Kirche & Friedhof St. Nikolaus

Schmelzergasse 1

Hofburg Innsbruck
Wissenswert

​Bereits im 16. Jahrhundert befand sich in der Nähe des Siechenhauses eine Kapelle mit Friedhof. Sie war dem Heiligen Nikolaus, der besonders in den armen Bevölkerungsschichten zu den beliebtesten Heiligen gehörte, geweiht. Nikolaus von Myra, um den sich viele Legenden ranken, wurde nicht nur von vielen Handwerkszünften, sondern auch von Dieben und Prostituierten zu ihrem Schutzpatron erkoren. Seine Wahl zum Patron für diesen Stadtteil erfolgte wohl nicht grundlos, betrachtet man die Geschichte der Koatlackn, dem Stadtteil, in dem Zuchthaus, Hinrichtungsstätte und Armenviertel waren. Bis 1789 befand sich hier das Sondersiechenhaus, in dem Menschen mit ansteckenden Krankheiten und körperlichen Deformationen fernab der Stadt hausten. Die Sondersiechen waren eine als Bettlergilde organisierte Bruderschaft, die sich durch Betteln und Almosen organisierten. Das Betteln in Innsbruck wurde durch eine eigene Ordnung geregelt. Den Vorstand bildeten der Siechenvater und seine Frau die Siechenmutter, die nach außen hin als eine Art Standesvertretung fungierten und nach innen hin das tägliche Leben organisierten. Das Gebäude gegenüber der Kirche trägt bis heute das Konterfei des Heiligen Nikolaus im orthodox anmutenden Stil.

Zur eigenen Pfarre erhoben wurde die Kirche 1851. Die Gemeinde war während der Industrialisierung schnell gewachsen, die alte Kirche war zu klein geworden. Der Entwurf zu diesem neogotischen Bau stammt vom Wiener Baumeister Friedrich Schmidt (1825 – 1891). Schmidt war Professor für mittelalterliche Baukunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien und unter anderem federführend am Neubau des Wiener Rathauses und des Stephansdoms beteiligt, wo eine Gedenktafel an ihn erinnert. In Innsbruck stammt neben der Kirche St. Nikolaus der Entwurf des Rudolfsbrunnens von ihm. Schmidt prägte die Neogotik als Stilmittel der K.u.K Monarchie. Im ganzen Reich zwischen Innsbruck im Westen und Galizien im Osten wurden zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg Sakral- und Profanbauten im ähnlichen Stil errichtet. Diese Bauwerke mit hohem Wiedererkennungswert prägen bis heute das Ortsbild vieler ehemaliger Kronländer. Über die Ähnlichkeit von kirchlichen und Regierungsgebäuden entstand für die Bürger eine Verknüpfung der beiden bestimmenden Organisationen der Zeit, Staat und Kirche. Errichtet von 1882 bis 1886 war sie eines der ersten Projekte der Baufirma Huter & Söhne, die zur größten privaten Baufirma der Stadt aufsteigen sollte und bereits das Kloster zur Ewigen Anbetung errichtet hatte.

Der Kirchturm, die spitzbogigen Fenster, die Figuren von St. Martin, Nikolaus und Maria mit Kind über dem Eingang, die Fassade, die von der Tiroler Glasmalerei geschaffenen Fenster – alles erinnert stilistisch an das Mittelalter. Im Inneren interessant sind die Orgel im hinteren Bereich der Kirche und das imposante Kreuzrippengewölbe mit Heiligenmalereien. Der gesamte Innenbereich orientiert sich sehr stark an der Heiligenverehrung, die die Basis der Volksfrömmigkeit darstellte. Besonders sehenswert sind die bildlichen Darstellungen alttestamentarischer Propheten und der Evangelisten aus dem neuen Testament. 1906 wurde in einem Seitenschiff ein Altar für die Herz-Jesu-Verehrung gestaltet, der den Schwur des Heiligen Landes Tirol von 1796 symbolisiert. Sehenswert ist auch der Friedhof, der die Kirche umgibt. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit war hier die letzte Ruhestätte für die armen Seelen des Siechenhauses und die sterblichen Überreste der am nahen Köpflplatz Hingerichteten. Die Struktur dieses Gottesackers wurde zu großen Teilen belassen. Auf drei Seiten umgibt er, umrahmt von einem Arkadengang mit Säulen, die Kirche. Heute sind es imposante Grabstätten verdienter Innsbrucker Familien seit dem 19. Jahrhundert, die zu einem Streifzug einladen.

