die Berghänge herabgetost, fegten die Wälder hinweg, verschlangen die grünenden Almen und die blühenden Gärten und machten die herrlichen Fluren zur schreckenerregenden Steinwüste, aus der kein Grashalm mehr aufsprossen konnte. Das Reich der Frau Hitt war vernichtet, sie selbst aber zur schaurigen Felsensgestalt erstarrt, die ihren versteinerten Sohn in den Armen hält. Und so muß sie bleiben zum ewigen Gedächtnis ihres Frevels bis ans Ende der Zeiten.“
Zitiert aus: Die schönsten Sagen aus Österreich / sagen.at
Von alpiner Sommerfrische zur Piefke Saga
In den 1990er Jahren sorgte eine österreichische Fernsehserie für einen Skandal. Die Piefke Saga aus der Feder des Tiroler Schriftstellers Felix Mitterer beschrieb in vier skurril-entlarvend-amüsanten Folgen die Beziehung zwischen der deutschen Urlauberfamilie Sattmann und ihren Gastgebern in einem fiktiven Tiroler Urlaubsort. Bei aller Skepsis gegenüber dem Tourismus in seinen heutigen teils extremen Auswüchsen sollte man nicht vergessen, dass der Fremdenverkehr im 19. Jahrhundert ein wichtiger Faktor in Innsbruck und Umgebung war, der die Entwicklung der Region nachhaltig antrieb, nicht nur wirtschaftlich.
Anfangs waren es die Berggipfel der Alpen, die Besucher anzogen. Für lange Zeit war die Zone zwischen Mittenwald in Bayern und Italien nur eine Art Durchzugskorridor gewesen. Zwar verdienten die Innsbrucker Gasthöfe und Wirte bereits im Mittelalter und der Frühen Neuzeit an Händlern und der Entourage der adligen Gäste des Hofs, von Fremdenverkehr wie wir ihn heute verstehen war aber noch keine Rede. Dazu bedurfte es neben einer wachsenden Mittelschicht auch einer neuen Einstellung gegenüber den Alpen. Lange waren die Berge eine reine Bedrohung für die Menschen gewesen. Es waren vor allem Briten, die sich aufmachten, sich nach den Weltmeeren auch die Gebirge dieser Erde untertan zu machen. Über Reiseberichte verbreitete sich ab dem späten 18. Jahrhundert, der Epoche der Romantik, die Kunde von der Naturschönheit der Alpen.
Neben der alpinen Attraktion waren es die wilden und exotischen Eingeborenen Tirols, die international für Aufsehen sorgten. Der bärtige Revoluzzer namens Andreas Hofer, der es mit seinem Bauernheer geschafft hatte, Napoleons Armee in die Knie zu zwingen, erzeugte bei den Briten, den notorischen Erzfeinden der Franzosen, ebenso großes Interesse wie bei deutschen Nationalisten nördlich der Alpen, die in ihm einen frühen Protodeutschen sahen. Die Tiroler galten als unbeugsamer Menschenschlag, archetypisch und ungezähmt, ähnlich den Germanen unter Arminius, die das Imperium Romanum herausgefordert hatten. Die Beschreibungen Innsbrucks aus der Feder des Autors Beda Weber (1798 – 1858) und andere Reiseberichte in der boomenden Presselandschaft dieser Zeit trugen dazu bei, ein attraktives Bild Innsbrucks zu prägen.
