Mariahilfzeile & Marktplatz
Mariahilfstraße / Herzog-Siegmund-Ufer 1
Wissenswert
Die Mariahilfzeile ist eines der Wahrzeichen Innsbrucks. Gemeinsam mit dem Inn und der Nordkette im Hintergrund bildet sie ein einzigartiges Ensemble. Die bunten Häuser vom Marktplatz aus über den Inn gesehen zählen zu den beliebtesten Fotomotiven, sowohl unter Einheimischen wie Touristen. Die meisten Gebäude wurden im Laufe der Zeit im Barockstil neu errichtet oder renoviert, vielfach besitzen die Häuser aber noch gotische Innenräume und Strukturen aus dem 12. und 13. Jahrhundert.
Der Platz an der Innbrücke, wo sich heute das Metropol Kino befindet, war ein Verkehrsknotenpunkt und ein beliebter Treffpunkt außerhalb der Stadtmauern. An der Ecke Höttinger Gasse / Innstraße kann man ein Marterl des Gekreuzigten mit Maria und Johannes aus dem frühen 15. Jahrhundert bewundern, dass den Handelsleuten als Wegweiser und Treffpunkt diente. Auch der Heilige Nikolaus ist Teil dieser sehenswerten Skulptur, die als eine der ältesten erhaltenen der Stadt gilt. Seit dem 16. Jahrhundert entwickelten sich entlang dieser Handelsroute viele Gasthäuser und Betriebe. Einige davon gibt es noch heute. Der Gasthof zum Weißen Lamm zum Beispiel bot Reisenden schon 1688 seine Dienste an, das Hotel Mondschein trägt im schönen Straßenschild stolz die Jahreszahl 1473. Auch Handwerker siedelten sich am viel befahrenen Handelsweg an, um Durchreisenden ihre Dienste anzubieten. Die Fassade des Hauses Mariahilferstraße 14 zeigt einen Hufschmied bei der Arbeit.
1809 wurden von Mariahilf Angriffe der Tiroler Aufständischen gegen die bayrischen Truppen, die in Innsbruck stationiert waren, geführt. Schützen verschanzten sich in den Häusern und nahmen die Stadt unter Beschuss. Die Mariahilfzeile war zur Festung geworden, wurde aber kaum in Mitleidenschaft gezogen. Verheerender waren die Luftangriffe während des Zweiten Weltkrieges. Zum großen Glück entschied man sich dafür, die betroffenen Gebäude entsprechend dem alten Aussehen zu erneuern, anstatt wie in anderen Vierteln auf Neubauten zu setzen. Dieser Renovierung verdankt der Block das eigenartig konzertiert wirkende Aussehen. Die abwechslungsreiche Farbgebung aus den 1950er Jahren und die einheitliche Höhe der vier- und fünfstöckigen Gebäude sind der Grund für die besondere Ästhetik des ältesten Teils Innsbrucks.
Den besten Blick auf die Mariahilfzeile mit ihren bunten Häusern hat man vom Marktplatz aus. Lange Zeit war der Markt innerhalb der Stadtmauern vor dem Goldenen Dachl angesiedelt. Es gab zwar auch Landwirtschaft innerhalb der Stadtmauern, für die Versorgung der Stadtbevölkerung reichte das aber bei Weitem nicht aus. Auf dem Markt boten die Landwirte der umgebenden Gemeinden ihre Waren feil. Die Abhaltung des Marktes wurde ebenso wie die Waren, die angeboten wurden, vom Stadtrat reglementiert und kontrolliert. Im 16 Jahrhundert siedelte der Wochenmarkt an den Rennplatz vor die Hofburg. Erst im 17. Jahrhundert wurde der Innsbrucker Wochenmarkt wegen Platzmangels vor die Tore der Stadt gelegt und siedelte sich am Innrain an.
Die Markthalle in ihrem heutigen Aussehen entstand unter Eduard Klingler und Jakob Albert, den beiden wichtigsten städtischen Beamten unter Bürgermeister Wilhelm Greil. Die Markthalle war eine Reaktion auf wiederkehrende Proteste aus der Bevölkerung auf die rapide steigenden Lebensmittelpreise seit den 1870er Jahren. 1912 fasste der Innsbrucker Gemeinderat den Plan, eine öffentliche Großmarkthalle neben der ehemaligen Fleischbank am Innrain zu errichten, wo ein Fleischgroßmarkt untergebracht wurde. Die Markthalle sollte gemeinsam mit dem 1910 in Betrieb genommenen Schlachthof im Saggen Preise, Hygiene und Verfügbarkeit von Lebensmitteln in Innsbruck revolutionieren.
