Nochmals die „Urzeugung“
Erschienen: Neue Tiroler Stimmen – Für Gott, Kaiser und Vaterland, 16.2.1875
Über diesen Text...
Die Neuen Tiroler Stimmen waren eine katholische Zeitschrift, die zwischen 1868 und 1919 erschien. Der Autor dieses Artikels verteidigte die biblische Schöpfungsgeschichte durch kreative Infragestellung der Evolutionstheorie Darwins. Konservative sahen in den neuen, wissenschaftlichen Theorien zur Abstammung des Menschen nicht nur eine Kritik an Gott, sondern auch eine Gefährdung von Sitten und Moral, wie am Ende dieses langen, aber lesenswerten Artikels zu erfahren ist. Wer glaubt, Wissenschaftsfeindlichkeit zur Durchsetzung der eigenen Agenda sei eine Neuerfindung der Generation Social Media, irrt gewaltig.
Der Artikel
Jährlich treten die Gelehrtesten der Welt in Kongressen zusammen, um über die Ursachen, Verbreitung und Heilung rapid umsichgreifender Krankheiten oder Erscheinungen zu berathen; aber wie Erfahrung zeigt, oft mit geringem Erfolg. Wir denken beispielshalber an die Cholera, Blattern u.s.w., welche in letzter Zeit mit nicht geringer Heftigkeit herrschen. Merkwürdig für unser Zeitalter der „Aufklärung“ ist nur, daß sich fast alle Annahmen dieser „Gelehrtesten“ als unnütz und mit den Thatsachen im Widerspruche erweisen; ja es begegnet einem nicht selten zwischen den Zeilen das verschämte Bekenntnis: „Wir wissen eigentlich nichts sicheres.“ Hört man aber solche „Leuchten der Wissenschaft“ auf ihren Lehrkanzeln in liberalen Vereinen und Blättern über die „Vorzeit“ lehren, so wissen sie uns über Entstehung der Welt und des Menschen einen solchen Reichthum von „Wissenschaft“ zu entwickeln, daß man zur Annahme versucht wäre, diese Gelehrten müssen sich damals im „Urnebel“ verborgen mit Opernguckern dem „Werden der Dinge“ zugesehen, aber aus dem „Urschlamme“ sich herausarbeitend in ihr Notizbüchl ihre Forschungen, Beobachtungen, Vermessungen du dgl. notiert haben, so genau wissen sie Alles aus der Zeit, wo noch Nichts war. Ähnliche Gedanken kamen mir bei Durchlesung des Inhaltes jener vom Herrn Rektor Magnifikus Prof. v Vinschgau in der Aula der Universität gehaltenen Rede, wo einerseits die Thatsache der Selbstenthebung von Pflanzen und Thieren in der Jetztzeit als Unmöglichkeit bewiesen, andererseits die Annahme vertheidigt wird, daß in der dunkeln Vorzeit niedere Wesen aus unorganischen Stoffen sich entwickelt hätten. Solche Annahmen ohne Beweise dafür dem Hörer und Leser als reelles Gold darzubieten, ist eine wenigstens bedenkliche Zumuthung. (Über diese Rede äußerte sich ein Herr Professor: sie habe ihm sehr gut gefallen; denn der Herr Rektor habe im 1. Theile bewiesen, daß man den 2. Theil nicht zu glauben brauche.)
Darwin beansprucht den Ruhm jener Entdeckung der Abstammung des Menschen von niederen Thieren, vom Affen. Darwin gibt allerdings keine ausdrückliche Erörterung über die Abstammung des Menschen, aber er kommt in seinen Forschungen zum Resultate, daß sich alle Thiere auf 4 oder 5 Urformen zurückführen lassen, all Pflanzen auf höchsten ebensoviele, spricht aber dabei die Vermuthung aus, daß noch eine weitere Reduktion möglich sein dürfte und daß alle Thier- und Pflanzenarten, welche jetzt existiren und jemals existiert haben, „von einer einzigen Urform abstammen könnten, welcher zuerst das Leben eingehaucht wurde“. Wenn er also auch über den Menschen Nichts sagt, so zählt er ihn durch sein Schweigen wohl auch den Thieren bei und seine Schühler haben dieses auch klar ausgesprochen. (Mensch, Bibel und Natur.) Es sollen hier zur Beleuchtung der Darwin´schen Einbildung einige Nachweise vorgelegt werden, damit die Leser sich ein Urtheil über die „Höhe deutscher Wissenschaft“ bilden. Die Sache soll man sich so denken, wie die „Kempter N. Nachrichten“ in einem älteren Aufsatze zeigten.
Es war einmal – zur Zeit als noch gar nichts war – ein Urnebel und ein Urschlamm. Woher beide kamen hat freilich Niemand gefragt. Beide, sowohl Urnebel als auch Urschlamm, waren sehr intelligent; sie waren auch sehr gute Freunde, schon wegen der nahen Verwandtschaft, in der sie zu einander standen. Der Urschlamm war nämlich nichts anders, als hart verdichteter Urnebel und nannten letzteren auch seinen Vater. Der sehr intelligente Urnebel dachten nun nach, ob er nicht außer dem leblosen Urschlamme auch ein lebendiges Wesen hervorbringen könne. Er nahm seine ganze Kraft zusammen, verdichtete sich so stark er konnte und ein lebendiges Wesen – meinetwegen die Schlange – war fertig. Durch die große Verdichtung hatte die neugeborene Tochter ein größeres Gewicht bekommen als ihr Herr Papa, es war ihr daher unmöglich sich im Urnebel schwebend zu erhalten, vielmehr fiel sie dem Gesetze der Schwere folgend in dem Urschlamm herab. Bei dem liebevollen Bruder fand jedoch die Schwester eine sehr freundlich Aufnahme. Einige Modifikation im Körperbaue erwiesen sich bald als sehr nothwendig und nachdem sie glücklich durchgeführt waren, watschelte die nun zum Fische gewordene Schlange ganz gemüthlich in dem Gewässer des Urschlammes herum. Immer im Urschlamme sich herzu zu wälzen hat jedoch gerade so viel Annehmliches auch nicht, und man wird es wohl begreiflich finden, wenn dies endlich auch dem intelligenten Fische zu dumm wurde, er die Sache änderte und sich auf´s Trockene begab.