Nun mussten die wilden Alpen nur noch der Masse an Touristen zugänglich gemacht werden, die zwar gerne den frühen Abenteurern auf ihren Expeditionen nacheifern wollten, deren Risikobereitschaft und Fitness mit den Wünschen nicht schritthalten konnten. Der Deutsche Alpenverein eröffnete 1869 eine Sektion Innsbruck, nachdem der 1862 Österreichische Alpenverein wenig erfolgreich war. Angetrieben vom großdeutschen Gedanken vieler Mitglieder fusionierten die beiden Institutionen 1873. Der Alpenverein ist bis heute bürgerlich geprägt, sein sozialdemokratisches Pendant sind die Naturfreunde. Das Wegenetz wuchs durch dessen Erschließung ebenso wie die Zahl an Hütten, die Gäste beherbergen konnten. Der Tiroler Theologe Franz Senn (1831 – 1884) und der Schriftsteller Adolf Pichler (1819 – 1900) waren maßgeblich an der Vermessung Tirols und der Erstellung von Kartenmaterial beteiligt. Anders als gerne behauptet waren die Tiroler nicht geborene Bergsteiger, sondern mussten sich die Fähigkeiten die Bergwelt zu erobern erst beibringen lassen. Bis dato waren Berge vor allem eins: gefährlich und mühsam im landwirtschaftlichen Alltag. Sie zu besteigen, war zuvor kaum jemandem in den Sinn gekommen. Die Alpenvereine bildeten auch Bergführer aus.
Ab der Jahrhundertwende kam neben Wandern und Bergsteigen der Skisport in Mode, der. Lifte gab es noch nicht, um auf die Berge zu gelangen, musste man sich der Felle bedienen, die heute noch auf Tourenski geklebt werden.
Die Anzahl der Gäste stieg langsam, aber sicher an. Neben der Menge an Reisenden, die einen Einfluss auf das Leben in der Kleinstadt Innsbruck hatten, war es auch die Internationalität der Besucher, die Innsbruck nach und nach einen neuen Anstrich gaben. Es bedurfte neuer Hotels, Cafés, Gasthäuser, Geschäfte und Transportmittel, um die Bedürfnisse der Gäste zu befriedigen. Die Arbeitswelt vieler Menschen veränderte sich. Im Juni 1896 berichteten die Innsbrucker Nachrichten:
„Der Fremdenverkehr in Innsbruck bezifferte sich im Monat Mai auf 5647 Personen. Darunter befanden sich (außer 2763 Reisenden aus Oesterreich-Ungarn) 1974 Reichsdeutsche, 282 Engländer, 65 Italiener, 68 Franzosen, 53 Amerikaner, 51 Russen und 388 Personen aus verschiedenen anderen Ländern.“
Mit dem Grand Hotel Europa hatte 1869 auch in Innsbruck ein Haus ersten Ranges geöffnet und löste die oft in die Jahre gekommenen Gasthöfe in der Altstadt als die Unterkünfte erster Wahl ab. 1892 folgte mit dem Reformhotel Habsburger Hof ein zweiter großer Betrieb, der mit der Nähe zum Bahnhof warb. Was heute eher als Wettbewerbsnachteil angesehen würde, war zu dieser Zeit ein Verkaufsargument. Bahnhöfe waren die Zentren moderner Städte. Die Bahnhofsplätze waren keine überfüllten Verkehrsknotenpunkte wie heute, sondern mondäne und gepflegte Orte vor den architektonisch anspruchsvoll gestalteten Hallen, in denen die Züge ankamen. Der Habsburger Hof konnte seinen Gästen auch bereits elektrisches Licht bieten, eine absolute Sensation.