Geplant wurde die ältere, mittlerweile denkmalgeschützte Halle von Fritz Konzert. Ein Viertel der Bausumme der Markthalle wurde für die aufwändige Kühlhalle aufgewandt. Die Fassade der alten Markthalle ist etwas verbaut, vom Herzog-Siegmund-Ufer aus aber noch immer ein sehenswertes Relikt aus den letzten Tagen der Monarchie. Der östliche, moderne Teil wurde 1960 angebaut. Was heutzutage ein hipper Foodmarket für Besserverdiener ist, war bei der Errichtung, als es noch keine Supermärkte gab, ein wichtiger Versorgungspunkt für die Innsbrucker Bevölkerung. Heute finden am Marktplatz regelmäßig Sportveranstaltungen und Events wie der Christkindl- oder der Fischmarkt statt.
Eduard Klingler: Der Baumeister der Erweiterung
Bezeichnet man Wilhelm Greil als Bürgermeister der Erweiterung, verdient der gebürtige Wiener Eduard Klingler (1861 – 1916) wohl den Titel als deren Architekt. Klingler prägte das Stadtbild Innsbrucks wesentlich mit. 1883 begann er für das Land Tirol zu arbeiten. 1889 trat er zum städtischen Bauamt über, dessen Leiter er 1902 wurde. In dieser Zeit des Wirtschaftsaufschwunges begann die Stadt sich auszudehnen. Die beiden bis dato eigenständigen Umlandgemeinden Pradl und Wilten wurden 1904 eingemeindet, was massiv zum Wachstum beitrug. Von 1880 bis 1900 wuchs Innsbrucks Bevölkerung „nur“ von 20.000 auf 26.000 Einwohner an, Wilten verdreifachte sich von 4000 auf 12.000.
Der sprunghafte Anstieg der Bevölkerung stellte die Stadtverwaltung vor große Herausforderungen. Neben dem quantitativen Wachstum durch die Stadterweiterung „wuchs“ Innsbruck auch qualitativ, was die Lebensqualität der Menschen anbelangt. Die Stadt trieb die Bautätigkeit emsig voran. Gas, Wasser, Elektrizität begannen sich als Standard zu etablieren. Schulen und Kindergärten mussten für die neuen Bewohner gebaut werden. Die Anforderungen an die Medizin und damit die Klinik wuchsen. In Innsbruck gehen unter anderem die Handelsakademie, die Leitgebschule, der Friedhof Pradl, die Dermatologische Klinik im Klinikareal, der Städtische Kindergarten in der Michael-Gaismair-Straße, die Trainkaserne (Anm.: heute ein Wohnhaus) und das Tiroler Landeskonservatorium auf Klinglers Konto als Leiter des städtischen Bauamtes. Ein sehenswertes Gebäude im Heimatstil ist das Ulrichhaus am Berg Isel, das heute den Alt-Kaiserjäger-Club beheimatet.
Die ersten freien Wahlen des Reichsrates für alle männlichen Bürger im Jahr 1907 veränderten die sozialen Spielregeln. Die Wohnhäuser, die in den Arbeitervierteln gebaut wurden, waren ein Spiegel einer neuen Gesellschaft. Arbeiter und Angestellte mit politischem Stimmrecht hatten andere Bedürfnisse als Untertanen ohne dieses Recht. Anders als im ländlichen Bereich Tirols, wo Bauernfamilien samt den Bediensteten in Bauernhäusern im Verbund einer Sippschaft lebten, kam das Leben in der Stadt dem Familienleben, das wir heute kennen, nahe. Der Lifestyle der Städter verlangte nach Mehrzimmerwohnungen.
Die gesellschaftliche Kluft manifestierte sich aber nicht nur in der Funktionalität der Wohnungen, sondern auch in der Architektur. Ganz im Geist der Zeit wurden die Projekte in den Stilen des Historismus und des Klassizismus sowie des Heimatstils entworfen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren klare Formen, Masken, Statuen und Säulen stilprägende Elemente bei der Anlage neuer Gebäude. In einem teils wilden Mix wurden die Vorstellungen, die Architekten vom klassischen Griechenland und dem antiken Rom hatten, verwirklicht. Nicht nur öffentliche Gebäude, auch große Mietshäuser, sogar ganze Straßenzüge wie die Sonnenburgstraße, die Grillparzerstraße, die Stafflerstraße, die Kaiser-Josef-Straße oder die Claudiastraße zeigen den Stil der Zeit.