1796 - 1866: Vom Herzen Jesu bis Königgrätz

Die Zeit zwischen der Französischen Revolution und der Schlacht bei Königgrätz 1866 war eine kriegerische Periode. Die Monarchien Europas angeführt von den Habsburgern hatten der Französischen Republik den Krieg erklärt. Die Angst ging um, dass sich der Wahlspruch der Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“ in Europa ausbreiten könnte. Ein junger General namens Napoleon Bonaparte war mit seiner italienischen Armee im Rahmen der Koalitionskriege über die Alpen vorgerückt und traf dort auf die österreichischen Truppen. Es war nicht nur ein Krieg um Territorium und Macht, es war ein Kampf der Systeme. Die Grande Armee der revolutionären Republik Frankreich traf auf die erzkatholischen Habsburger.

Tiroler Schützen waren am Kampfgeschehen beteiligt, um die Landesgrenzen gegen die einrückenden Franzosen zu verteidigen. Kompanien wie die 1796 ins Leben gerufenen Höttinger Schützen standen der damals fortschrittlichsten und besten Armee der Welt gegenüber. Der Herz-Jesu-Kult, der in Tirol bis heute große Popularität genießt, reicht bis in diese Zeit zurück. In aussichtsloser Situation erneuerten die Tiroler Truppen ihren Bund mit dem Herzen Jesu, um Schutz zu erbitten. Der Abt des Klosters Stams war es, der bei den Landständen beantragte, von nun an alljährlich "das Fest des göttlichen Herzens Jesu mit feierlichem Gottesdienst zu begehen, wenn Tirol von der drohenden Feindesgefahr befreit werde." Alljährlich wurden die Herz-Jesu-Feiern mit großem Pomp in der Presse besprochen und angekündigt. Sie waren vor allem im 19. und im frühen 20. Jahrhundert ein explosives Gemisch aus Volksaberglauben, Katholizismus und nationalen Ressentiments gegen alles Französische und Italienische. Neben der Gnadenmutter Cranachs ist die Darstellung des Herzen Jesu wohl bis heute das beliebteste christliche Motiv im Tiroler Raum und prangt auf der Fassade unzähliger Häuser.

In den Kriegsjahren 1848, 1859 und 1866 kam es zu den sogenannten Italienischen Einigungskriegen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts, spätestens seit 1848, war es unter jungen Männern zu einem regelrechten nationalen Rausch gekommen. Freiwilligenheere schossen in allen Regionen Europas aus dem Boden. Studenten und Akademiker, die sich in ihren Verbindungen zusammentaten, Turner, Schützen, alle wollten ihre neue Liebe zur Nation auf dem Schlachtfeld unter Beweis stellen und unterstützten die offiziellen Armeen. Die wohl bekannteste Schlacht der Einigungskriege fand in Solferino 1859 in der Nähe des Gardasees statt. Entsetzt vom blutigen Geschehen entschloss sich Henry Durant das Rote Kreuz zu gründen. Der Schriftsteller Joseph Roth beschrieb das Geschehen auf den ersten Seiten seines lesenswerten Klassikers Radetzkymarsch.

„In der Schlacht bei Solferino befehligte er (Anm.: Leutnant Trotta) als Leutnant der Infanterie einen Zug. Seit einer halben Stunde war das Gefecht im Gange. Drei Schritte vor sich sah er die weißen Rücken seiner Soldaten. Die erste Reihe seines Zuges kniete, die zweite stand. Heiter waren alle und sicher des Sieges. Sie hatten ausgiebig gegessen und Branntwein getrunken, auf Kosten und zu Ehren des Kaisers, der seit gestern im Felde war. Hier und dort fiel einer aus der Reihe.“

Innsbruck war als Garnisonsstadt ein wichtiger Versorgungsposten. Nach dem Wiener Kongress war aus dem Tiroler Jägerkorps das k.k. Tiroler Kaiserjägerregiment geworden, eine Eliteeinheit, die in diesen Auseinandersetzungen zum Einsatz kam. Auch freiwillige Einheiten wie die Innsbrucker Akademiker oder die Stubaier Schützen kämpften in Italien. Medien heizten die Stimmung abseits der Frontlinie auf. Die "Innsbrucker Zeitung" predigte in ihren Artikeln Kaisertreue und großdeutsch-tirolischen Nationalismus, wetterte gegen das Italienertum und Franzosen und pries den Mut Tiroler Soldaten.