Innsbruck und die umgebenden Orte waren auch für Kururlaub, dem Vorgänger des heutigen Wellness, bei der betuchte Kunden sich in alpinem Umfeld von unterschiedlichsten Krankheiten erholten, bekannt. Der Igler Hof, damals Grandhotel Igler Hof und das Sporthotel Igls, verströmen heute noch teilweise den Chic dieser Zeit. Michael Obexer, der Gründer des Kurortes Igls und Besitzer des Grandhotels, war ein Tourismuspionier. In Egerdach bei Amras und in Mühlau, gab es zwei Kurbäder. So bekannt wie die Hotspots der Zeit in Bad Ischl, Marienbad oder Baden bei Wien waren die Anlagen nicht, wie man auf alten Fotos und Postkarten sehen kann, die Anwendungen mit Sole, Dampf, Gymnastik, sogar Magnetismus, entsprachen aber dem damaligen Standard dessen, was heute teilweise noch bei Kur- und Wellnessurlaubern beliebt ist. Bad Egerdach bei Innsbruck war als Heilquelle seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Die Quelle sollte Gicht, Hautkrankheiten, Anämie, ja sogar die im 19. Jahrhundert als Vorgängerin des Burnouts als Neurasthenie bekannte Nervenkrankheit beheben. Die Kapelle der Anstalt besteht bis heute gegenüber dem SOS Kinderdorf. Die Badeanstalt in Mühlau existierte seit 1768 und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Gasthaus mit Kuranstalt ganz im Stil der Zeit umgebaut. Die ehemalige Badeanstalt ist heute ein sehenswertes Wohnhaus in der Anton-Rauch-Straße.
1888 gründeten die Profiteure des Fremdenverkehrs in Innsbruck die Kommission zur Förderung des Tourismus, den Vorgänger des heutigen Tourismusverbands. Durch vereinte Kräfte in Werbung und Qualitätssicherung bei den Beherbergungsbetrieben hofften die einzelnen Betriebe, den Tourismus weiter anzukurbeln. Ab 1880 sorgten neben Werbung in Zeitungen auch Messen dafür, dass Innsbruck und Tirol international Bekanntheit erlangten.
„Alljährlich mehrt sich die Zahl der überseeischen Pilger, die unser Land und dessen gletscherbekrönte Berge zum Verdrusse unserer freundnachbarlichen Schweizer besuchen und manch klingenden Dollar zurücklassen. Die Engländer fangen an Tirol ebenso interessant zu finden wie die Schweiz, die Zahl der Franzosen und Niederländer, die den Sommer bei uns zubringen, mehrt sich von Jahr zu Jahr.“
Postkarten waren die ersten massentauglichen Influencer der Tourismusgeschichte. Viele Betriebe ließen ihre eigenen Postkarten drucken. Verlage produzierten unzählige Sujets der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Es ist interessant zu sehen, was damals als sehenswert galt und auf den Karten abgebildet wurde. Anders als heute waren es vor allem die zeitgenössisch modernen Errungenschaften der Stadt: der Leopoldbrunnen, das Stadtcafé beim Theater, die Kettenbrücke, die Zahnradbahn auf die Hungerburg oder die 1845 eröffnete Stefansbrücke an der Brennerstraße, die als Steinbogen aus Quadern die Sill überquerte, waren die Attraktionen. Auch Andreas Hofer war ein gut funktionierendes Testimonial auf den Postkarten: Der Gasthof Schupfen in dem Andreas Hofer sein Hauptquartier hatte und der Berg Isel mit dem großen Andreas-Hofer-Denkmal waren gerne abgebildete Motive.
1914 gab es in Innsbruck 17 Hotels, die Gäste anlockten. Dazu kamen die Sommer- und Winterfrischler in Igls und dem Stubaital. Der Erste Weltkrieg ließ die erste touristische Welle mit einem Streich versanden. Gerade als sich der Fremdenverkehr Ende der 1920er Jahre langsam wieder erholt hatte, kamen mit der Wirtschaftskrise und Hitlers 1000 Mark Sperre, mit der er die österreichische Regierung 1933 unter Druck setzen wollte, um das Verbot der NSDAP zu beenden, die nächsten Dämpfer.
Es bedurfte des Wirtschaftswunders der 1950er und 1960er, um den Tourismus in Innsbruck wieder anzukurbeln. Nach den beschwerlichen Kriegsjahren und dem Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft Jahren konnten Tirol und Innsbruck den Fremdenverkehr langsam, aber stetig stabil als Einnahmequelle etablieren.