Die Grafen von Andechs und die Gründung Innsbrucks
Das 12. Jahrhundert brachte wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung und gilt als eine Art vorgezogener mittelalterlicher Renaissance. Über den Umweg der Kreuzzüge kam es zum verstärkten Austausch mit den in vielerlei Hinsicht weiter entwickelten Kulturen des Nahen Ostens. Arabische Gelehrte brachten über Südspanien und Italien Übersetzungen griechischer Denker wie Aristoteles nach Europa. Das Römische Recht wurde an den ersten Universitäten südlich der Alpen wiederentdeckt. Neue landwirtschaftliche Erkenntnisse und ein günstiges Klima, das bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts anhalten sollte, ermöglichten die Entstehung von Städten und größeren Siedlungen. Eine dieser Siedlungen befand sich nördlich des Klosters Wilten zwischen dem Inn und der Nordkette.
Nach dem Verschwinden des weströmischen Reiches und der dazugehörenden Verwaltung übernahmen verschiedene germanische Stämme wie die Ostgoten und Franken die Kontrolle über das Gebiet des heutigen Innsbrucks. Sie beließen kirchliche Einrichtungen und Strukturen zur Verwaltung des Gebiets, waren Kleriker doch vielfach die einzigen Schriftgelehrten. Eine kleine Oberschicht geharnischter Aristokraten herrschte in strenger Hierarchie über die Mehrzahl der Bevölkerung, die zu 90% in der Landwirtschaft arbeitete.
Im 6. Jahrhundert kam es zunehmend zu bairischer Besiedlung des Inntals. Die Herzöge von Bayern wurden in der Zeit Karls des Großen (ca. 748 – 814) zu Lehensmännern der Deutschen Könige, deren Reich sich über weite Teile Zentraleuropas und Norditalien erstreckte. Die breonisch-romanisierte Bevölkerung wurde nach kleineren Auseinandersetzungen verdrängt. Man teilte jedoch Teile der christlich geprägte Kultur des Heiligen Römischen Reichs. Politisch beschränkte sich die Bedeutung des Nordtiroler Raumes vor allem auf den Bereich Transit.
Tirol hatte mit dem Reschen- und dem Brennerpass über zwei niedrige Alpenübergänge, die für die kaiserliche Verbindung zwischen den deutschen Ländern im Norden und den Ländereien in Italien wichtig waren. Im Jahr 1024 wurde der Salier Konrad II., ein Konkurrent der Bayerischen Herzöge aus dem Hause Wittelsbach, zum König gewählt. Um diese beiden Alpenübergänge weg von seinen bayrischen Konkurrenten und unter die Kontrolle der ihm treuen Reichskirche zu bringen, sprach Konrad II. das Territorium Tirols 1027 den Bischöfen von Brixen und Trient als Lehen zu. Die Bischöfe wiederum benötigten sogenannte Vögte für die Verwaltung dieser Ländereien und die Rechtsprechung.
Diese Vögte des Bischofs von Brixen waren die Grafen von Andechs. Die Andechser mögen heute im Schatten der Welfen, Staufer, Wittelsbacher und Habsburger stehen, waren im Hochmittelalter aber ein einflussreiches Geschlecht. Sie stammten aus der Gegend des bayerischen Ammersees und besaßen Güter in Oberbayern zwischen Lech und Isar sowie östlich von München. Über geschickte Heiratspolitik waren sie an die Titel der Herzöge von Meranien, einer Gegend an der dalmatischen Küste, und Markgrafen von Istrien gekommen. Damit stiegen sie im Rang innerhalb des Heiligen Römischen Reiches auf. Um Verwaltung und späteres Seelenheil in einem sicherzustellen, gründeten sie im 12. Jahrhundert das Kloster Dießen und das Kloster am Heiligen Berg Andechs oberhalb des Ammersees. 1165 kam Otto V. von Andechs auf den Bischofssitz in Brixen und vergab die Vogtei über dieses Hochstift an seinen Bruder. Ab nun verwalteten sie den mittleren Teil des Inntals, das Wipptal, das Pustertal und das Eisacktal.