"Die starke Besetzung der Höhen am Ausgange des Valsugana bei Primolano und le Tezze gab schon oft den Innsbrucker-Akademikern I. und den Stubaiern Anlaß, freiwillige Ercur:sionen gegen le Tezze, Fonzago und Fastro, als auch auf das rechte Brenta-Ufer und den Höhen gegen die kleinen Lager von den Sette comuni zu machen...Am 19. schon haben die Stubaier einige Feinde niedergestreckt, als sie sich das erste mal hinunterwagten, indem sie sich ihnen entgegenschlichen..."

Besonders verlustreich für das Kaiserreich Österreich war das Jahr 1866. In Italien gingen Venetien und die Lombardei verloren. Gleichzeitig übernahm Preußen die Führung im Deutschen Bund, der Nachfolgeorganisation des Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Für Innsbruck bedeutete das Ausscheiden der Habsburgermonarchie aus dem Deutschen Bund, dass man endgültig zu einer Stadt an der westlichen Peripherie des Reiches geworden war. Der Hang zur sogenannten Großdeutschen Lösung, also einer Staatlichkeit mit dem Deutschen Reich gemeinsam anstatt dem alleinstehenden Kaisertum Österreich, war in Tirol stärker ausgeprägt als im restlichen Österreich.

Die nationalen Bestrebungen der einzelnen Volksgruppen machten auch vor Tirol nicht halt, gehörte mit dem Trentino zwischen Salurn und Riva am Gardasee doch auch ein italienischsprachiger Teil zum Land. Im Tiroler Landtag forderten italienischsprachige Abgeordnete, sogenannte Irredentisten, mehr Rechte und Autonomie für das damalige Südtirol. In Innsbruck kam es zwischen italienischen und deutschsprachigen Studenten immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Wallschen, dieser Begriff für Italiener hält sich bis heute recht hartnäckig, galten als ehrlos, unzuverlässig und faul.

Mit dem Tummelplatz, dem Militärfriedhof Pradl und dem Kaiserjägermuseum am Berg Isel besitzt Innsbruck mehrere Erinnerungsorte an diese für die Habsburger verlustreiche Zeit.

Big City Life im frühen Innsbruck

Innsbruck hatte sich von einem römischen Castell nach Hunderten von Jahren zu einer Stadt entwickelt. Mit dieser rechtlichen Anerkennung durch den Landesfürsten gingen Rechte und Pflichten einher: Marktrecht, Baurecht, Zollrecht und eine eigene Gerichtsbarkeit gingen auf die Stadt über. Die Einhaltung der religiösen Ordnung wurde ebenfalls von der Stadt überwacht. „Ketzer“ und Querdenker wurden nicht von der Kirche, sondern der Stadtregierung gemaßregelt und im Fall der Fälle auch in den Kerker verfrachtet. Die Stadtbürger unterlagen nicht mehr direkt dem Landesfürsten, sondern der städtischen Gerichtsbarkeit, zumindest innerhalb der Stadtmauern. Das geflügelte Wort "Stadtluft macht frei" rührt daher, dass man nach einem Jahr in der Stadt von allen Verbindlichkeiten seines ehemaligen Grundherrn frei war. Die Bürger mussten im Gegenzug den Bürgereid leisten. Dieser Bürgereid beinhaltete die Abgabe von Steuern und die militärische Verteidigung der Stadt. Ab 1511 war der Stadtrat laut dem Landlibell Kaiser Maximilians auch verpflichtet ein Kontingent an Wehrpflichtigen für die Landesverteidigung zu stellen. Darüber hinaus gab es Freiwillige, die sich im Freifähnlein der Stadt zum Kriegsdienst melden konnten, so waren zum Beispiel bei der Türkenbelagerung Wiens 1529 auch Innsbrucker unter den Stadtverteidigern.