Sportliches Innsbruck
Wer den Beweis benötigt, dass die Innsbrucker stets ein aktives Völkchen waren, könnte das Bild „Winterlandschaft“ des niederländischen Malers Pieter Bruegel (circa 1525 – 1569) aus dem 16. Jahrhundert bemühen. Auf seiner Rückreise von Italien gen Norden hielt der Meister wohl auch in Innsbruck und beobachtete dabei die Bevölkerung beim Eislaufen auf dem zugefrorenen Amraser See. Beda Weber beschrieb in seinem Handbuch für Reisende in Tirol 1851 die Freizeitgewohnheiten der Innsbrucker, darunter auch das Eislaufen am Amraser See. „Der unweit davon (Anm.: Amras) liegende See, eine Lache in der Moosgegend, wird im Winter von den Schlittschuhläufern benützt.“
Muse und frei verfügbare Zeit, für Sport wie der Jagd oder Reiten war im Mittelalter und der Frühen Neuzeit aber vor allem ein Privileg des Adels. Erst durch die geänderten Lebensumstände des 19. Jahrhunderts hatte ein guter Teil der Bevölkerung, vor allem in den Städten, zum ersten Mal so etwas wie Freizeit. Mehr und mehr arbeiteten Menschen nicht mehr in der Landwirtschaft, sondern als Arbeiter und Angestellte in Büros, Werkstätten und Fabriken nach geregelten Zeitplänen.
Vorreiter war das bereits früh industrialisierte England, wo sich Arbeiter und Angestellte langsam vom Turbokapitalismus der frühen Industrialisierung zu befreien begannen. 16-Stunden-Tage waren nicht nur gesundheitlich bedenklich für den Arbeiter, auch Unternehmer merkten, dass eine Überbelastung unrentabel war. Gesunde und glückliche Arbeiter waren besser für die Produktivität. Seit den 1860er Jahren gab es Bestrebungen, einen 8-Stunden-Tag einzuführen. 1873 setzten die österreichischen Buchdrucker eine Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag durch. 1918 stellt man in Österreich auf eine 48-Stunden-Woche um. Ab 1930 galten in Industriebetrieben 40 Stunden pro Woche als Normalarbeitszeit. Menschen jeder Schicht, nicht mehr nur die Aristokratie, hatten nun Zeit und Geist für Hobbies, Vereinsleben und sportliche Betätigung.
Es waren vielfach auch englische Touristen, die sportliche Trends, Disziplinen und Ausrüstung mitbrachten. Der finanzielle Aufwand für das benötigte Equipment bestimmte, ob die Disziplin dem Bürgertum vorbehalten blieb oder auch Arbeiter sich das Vergnügen leisten konnten. Zum Beispiel war das Rodeln bereits um die Jahrhundertweite weit verbreitet während Bob und Skeleton elitäre Sportarten blieben.
Den Anfang des organisierten Vereinssports machte der ITV, der Innsbrucker Turnverein, der sich 1849 gründete. Das Turnen war der Inbegriff des Sports im deutschsprachigen Raum. Der Wettkampfgedanke stand dabei nicht im Vordergrund. Die meisten Vereine hatten einen politischen Hintergrund. Es gab christliche, sozialistische, und großdeutsche Sportvereine. Sie dienten als Vorfeldorganisation politischer Parteien und Organe. Mehr oder minder alle Vereine hatten Arierparagraphen in ihren Statuten. Juden gründeten deshalb ihre eigenen Sportvereine gründeten. Aus den deutschen Turnvereinen ging, ähnlich wie aus den Studentenverbindungen, die Nationalbewegung hervor. Die Mitglieder sollten sich körperlich ertüchtigen, um dem nationalen Volkskörper im Kriegsfall bestmöglich zu dienen. Sitzende Berufe, vor allem die akademischen, wurden mehr, Turnen diente als Ausgleich. Sieht man die Turner auf alten Bildern ihre Übungen und Vorführungen abhalten, fällt der stramm militärische Charakter dieser Veranstaltungen auf. Der großdeutsche Agitator Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852), landläufig bekannt als Turnvater Jahn, war nicht nur Vorturner der Nation, sondern war auch geistiger Vater des Lützow´schen Freikorps das gegen Napoleon als eine Art gesamtdeutsches Freiwilligenheer ins Feld zog. Eines der bekanntesten Bonmots, das diesem leidenschaftlichen Antisemiten zugeschrieben wird, lautet „Hass alles Fremden ist des Deutschen Pflicht“. Im Saggen erinnern die Jahnstraße und ein kleiner Park mit Denkmal an Friedrich Ludwig Jahn.