Innsbruck erstreckt sich heute zu beiden Seiten entlang des Inns. Im 12. Jahrhundert stand dieses Gebiet unter dem Einfluss zweier Grundherren. Südlich des Inns übte das Stift Wilten die Grundherrschaft aus. Das Gebiet nördlich des Flusses stand unter der Verwaltung der Andechser. Während das südliche Stadtgebiet rund um das Stift schon früh landwirtschaftlich genutzt wurde, war das Schwemmgebiet des nicht regulierten Gewässers vor dem Hochmittelalter nicht kultivierbar und wenig besiedelt.
Das Inntal war dicht bewaldet und wild. Die Menschen dieser Zeit arbeiteten zum allergrößten Teil in der Landwirtschaft, die von ihrem Grundherren betrieben wurde. Sie lebten in armseligen Hütten aus Lehm und Holz. Medizinische Versorgung außerhalb der Städte gab es kaum, die Kindersterblichkeit war hoch und kaum jemand wurde älter als 50 Jahre alt. Etwa um das Jahr 1133 gründeten die Andechser hier den Markt Anbruggen und verbanden das nördliche und das südliche Innufer über eine Brücke. Aus dem landwirtschaftlich nicht nutzbaren Stück Land am Fuß der Nordkette war durch den Bau der Brücke ein Handelsplatz geworden. Sie erleichterte den Warenverkehr in den Ostalpen ungemein. Die Brennerroute war durch eine der Neuerungen der mittelalterlichen Renaissance interessanter geworden: neue Zuggeschirre ermöglichten es die steilen Anstiege mit Fuhrwerken zu bewältigen. Die kürzere Via Raetia hatte die Via Claudia Augusta über den Reschenpass als Hauptverkehrsweg über die Alpen abgelöst. Die Zolleinnahmen des Handels zwischen den deutschen und italienischen Städten, die daraus erwirtschaftet wurden, ließen die Siedlung prosperieren. Im kleinen Markt siedelten sich Schmiede, Wirte und Handwerker an.
Anbruggen wuchs schnell, der Platz zwischen Nordkette und Inn war aber knapp bemessen. 1180 erwarb Berchtold V. von Andechs vom Kloster Wilten ein Stück Land auf der Südseite des Inns. Das war der Startschuss für Innsbruck. Die Grafen von Andechs ließen im Zuge der Errichtung der Stadtmauer die Andechser Burg bauen und verlegten ihren Stammsitz von Meran nach Innsbruck. Auch die neue Siedlung wuchs rasch dank der Zolleinnahmen.
Irgendwann zwischen 1187 und 1204 konnten sich die Innsbrucker über das Stadtrecht freuen. Als offizielles Gründungsdatum wird häufig 1239 herangezogen, als vom letzten Grafen aus der Andechser Dynastie Otto VIII. das Stadtrecht formal in einer Urkunde bestätigt wurde.
Innsbruck war zu dieser Zeit bereits die Münzprägestätte der Andechser und wäre wohl zur Hauptstadt in deren Fürstentum geworden. Es kam aber anders. 1246 zerstörten die bayerischen Wittelsbacher, die größten Konkurrenten der Andechser im süddeutschen Raum, deren Stammburg am Ammersee. Otto, der letzte Graf aus dem Haus Andechs-Meranien starb im Jahr 1248 ohne Nachkommen. 12 Jahre zuvor hatte er Elisabeth, die Tochter Graf Alberts VIII. von Tirol geheiratet. Dieses Adelsgeschlecht mit ihrer Stammburg in Meran übernahm damit die Lehen und Teile der Besitztümer inklusive der Stadt am Inn sowie die Erzfeindschaft mit den bayerischen Wittelsbachern.