Innsbruck hatte eine gänzlich andere soziale Zusammensetzung als die umliegenden Dörfer. Handwerker, Händler, Beamte und Dienstboten des Hofstaats bestimmten den Alltag. Handwerker zählten, anders als Bauern, zu den mobilen Schichten im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Sie gingen nach der Lehrzeit auf die Walz, bevor sie sich der Meisterprüfung unterzogen und entweder nach Hause zurückkehrten oder sich in einer anderen Stadt niederließen. Über Handwerker erfolgte nicht nur Wissenstransfer, auch kulturelle, soziale und politische Ideen verbreiteten sich in Europa durch sie. Die Handwerkszünfte übten teilweise eine eigene Gerichtsbarkeit neben der städtischen Gerichtsbarkeit unter ihren Mitgliedern aus. Es waren soziale Strukturen innerhalb der Stadtstruktur, die großen Einfluss auf die Politik hatten. Löhne, Preise und das soziale Leben wurden von den Zünften unter Aufsicht des Landesfürsten geregelt. Man könnte von einer frühen Sozialpartnerschaft sprechen, sorgten die Zünfte doch auch für die soziale Sicherheit ihrer Mitglieder bei Krankheit oder Berufsunfähigkeit. Die einzelnen Gewerbe wie Schlosser, Gerber, Plattner, Tischler, Bäcker, Metzger oder Schmiede hatten jeweils ihre Zunft, der ein Meister vorstand.

Im 15. Jahrhundert wurde der Platz eng im rasch wachsenden Innsbruck unter Maximilian I. Es war nur noch freien Untertanen aus ehelicher Geburt möglich, das Stadtrecht zu erlangen. Nicht mehr jeder durfte in die Stadt ziehen. Um Stadtbürger zu werden, mussten entweder Hausbesitz oder Fähigkeiten in einem Handwerk nachgewiesen werden, an der die Zünfte der Stadt interessiert waren. Der Streit darum, wer ein „echter“ Innsbrucker ist, und wer nicht hält sich bis heute. Dass Migration und Austausch mit anderen immer schon die Garantie für Wohlstand waren und Innsbruck zu der lebenswerten Stadt gemacht haben, die sie heute ist, wird dabei oft vergessen.

Ab dem 14. Jahrhundert besaß Innsbruck nachweisbar einen Stadtrat und einen Bürgermeister, der von der Bürgerschaft jährlich gewählt wurde. Es waren keine geheimen, sondern öffentliche Wahlen, die alljährlich rund um die Weihnachtszeit abgehalten wurden. Im Innsbrucker Geschichtsalmanach von 1948 findet man Aufzeichnungen über die Wahl des Jahres 1598.

Der Erhardstag, d.i. der 8. Jänner, spielte alljährlich im Leben der Innsbrucker Bürger eine große Rolle. An diesem Tage versammelten sie sich zur Wahl der Stadtobrigkeit, nämlich des Bürgermeisters, Stadtrichters, Gemeinredners und des zwölfgliedrigen Rates…. Ein genaues Bild über den Ablauf dieser Wahlen in den Jahren 1598 bis 1607 vermittelt ein im Stadtarchiv verwahrtes Protocoll: „… Das Läuten der großen Glocke rief Rat und Bürgerschaft auf das Rathaus und dann als ein ehrsamer Rat und ganze Gmein aufm Rathaus versammelt gwest, ist anfangs ein ehrsamer Rat in der Ratstuben zusammen gesessen und des nächsten Jahr her gwesten Bürgermeisters, Augustin Tauschers, Urlaub angehört.“

Der Bürgermeister vertrat die Stadt gegenüber den anderen Ständen und dem Landesfürsten, der die Oberherrschaft über die Stadt je nach Epoche mal mehr, mal weniger intensiv ausübte. Jeder Stadtrat hatte eigene, klar zugeteilte Aufgaben zu erfüllen wie die Überwachung des Marktrechts, die Betreuung des Spitals und der Armenfürsorge oder die für Innsbruck besonders wichtige Zollordnung. Bei all diesen politischen Vorgängen sollte man sich stets in Erinnerung rufen, dass Innsbruck im 16. Jahrhundert etwa 5000 Einwohner hatte, von denen nur ein kleiner Teil das Bürgerrecht besaß. Besitzlose, fahrendes Volk, Erwerbslose, Dienstboten, Diplomaten, Angestellte, Frauen und Studenten waren keine wahlberechtigten Bürger. Zu wählen war ein Privileg der männlichen Oberschicht.