1883 gründeten die Radfahrer den Verein Bicycle Club. Die ersten Radrennen in Frankreich und Großbritannien hatten in ab 1869 stattgefunden. Die englische Stadt Coventry war auch Vorreiter bei der Produktion der eleganten Stahlrösser, die ein Vermögen kosteten. Bereits im selben Jahre hatte die Innsbrucker Presse von den modernen Mitteln des Individualverkehrs berichtet, als sich „einige Herren mit mehreren von der Firma Peterlongo bestellten Velocipedes auf die Straße wagten“. 1876 kam es zu einem kurzzeitigen Verbot des Radverkehrs in Innsbruck, da es immer wieder zu Unfällen gekommen war. Auch das Radfahren wurde recht zügig von staatlicher Seite als Ertüchtigung erkannt, die man für militärische Zwecke nutzen konnte. Ein Reichs-Kriegsministerialerlass dazu ist in der Presse zu finden:
„Es ist beabsichtigt, wie in den Vorjahren, auch heuer bei den Uebungen mit vereinigten Waffen Radfahrer zu verwenden… Die Commanden der Infanterie- und Tiroler Jägerregimenter sowie der Feldjäger-Bataillone haben jene Personen, welche als Radfahrer in Evidenz stehen und heuer zur Waffenübung verpflichtet sind, zum Einrücken mit ihrem Fahrrade aufzufordern.“
Die Velocipedisten siedelten sich 1896 im Rahmen der „Internationalen Ausstellung für körperliche Erziehung, Gesundheitspflege und Sport“ im Saggen nahe der Viaduktbögen mit einer Radrennbahn samt Tribüne an. Neben Radrennen fanden hier bis zum Abriss der Anlage Boxkämpfe und Tennismatches statt. Die Innsbrucker Nachrichten berichteten begeistert von dieser Neuerung, war doch der Radsport bis zu den ersten Autorennen europaweit die beliebteste Sportdisziplin:
„Die Innsbrucker Rennbahn, welche in Verbindung mit der internationalen Ausstellung noch im Laufe der nächsten Wochen eröffnet wird, erhält einen Umfang von 400 Metern bei einer Breite von 6 Metern… Die Velociped-Rennbahn, um deren Errichtung sich der Präsident des Tiroler Radfahrer-Verbandes Herr Staatsbahn-Oberingenieur R. v. Weinong, das Hauptverdienst erworben hat, wird eine der hervorragendsten und besteingerichteten Radfahrbahnen des Continents sein. Am. 29. d. M. (Anm.: Juni 1896) wird auf der Innsbrucker Rennbahn zum erstenmale ein großes internationales Radwettfahren abgehalten, welchem dann in der Zukunft alljährlich regelmäßig Velociped-Preisrennen folgen sollen, was der Förderung des Radfahr-Sports wie auch des Fremdenverkehrs in Innsbruck sicher in bedeutendem Maße nützlich sein wird.“
Die Fußballer waren wegen des Arierparagraphen, der Matches mit Mannschaften mit jüdischen Spielern verbot, aus dem Dachverein ITV ausgetreten. 1903 gründete sich der Verein Fußball Innsbruck, der später zum SVI werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits überregionale Fußballspiele, zum Beispiel ein 1:1 Unentschieden der Mannschaft des ITV gegen Bayern München. Die Spiele wurden auf einem Fußballplatz vor dem Sieberer Waisenheim ausgetragen. In Wilten, mittlerweile ein Teil Innsbrucks, entstand 1910 der SK Wilten. 1913 gründete sich mit Wacker Innsbruck der bis heute erfolgreichste Tiroler Fußballverein, der insgesamt unter verschiedenen Namen zehn Mal österreichischer Meister wurde und auch international immer wieder für Furore sorgen konnte.