Wilhelm Greil: DER Bürgermeister Innsbrucks
Einer der wichtigsten Akteure der Stadtgeschichte war Wilhelm Greil (1850 – 1923). Von 1896 bis 1923 bekleidete der Unternehmer das Amt des Bürgermeisters, nachdem er vorher bereits als Vizebürgermeister die Geschicke der Stadt mitgestaltet hatte. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war in der Politik vom Kampf liberaler und konservativer Kräfte geprägt. Die Konservativen hatten es, anders als im restlichen Tirol, schwer in Innsbruck, dessen Bevölkerung seit der Zeit Napoleons liberale Morgenluft geschnuppert hatte. Jede Seite hatte nicht nur Politiker, sondern auch Vereine und eigene Zeitungen. Steuern, Gesellschaftspolitik, Bildungswesen, Wohnbau und die Gestaltung des öffentlichen Raumes wurden mit Leidenschaft und Eifer diskutiert. Bedingt durch eine Wahlordnung, die auf das Stimmrecht über Vermögensklassen aufgebaut war, konnten nur etwa 10% der gesamten Innsbrucker Bevölkerung zur Wahlurne schreiten. Dabei galt das relative Wahlrecht innerhalb der drei Wahlkörper, was so viel heißt wie: The winner takes it all. Massenparteien wie die Sozialdemokraten konnten sich bis zur Wahlrechtsreform der Ersten Republik nicht durchsetzen. Bürgermeister wie Greil konnten auf 100% Rückhalt im Gemeinderat bauen, was die Entscheidungsfindung und Lenkung natürlich erheblich vereinfachte.
Greil gehörte der "Deutschen Volkspartei" an, einer liberalen und national-großdeutschen Partei. Was uns heute als Widerspruch erscheint, liberal und national, war im 19. Jahrhundert ein politisch übliches und gut funktionierendes Gedankenpaar. Der Pangermanismus war keine politische Besonderheit einer rechtsradikalen Minderheit, sondern besonders in deutschsprachigen Städten des Reiches eine Strömung der Mitte, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch fast alle Parteien hindurch in unterschiedlicher Ausprägung Bedeutung hatte. Wer Ausgaben der liberalen Innsbrucker Nachrichten der Zeit rund um die Jahrhundertwende unter die Lupe nimmt, findet unzählige Artikel, in denen das Gemeinsame zwischen dem Deutschen Reich und den deutschsprachigen Ländern zum Thema des Tages gemacht wurde.
Greil war ein geschickter Politiker, der sich innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen seiner Zeit bewegte. Er wusste sich um die traditionellen Kräfte, die Monarchie und den Klerus geschickt zu manövrieren und sich mit ihnen zu arrangieren. Unter ihm wurde von der Stadt ganz im Sinne des Kaufmanns vorausschauend Grund angekauft, um Projekte zu ermöglichen. Unter Wilhelm Greil erweiterte sich Innsbruck beträchtlich. Albert Gruber hielt zu diesem Wachstum 1907 eine mahnende Rede, in der er vor Wildwuchs in der Stadtplanung und Bodenspekulation.
„Es ist die schwierigste und verantwortungsvollste Aufgabe, welche unsere Stadtväter trifft. Bis zu den 80er Jahren (Anm.: 1880), sagen wir im Hinblick auf unsere Verhältnisse, ist noch ein gewisses langsames Tempo in der Stadterweiterung eingehalten worden. Seit den letzten 10 Jahren jedoch, kann man sagen, erweitern sich die Städtebilder ungeheuer rasch. Es werden alte Häuser niedergerissen und neue an ihrer Stelle gesetzt. Natürlich, wenn dieses Niederreißen und Aufbauen planlos, ohne jede Überlegung, nur zum Vorteil des einzelnen Individuums getrieben wird, dann entstehen zumeist Unglücke, sogenannte architektonische Verbrechen. Um solche planlose, der Allgemeinheit nicht zum Frommen und Nutzen gereichende Bauten zu verhüten, muß jede Stadt dafür sorgen, daß nicht der Einzelne machen kann, was er will: es muß die Stadt dem schrankenlosen Spekulantentum auf dem Gebiete der Stadterweiterung eine Grenze setzen. Hierher gehört vor allem die Bodenspekulation.“
Der Politiker Greil konnte sich bei den großen Bauprojekten der Zeit auf die Beamten und Stadtplaner Eduard Klingler, Jakob Albert und Theodor Prachensky stützen. Eine weitere Bebauung mit Einzelhäusern war wegen des Bevölkerungswachstums nicht mehr möglich. 1898 wurde beschlossen, östlich der Claudiastraße nur noch Wohnblöcke anstatt der geordneten Villen im Cottage Stil der Jahrzehnte nach 1850 zu bauen. Auch Infrastrukturprojekte wie das neue Rathaus in der Maria-Theresienstraße 1897, die Hungerburgbahn 1906 und die Karwendelbahn wurden umgesetzt. Andere Projekte waren die Erneuerung des Marktplatzes und der Bau der Markthalle.