Hier mußte er zwar die Entdeckung machen, daß ein Fisch auf trockenem Lande nicht leben könne. Der Fisch war jedoch, wie bemerkt, intelligent, und ein intelligenter Fisch weiß sich ebensogut zu helfen, wie ein intelligenter Mensch. Er nahm ganz einfach das „s“ aus der Mitte seines Namens heraus, das er hierauf an´s Ende stellte. Somit war der „Fichs“ fertig, dem es nun ein leichtes war, sich in einen „Fuchs“ zu verwandeln.
Es gab zu jener Zeit nur nicht existirende Bäume. Diese streuten ihren Samen auf den festeren Urschlamm, hier fand der Samen guten Boden, fing an sich zu keimen, ging auf und wuchs, und so entstanden nebst den nicht existirenden auch existirende Bäume, die bei dem Überflusse an Nahrung bald sehr groß wurden, zu blühen anfingen und Früchte brachten. Der Fuchs, der am Fuße eines solchen Baumes saß, schaute hinauf und sah die Früchte. „Die könnten nicht schlecht sein“, dachte er sich; „wie wärs denn wenn man´s versuchte, sie zu kosten“? Die Begierde wurde um so größer, als damals auch die Fleischpreise sehr hoch waren und der Fuchs daher nicht in der Lage war, sich den nöthigen Bedarf anschaffen zu können. Auch gab es damals weder Kommunal-, Central- noch Kommunal-Detail-Markthallen-Fleisch-Verkaufs-Anstalten, in denen er wenigstens stinkendes Fleisch um billige Prise hätte bekommen können. Was war da zu thun? Die verlockenden Früchte waren oben, der lüsterne Fuchs unten. Um speisen zu können, mußten daher die Früchte zum Fuchs herab, oder der Fuchs hinauf zu den Früchten. Weil sich jedoch die Letzteren zu Ersterem nicht bequemen wollten, so mußte sich Ersterer zu Letzteren bequemen. Allein das hatte seine Schwierigkeit. An die Erfindung des Luftballons konnte der Fuchst nicht denken. Er dachte daher an Flügel, aber die hätten sich nicht leicht zweckmäßig anbringen lassen. Hinaufklettern? Ja, das war einmal ein praktikabler Gedanke. Gedacht, gethan! Doch nicht so schnell gethan als gedacht. Einen Turnmeister hatte er eben nicht zur Hand und mußte sich daher auf eigenes Studium und eigene Übung verlassen. Die Füße erwiesen sich aber schon beim ersten Versuche als unpraktisch, sie wurden sogleich durch Hände ersetzt. Damit mußten wieder die übrigen Gliedmaßen in Einklang gesetzt werden, und nachdem dies geschehen war, kletterte der erste Vierhänder mit kühnen Sätzen den Baum hinan und labte sich an dessen Früchten. Die Nahrungssorgen hatten ein Ende. Reineke Fuchs I. oder nun vielmehr Affe Pavian I. konnte somit seine ganze freie Zeit darauf verwenden, seine Intelligenz auf eine höhere Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Er fand, daß es nicht gut sei, immer Affe zu sein, legte darum Schwanz und Haare ab, seinen Daumen beschloß er für die Zukunft eine den übrigen Fingern entgegengesetzte Richung zu geben, sein blau gefurchtes Gesicht mit rother Nase und zitronengelben Bart kultivierte er mit verschiedenen im Urschlamme noch vorhandenen Toilette-Artikeln, versuchte einige Gesangübungen und fing an geläufig englisch, deutsch, französisch zu sprechen und ist so ein intelligenter Mensch geworden.
Diese „Wissenschaft“, man konnte sie auch Urnebulistik oder Urschlammistik heißen, betrachten unsere Gegner als den Glanzpunkt ihres bisherigen Fortschrittes. Wir brauchen diesen gelehrten Unsinn nicht zu widerlegen, da er ja seine Widerlegung schon längst durch Gelehrte wie Dr. Balzer („Über die Anfänge der Organismen“) Dr. Knauer („Karl Vogt und sein Auditorium“) und viele andere gefunden hat und auch von den neuesten Naturforscherversammlungen verworfen worden ist. Wir haben es hier nur schließlich mit den Konsequenzen zu thun. Wäre eine solche Lehre, z.B. Darwin´s, Vogt´s, Ofen´s auf Wahrheit begründet, so fallen sämmtliche Schranken der Sittlichkeit und jeder könnte thun, was ihm beliebt. Die „Lust- und Unlustgefühle“, welche in einer Naturforscherversammlung (1874) als Motiv der Moral hingestellt wurden, reichen für gewöhnliche Menschenkinder nicht hin, um sie zu sittliche guten Menschen heranzubilden. Sind wir nur potenzirte Affen, dann dürfen wir wie die Thiere leben, wie Affen unflätig und unzüchtig sein, wie Katzen stehlen, wie Wölfe rauben, wie Tiger morden, und es hörte jedes gesellschaftliche Zusammenleben auf. Das, was unsere Gegner Civilisation, Wissenschaft nennen, ist gleichbedeutend mit Verthierung. Übrigens: de gustibus non est disputandum.