Die zweite Hälfte der 1920er Jahre waren eine Zeit der Emanzipation und des Aufbruchs nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs und den Krisenjahren, die von Inflation und Versorgungsengpässen charakterisiert waren. 1925 errichtete die Stadt bei den Sillhöfen ein Sportzentrum, um dem steigenden Bedarf nachzukommen. Schon im 19. Jahrhundert war dieses Areal zwischen Wilten, Pradl und Amras am Fuße des Berg Isel ein beliebtes Ausflugsziel für Innsbrucker. Die erste Anlage bestand aus zwei Fußballfeldern samt Aschenbahn für Leichtathletik. Die Sportplätze wurden während des Zweiten Weltkrieges Opfer der Bomben. Die Fläche nutzten Innsbrucker Bürger in der Nachkriegszeit als Schrebergärten.
1953 wurde das alte Tivoli-Fußballstadion eröffnet, in dem der FC Wacker Innsbruck unter verschiedenen Vereinsnamen bis zum Umzug in die neue Heimstätte hinter dem Olympiastadion im Jahr 2000 acht von insgesamt zehn österreichischen Meistertiteln feiern konnte.
Die erste Badeanstalt empfing Schwimmer ab 1833 in der Höttinger im Freibad am Gießen. Weitere Bäder beim Schloss Büchsenhausen oder die in Frauen- und Herren-Badeanstalt getrennte Anlage neben dem heutigen Sillparkgelände folgten bald. Besonders schön gelegen war das Freischwimmbad Schönruh oberhalb des Schloss Ambras, das 1929 kurz nach der Erbauung des Hallenbades in Pradl eröffnete. Die Bevölkerung war ebenso stark gewachsen wie ihre Lust am Schwimmen als Freizeitbeschäftigung. 1961 wurde das Sportangebot am Tivoli um das Freischwimmbad Tivoli erweitert. Abgesehen von einigen Erneuerungen und der Umstrukturierung auf Grund der Wohnanlage Tivoli besteht das Schwimmbad im Kern seit über 60 Jahren nach den Plänen dieser Zeit und gilt als internationales Vorbild für die Gestaltung einer städtischen Freizeitanlage.
Neben den diversen Sommersportarten wurde auch der Wintersport immer populärer. Rodeln war schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine beliebte Freizeitbeschäftigung auf den Hügeln rund um Innsbruck. Der erste Eislaufplatz eröffnete 1870 als winterliche Alternative zum Schwimmen am Gelände des Freibades in der Höttinger Au. Ander als der Wassersport war Eislaufen ein Vergnügen, das von Damen und Herren gemeinsam genossen werden konnte. Anstatt sich beim Sonntagsspaziergang zu treffen, konnten junge Paare sich am Eislaufplatz ohne elterliches Beisein verabreden. 1884 gründete sich der Eislaufverein und nutzte das Ausstellungsgelände als Eisbahn. Mit dem Eislaufplatz vor dem k.u.k. Schießstand in Mariahilf, dem Lansersee, dem Amraser See, der Schwimmanlage Höttinger Au und dem Sillkanal in der Kohlstatt standen den Innsbruckern viele Möglichkeiten zum Eislaufen zur Verfügung. Bereits 1908 entstand mit dem IEV auch der erste Eishockeyverein.