Ab dem 14. Jahrhundert mussten die Steuern, die von den Bürgern gezahlt wurden, nicht mehr an den Landesfürsten weitergegeben werden. Es gab eine fixe Abgabe von der Stadt an den Landesfürsten. Welche Gruppe innerhalb der Stadt welche Steuer zu bezahlen hatte, konnte die Stadtregierung selbst festlegen. Die Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben durfte die Stadt nach ihrem Gutdünken verwalten. Zu den Ausgaben neben der Verteidigung gehörte die Armenfürsorge. Notleidende Bürger konnten in der „Siedeküche“ Speisen beziehen, so sie das Bürgerrecht hatten.

Neben den Steuern war der Zoll eine wichtige Einnahmequelle Innsbrucks. Der Zoll wurde am Stadttor an der Innbrücke erhoben. Es gab zwei Arten von Zöllen. Der kleine Zoll richtete sich nach den Zugtieren des Wagens, der große nach Art und Menge der Waren. Die Zolleinnahmen wurden zwischen Innsbruck und Hall geteilt. Hall hatte dafür die Aufgabe, die Innbrücke in Stand zu halten.

Entgegen landläufiger Meinung war das Mittelalter keine rechtfreie Zeit der Willkür. In Innsbruck, wie auch im Land Tirol, gab es einen Kodex, der Recht und Unrecht sowie Rechte und Pflichten von Bürgern sehr genau regelte. Diese Bestimmungen änderten sich nach den Sitten der Zeit. Die mittelalterlichen Gerichtstage wurden an der „Dingstätte“ im Freien abgehalten. Die Tradition des Ding geht zurück auf den altgermanischen Thing, bei dem sich alle freien Männer versammelten, um Recht zu sprechen. Der Stadtrat bestellte einen Richter, der für alle Vergehen zuständig war, die nicht dem Blutgericht unterlagen. Strafen reichten von Geldbußen über Pranger und Kerker.

Der Strafvollzug beinhaltete auch weniger humane Methoden als heutzutage üblich, es wurde aber nicht wahllos und willkürlich gefoltert. Folter als Teil des Verfahrens in besonders schweren Fällen war aber ebenfalls geregelt. Verdächtige und Verbrecher wurden im Innsbruck bis zum 17. Jahrhundert im Kräuterturm an der südöstlichen Ecke der Stadtmauer, am heutigen Herzog-Otto-Ufer, festgehalten und traktiert. Eine Polizei gab es nicht, der Stadtrichter beschäftigte aber Knechte und an den Stadttoren waren Stadtwächter aufgestellt, um für Ruhe zu sorgen. Es war Bürgerpflicht, bei der Erfassung von Verbrechern mitzuhelfen. Selbstjustiz war verboten.

Über schwere Vergehen hatte weiterhin das Landesgericht zu bestimmen. Diesem Blutrecht unterlagen Verbrechen wie Diebstahl, Mord oder Brandstiftung. Das Landesgericht war im Falle Innsbrucks auf der Sonnenburg, die sich südlich oberhalb Innsbrucks befand. Von 1817 – 1887 war das Leuthaus beim Stift Wilten der Sitz des Hofrichters.