Vieles, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorangetrieben wurde, gehört heute zum Alltag. Für die Menschen dieser Zeit waren diese Dinge aber eine echte Sensation und lebensverändernd. Die vier Jahrzehnte zwischen der Wirtschaftskrise 1873 und dem Ersten Weltkrieg von einem nie dagewesenen Wirtschaftswachstum und einer rasenden Modernisierung gekennzeichnet. Die Wirtschaft der Stadt boomte. Betriebe in Pradl und Wilten gründeten sich und lockten Arbeitskräfte an. Auch der Tourismus brachte frisches Kapital in die Stadt. Die Ansammlung an Menschen auf engstem Raum unter teils prekären Hygieneverhältnissen brachte gleichzeitig aber auch Probleme mit sich. Besonders die Randbezirke der Stadt wurden immer wieder von Typhus heimgesucht.
Bereits sein Vorgänger Bürgermeister Heinrich Falk (1840 – 1917) hatte erheblich zur Modernisierung der Stadt und zur Besiedelung des Saggen beigetragen. Seit 1859 war die Beleuchtung der Stadt mit Gasrohrleitungen stetig vorangeschritten. Zwischen 1887 und 1891 wurde Innsbruck mit einer modernen Hochdruckwasserleitung ausgestattet, über die auch Wohnungen in höher gelegenen Stockwerken mit frischem Wasser versorgt werden konnten. Wilhelm Greil veranlasste die Übernahme des Gaswerks in Pradl und des Elektrizitätswerks in Mühlau in städtischen Besitz. Die Straßenbeleuchtung wurde auf elektrisches Licht umgestellt.
Greil konnte sich bei dieser Innsbrucker Renaissance auf der Stadt geneigte Mäzen aus dem Bürgertum stützen. Freiherr Johann von Sieberer stiftete das Greisenasyl und das Waisenhaus im Saggen. Leonhard Lang stiftete das Gebäude, das vorher als Hotel genutzt wurde, in das das Rathaus von der Altstadt 1897 übersiedelte, gegen das Versprechen der Stadt ein Lehrlingsheim zu bauen.
In seinen letzten Amtsjahren begleitete Greil Innsbruck am Übergang von der Habsburgermonarchie zur Republik durch Jahre, die vor allem durch Hunger, Elend, Mittelknappheit und Unsicherheit geprägt waren. Er war 68 Jahre alt, als italienische Truppen nach dem Ersten Weltkrieg die Stadt besetzten und Tirol am Brenner geteilt wurde, was für ihn als Vertreter des Deutschnationalismus besonders bitter war.
1928 verstarb Altbürgermeister Greil als Ehrenbürger der Stadt Innsbruck im Alter von 78 Jahren. Die Wilhelm-Greil-Straße war noch zu seinen Lebzeiten nach ihm benannt worden.
Luftangriffe auf Innsbruck
Wie der Lauf Lauf der Geschichte der Stadt unterliegt auch ihr Aussehen einem ständigen Wandel. Besonders gut sichtbare Veränderungen im Stadtbild erzeugten die Jahre rund um 1500 und zwischen 1850 bis 1900, als sich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in besonders schnellem Tempo abspielten. Das einschneidendste Ereignis mit den größten Auswirkungen auf das Stadtbild waren aber wohl die Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg.
Neben der Lebensmittelknappheit waren die Menschen an der von den Nationalsozialisten so genannten „Heimatfront“ in der Stadt vor allem von den Luftangriffen der Alliierten betroffen. Innsbruck war ein wichtiger Versorgungsbahnhof für den Nachschub an der Italienfront.
In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1943 erfolgte der erste alliierte Luftangriff auf die schlecht vorbereitete Stadt. 269 Menschen fielen den Bomben zum Opfer, 500 wurden verletzt und mehr als 1500 obdachlos. Über 300 Gebäude, vor allem in Wilten und der Innenstadt, wurden zerstört und beschädigt. Am Montag, den 18. Dezember fanden sich in den Innsbrucker Nachrichten, dem Vorgänger der Tiroler Tageszeitung, auf der Titelseite allerhand propagandistische Meldungen vom erfolgreichen und heroischen Abwehrkampf der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten gegenüber dem Bündnis aus Anglo-Amerikanern und dem Russen, nicht aber vom Bombenangriff auf Innsbruck.