Der Skisport, anfangs ein nordisches Vergnügen im Tal, breitete sich bald auch als Abfahrtsdisziplin aus. Der Akademische Alpenclub Innsbruck gründete sich 1893 und veranstaltete zwei Jahre später das erste Skirennen auf Tiroler Boden von Sistrans zum Schloss Ambras. Das 1867 gegründete Sporthaus Witting in der Maria-Theresien-Straße bewies Geschäftssinn und verkaufte noch vor 1900 Ausrüstung für das gut betuchte Publikum der Skisportler. Nach St. Anton und Kitzbühel gründete sich 1906 der erste Innsbrucker Skiverein. Die Ausrüstung war einfach und ermöglichte lange Zeit nur das Fahren auf verhältnismäßig flachen Hängen mit einer Mischung aus alpinem und nordischem Stil ähnlich dem Langlaufen. Trotzdem wagte man sich in Mutters oder auf der Ferrariwiese die Pisten hinabzudüsen. Seit 1928 führten zwei Seilschwebebahnen sowohl auf die Nordkette und den Patscherkofel, was den Skisport bedeutend attraktiver machte. Den Durchbruch zum Nationalsport erlangte das Skifahren mit der Ski-WM im Februar 1933 in Innsbruck. Auf nicht abgesteckter Strecke mussten 10 Kilometer und 1500 Höhenmeter zwischen dem Glungezer und Tulfes bewältigt werden. Die beiden Lokalmatadoren Gustav Lantschner und Inge Wersin-Lantschner gewannen bei den Rennen mehrere Medaillen und befeuerten damit den Hype rund um den alpinen Wintersport in Innsbruck.
Innsbruck identifiziert sich bis heute sehr stark mit dem Sport. Mit der Fußball-EM 2008, der Radsport-WM 2018 und der Kletter-WM 2018 konnte man an die glorreichen 1930er Jahre mit zwei Skiweltmeisterschaften und die beiden Olympiaden von 1964 und 1976 auch im Spitzensportbereich wieder an die Goldenen Zeiten anknüpfen. Trotzdem ist es weniger der Spitzen- als vielmehr der Breitensport, der dazu beiträgt, aus Innsbruck die selbsternannte Sporthauptstadt Österreichs zu machen. Es gibt kaum einen Innsbrucker, der nicht zumindest den Alpinski anschnallt. Mountainbiken auf den zahlreichen Almen rund um Innsbruck, Skibergsteigen, Sportklettern und Wandern sind überdurchschnittlich populär in der Bevölkerung und fest im Alltag verankert.
Wilhelm Greil: DER Bürgermeister Innsbrucks
Einer der wichtigsten Akteure der Stadtgeschichte war Wilhelm Greil (1850 – 1923). Von 1896 bis 1923 bekleidete der Unternehmer das Amt des Bürgermeisters, nachdem er vorher bereits als Vizebürgermeister die Geschicke der Stadt mitgestaltet hatte. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war in der Innsbrucker Stadtpolitik vom Kampf liberaler und konservativer Kräfte geprägt. Greil war ein geschickter Politiker, der sich innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen seiner Zeit bewegte. Er wusste sich um die traditionellen Kräfte, die Monarchie und den Klerus geschickt zu manövrieren und sich mit ihnen zu arrangieren.
Unter ihm wurde von der Stadt ganz im Sinne des Kaufmanns vorausschauend Grund angekauft, um Projekte zu ermöglichen. Unter Wilhelm Greil erweiterte sich Innsbruck beträchtlich. Der Politiker Greil konnte sich bei den großen Bauprojekten der Zeit auf die Beamten und Stadtplaner Eduard Klingler, Jakob Albert und Theodor Prachensky stützen. Neben den Villen im Saggen entstanden auch die Wohnhäuser im östlichen Teil des Stadtviertels. Infrastrukturprojekte wie das neue Rathaus in der Maria-Theresienstraße 1897, die Hungerburgbahn 1906 und die Karwendelbahn wurden umgesetzt. Andere Projekte waren die Erneuerung des Marktplatzes und der Bau der Markthalle.