Der Scharfrichter Innsbrucks war ab dem späten 15. Jahrhundert zentralisiert für mehrere Gerichte zuständig und in Hall ansässig. Die Richtstätten befanden sich durch die Jahre an mehreren Orten. Auf einem Hügel im heutigen Stadtteil Dreiheiligen befand sich lange direkt an der Landesstraße ein Galgen. Der Köpflplatz befand sich bis 1731 der heutigen Ecke Fallbachgasse / Weiherburggasse in Anpruggen. Es war nicht unüblich, dass der Verurteilte seinem Henker eine Art Trinkgeld zusteckte, damit sich dieser bemühte, möglichst genau zu zielen, um so die Hinrichtung so schmerzlos wie möglich zu gestalten. Für die Obrigkeit und öffentliche Ordnung besonders schädliche Delinquenten wie der „Ketzer“ Jakob Hutter oder die gefassten Anführer der Bauernaufstände von 1525 und 1526 wurden vor dem Goldenen Dachl publikumstauglich hingerichtet. „Peinliche“ Strafen wie Vierteilen oder Rädern, vom lateinischen Wort poena abgeleitet, waren nicht an der Tagesordnung, konnten in speziellen Fällen aber angeordnet werden. Hinrichtungen waren eine Machtdemonstration der Obrigkeit und öffentlich. Sie galt als eine Art der Reinigung der Gesellschaft von Verbrechern. Die Leichen der Hingerichteten wurden oft zur Abschreckung hängengelassen und außerhalb des geweihten Bereichs der Friedhöfe begraben.

Mit der Zentralisierung des Rechts unter Maria Theresia und Josef II im 18. und dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch im 19. Jahrhundert unter Franz I. ging das Recht von Städten und Landesfürsten an den Monarchen und deren Verwaltungsorgane auf verschiedenen Ebenen über. Die Folter wurde abgeschafft. Die Aufklärung hatte die Vorstellung von Recht, Strafe und Resozialisierung grundlegend verändert. Auch die Einhebung von Steuern wurde zentralisiert, was einen großen Bedeutungsverlust des lokalen Adels und eine Aufwertung der Beamtenschaft zur Folge hatte. Mit der zunehmenden Zentralisierung unter Maria Theresia und Josef II. wurden auch Steuern und Zölle nach und nach zentralisiert und von der Reichshofkammer eingehoben. Innsbruck verlor dadurch, wie viele Kommunen in dieser Zeit, Einnahmen in großer Höhe, die nur bedingt über Ausgleiche aufgefangen wurden.

Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft

Die Fülle an Kirchen, Kapellen, Kruzifixen und Wandmalereien im öffentlichen Raum wirkt auf viele Besucher Innsbrucks aus anderen Ländern eigenartig. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Der christliche Glaube und seine Institutionen waren in ganz Europa über Jahrhunderte alltagsbestimmend. Innsbruck als Residenzstadt der streng katholischen Habsburger und Hauptstadt des selbsternannten Heiligen Landes Tirol wurde bei der Ausstattung mit kirchlichen Bauwerkern besonders beglückt. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Die Stadt mit ihren knapp 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider.

Die Kirche war für viele Innsbrucker nicht nur moralische Instanz, sondern auch weltlicher Grundherr. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Damit hatte sie die Steuer- und Rechtshoheit über viele Menschen. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Einfluss der Kirche reichte in die materielle Welt ähnlich wie es heute der Staat mit Finanzamt, Polizei, Schulwesen und Arbeitsamt tut. Was uns heute Demokratie, Parlament und Marktwirtschaft sind, waren den Menschen vergangener Jahrhunderte Bibel und Pfarrer: Eine Realität, die die Ordnung aufrecht hält. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise.

Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Verletzungen der Religion und Sitten wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt und streng geahndet. Die Anklage bei Verfehlungen lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden. Das Verbrennen sollte die Verurteilten gleichzeitig reinigen und sie samt ihrem sündigen Treiben endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen.

Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Kirchenglocken bestimmten den Zeitplan der Menschen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene.

Während das Innsbrucker Bürgertum von den Ideen der Aufklärung nach den Napoleonischen Kriegen zumindest sanft wachgeküsst worden war, blieb der Großteil der Menschen in den Umlandgemeinden weiterhin der Mischung aus konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden.

Glaube und Kirche haben noch immer ihren fixen Platz im Alltag der Innsbrucker, wenn auch oft unbemerkt. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt und Freizeitevents werden besser besucht als Sonntagsmessen. Die römisch-katholische Kirche besitzt aber noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen ebenfalls unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um als Tradition getarnt im Namen Jesu zu handeln.