Bombenterror über Innsbruck
Innsbruck, 17. Dez. Der 16. Dezember wird in der Geschichte Innsbrucks als der Tag vermerkt bleiben, an dem der Luftterror der Anglo-Amerikaner die Gauhauptstadt mit der ganzen Schwere dieser gemeinen und brutalen Kampfweise, die man nicht mehr Kriegführung nennen kann, getroffen hat. In mehreren Wellen flogen feindliche Kampfverbände die Stadt an und richteten ihre Angriffe mit zahlreichen Spreng- und Brandbomben gegen die Wohngebiete. Schwerste Schäden an Wohngebäuden, an Krankenhäusern und anderen Gemeinschaftseinrichtungen waren das traurige, alle bisherigen Schäden übersteigende Ergebnis dieses verbrecherischen Überfalles, der über zahlreiche Familien unserer Stadt schwerste Leiden und empfindliche Belastung der Lebensführung, das bittere Los der Vernichtung liebgewordenen Besitzes, der Zerstörung von Heim und Herd und der Heimatlosigkeit gebracht hat. Grenzenloser Haß und das glühende Verlangen diese unmenschliche Untat mit schonungsloser Schärfe zu vergelten, sind die einzige Empfindung, die außer der Auseinandersetzung mit den eigenen und den Gemeinschaftssorgen alle Gemüter bewegt. Wir alle blicken voll Vertrauen auf unsere Soldaten und erwarten mit Zuversicht den Tag, an dem der Führer den Befehl geben wird, ihre geballte Kraft mit neuen Waffen gegen den Feind im Westen einzusetzen, der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit. Die Luftschutzeinrichtungen der Stadt haben sich ebenso bewährt, wie die Luftschutzdisziplin der Bevölkerung. Bis zur Stunde sind 26 Gefallene gemeldet, deren Zahl sich aller Voraussicht nach nicht wesentlich erhöhen dürfte. Die Hilfsmaßnahmen haben unter Führung der Partei und tatkräftigen Mitarbeit der Wehrmacht sofort und wirkungsvoll eingesetzt.
Diese durch Zensur und Gleichschaltung der Medien fantasievoll gestaltete Nachricht schaffte es gerade mal auf Seite 3. Prominenter wollte man die schlechte Vorbereitung der Stadt auf das absehbare Bombardement wohl nicht dem Volkskörper präsentieren. Ganz so groß wie 1938 nach dem Anschluss, als Hitler am 5. April von 100.000 Menschen in Innsbruck begeistert empfangen worden war, dürfte die Begeisterung für den Nationalsozialismus nicht mehr gewesen sein. Zu groß waren die Schäden an der Stadt und die persönlichen, tragischen Verluste in der Bevölkerung. Im Jänner 1944 begann man Luftschutzstollen und andere Schutzmaßnahmen zu errichten. Die Arbeiten wurden zu einem großen Teil von Gefangenen des Konzentrationslagers Reichenau durchgeführt.
Insgesamt wurde Innsbruck zwischen 1943 und 1945 zweiundzwanzig Mal angegriffen. Dabei wurden knapp 3833, also knapp 50%, der Gebäude in der Stadt beschädigt und 504 Menschen starben. Die Stadt wurde zum Glück nur Opfer gezielter Angriffe. Deutsche Städte wie Hamburg oder Dresden wurden von den Alliierten mit Feuerstürmen mit Zehntausenden Toten innerhalb weniger Stunden komplett dem Erdboden gleichgemacht. Viele Gebäude wie die Jesuitenkirche, das Stift Wilten, die Servitenkirche, der Dom, das Hallenbad in der Amraserstraße wurden getroffen.
Eine besondere Behandlung erfuhren während der Angriffe historische Gebäude und Denkmäler. Das Goldene Dachl wurde mit einer speziellen Konstruktion ebenso geschützt wie der Sarkophag Maximilians in der Hofkirche. Die Figuren der Hofkirche, die Schwarzen Mannder, wurden nach Kundl gebracht. Die Gnadenmutter, das berühmte Bild aus dem Innsbrucker Dom, wurde während des Krieges ins Ötztal überführt.
Der Luftschutzstollen südlich von Innsbruck an der Brennerstraße und die Kennzeichnungen von Häusern mit Luftschutzkellern mit ihren schwarzen Vierecken und den weißen Kreisen und Pfeilen kann man heute noch begutachten. In Pradl, wo neben Wilten die meisten Gebäude beschädigt wurden, weisen an den betroffenen Häusern Bronzetafeln mit dem Hinweis auf den Wiederaufbau auf einen Bombentreffer hin.