Vieles, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorangetrieben wurde, gehört heute zum Alltag. Für die Menschen dieser Zeit waren diese Dinge aber eine echte Sensation und lebensverändernd. Die vier Jahrzehnte zwischen der Wirtschaftskrise 1873 und dem Ersten Weltkrieg von einem nie dagewesenen Wirtschaftswachstum und einer rasenden Modernisierung gekennzeichnet. Die Wirtschaft der Stadt boomte. Betriebe in Pradl und Wilten gründeten sich und lockten Arbeitskräfte an. Auch der Tourismus brachte frisches Kapital in die Stadt.
Bereits sein Vorgänger Bürgermeister Heinrich Falk (1840 – 1917) hatte erheblich zur Modernisierung der Stadt und zur Besiedelung des Saggen beigetragen. Seit 1859 war die Beleuchtung der Stadt mit Gasrohrleitungen stetig vorangeschritten. Zwischen 1887 und 1891 wurde Innsbruck mit einer modernen Hochdruckwasserleitung ausgestattet, über die auch Wohnungen in höher gelegenen Stockwerken mit frischem Wasser versorgt werden konnten. Wilhelm Greil veranlasste die Übernahme des Gaswerks in Pradl und des Elektrizitätswerks in Mühlau in städtischen Besitz. Die Straßenbeleuchtung wurde auf elektrisches Licht umgestellt.
Greil konnte sich bei dieser Innsbrucker Renaissance auf der Stadt geneigte Mäzen aus dem Bürgertum stützen. Freiherr Johann von Sieberer stiftete das Greisenasyl und das Waisenhaus im Saggen. Leonhard Lang stiftete das Gebäude, das vorher als Hotel genutzt wurde, in das das Rathaus von der Altstadt 1897 übersiedelte, gegen das Versprechen der Stadt ein Lehrlingsheim zu bauen.
In seinen letzten Amtsjahren begleitete Greil Innsbruck am Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik durch Jahre, die vor allem durch Hunger, Elend, Mittelknappheit und Unsicherheit geprägt waren. Er war 68 Jahre alt, als italienische Truppen nach dem Ersten Weltkrieg die Stadt besetzten und Tirol am Brenner geteilt wurde, was für ihn als Vertreter des Deutschnationalismus besonders bitter war.
Greil gehörte der "Deutschen Volkspartei" an, einer liberalen und national-großdeutschen Partei. Was uns heute als Widerspruch erscheint, liberal und national, war im 19. Jahrhundert ein politisch übliches und gut funktionierendes Gedankenpaar. Der Pangermanismus war keine politische Besonderheit einer rechtsradikalen Minderheit, sondern eine Strömung der Mitte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch fast alle Parteien hindurch in unterschiedlicher Ausprägung Bedeutung hatte. Unter anderem war Bürgermeister Wilhelm Greil ein Verfechter einer deutschnationalen Lösung, die sich mehr nach Norden als in die östlichen Teile der Monarchie orientierte.
Bedingt durch eine Wahlordnung, die auf das Stimmrecht über Vermögensklassen aufgebaut war, konnten sich große Massenparteien wie die Sozialdemokraten noch nicht durchsetzen. Die Konservativen hatten es, anders als im restlichen Tirol, schwer in Innsbruck, dessen Bevölkerung seit der Zeit Napoleons liberale Morgenluft geschnuppert hatte. Viel mehr waren es eben die von wohlhabenden Bürgern und Unternehmern unterstützten liberalnationalen Politiker, die den politischen Ton Innsbrucks dieser Zeit vorgaben.
1928 verstarb Altbürgermeister Greil als Ehrenbürger der Stadt Innsbruck im Alter von 78 Jahren. Die Wilhelm-Greil-Straße war noch zu seinen Lebzeiten nach ihm benannt worden.