Österreich und Deutschland

Tirols politische Stellung und Beruf

Erschienen: Innsbrucker Zeitung / 2. Juni 1848

Über diesen Text...

Mit diesem Text, der die Bedeutung des Landes Tirol für die deutsche Nation hervorhob, erschien die erste Ausgabe der frisch gegründeten Innsbrucker Zeitung im Juni des Revolutionsjahres 1848. Damit traf Herausgeber Joseph Ennemoser zwar nicht den Geschmack der Regierung in Wien, umso mehr aber den Zeitgeist des großdeutsch-nationalistisch gesinnten Bürgertums und der Studentenschaft Innsbrucks. 

Der Artikel

Wie alles Leben von physischen Ortsverhältnissen und von geistigen Einflüssen abhängig ist, so wird auch die politische Stellung Tirols von seiner geographischen Lage, und von dem historischen Geiste bedingt, der im  Volke lebt. Das ziemlich weit ausgebreitete schöne Gebirgsland wird mit einem größeren Bogen nordwestlich und östlich von Deutschland umgeben, und nur der kleinere südliche Theil streckt sich wie ein Keil nach dem romanischen Italien hinein. Die zwei größten und schönsten Thäler der Welt, das Inn- und Etschtal leiten nach Nordosten und Süden, nach Deutschland und in die Lombardie, und deuten dadurch den von der Natur angewiesenen Ausgang und Hauptverkehr des Landes an. Diesen räumlichen Verhältnissen vollkommen entsprechend, offenbaret sich der Geist des tirolischen Volkes; bei weiten der größere Theil des ursprünglichen deutschen, eingewanderten Volksstammes ist noch gegenwärtig ganz deutsch, und nur der kleinere romanisierte Theil von Südtirol hat italienisches Leben und Sitte angenommen. 

Wie ganz Tirol seit bald zwei tausend Jahren ein deutsches Stammland ist, so bildet auch das deutsche Bwwußtsein, der Wille und das Gewissen bei weiten den vorherrschenden geistigen Schwerpunkt des Volkes, und wenn einige Südtiroler sich als Italiener geberden, so haben sie so wohl die Geschichte vergessen, als wie sie ihr eigenes Interesse verkennen. Abgesehen davon, daß die Longobarden ein deutscher Volksstamm waren, so haben die in den Gebirgsausläufen angesiedelten Anwohner den deutschen Charakter und Wechselverkehr fortwährend erhalten, und diese mehr deutsch als römische Bevölkerung ist nicht innerhalb der heutigen Grenzen von Tirol eingeschlossen, sie erstreckt sich weit über sie hinaus bis in die Gegenden von Belluno und Vicenza hinab, und in einigen Gegenden Südtirols gab es vor nicht gar langer Zeit noch deutsche Volksschulen. 

Von der frühesten Zeit der Völkerzüge an, und namentlich im Mittelalter während des langen Streits der deutschen Kaiser und Päbste um die Oberherrschaft der Guelven und Gibellinen, war Tirol nicht bloß eine Heerstraße zwischen Deutschland und Italien, sondern es erlangte sogar eine hervorragende Geschichte mit eigenen Fürsten und mit einer eigenen Landesverfassung. 

Allein wie immer nur ein loses Band die deutschen Länder verband, welches selbst der hochherzige Kaiser Maximilian durch seine Reichsverfassung nicht enger zu einer dauernden Bereinigung der getrennten Glieder zu knüpfen vermochte, so blieb Tirol auch nur in einem negativen Verbande mit seinen Nachbarländern, aber immer deutsch in Gesinnung und in der That. Eng verbunden in den letzten Jahrhunderten mit dem Haus Oesterreich machte sich das in seinen stillen Thälern mit gewissen Vorrechten begabte Volk in unverwandter treuer Anhänglichkeit an das Kaiserhaus, vorzüglich durch die französische Revolution herausgefordert, in seiner frischen Lebenskraft bemerklich. Seitdem aber durch den Wiener Kongreß nach den Freiheitskriegen alle deutschen Länder nur durch ein nominelles Band verbunden, bei geheimen Sitzungen in Frankfurt repräsentirt waren, blieb auch Tirol in einem beinahe isolirten Zustande, und seine Stellung ohne Bedeutung; eine Vertretung und innigere Berührung mit dem Auslande hat es ohnehin nie gehabt. Die hohe Bedeutung der Stellung und des Berufes von Tirol wird sich erst in der Zukunft ergeben, wenn einmal die Ketten des Bandes gelöst sein werden, welches statt die Völker unfrei zu binden, sie zu einer gemeinsamen Familieneinheit und freier Lebensbewegung verbinden soll. Die Stunde zu einer solchen bessern Zukunft hat geschlagen, und der gegenwärtige Kampf der Geister ist nicht anders, als der Scheidungsprozeß einer neu aufbrechenden Zukunft zu einer allgemeinen gesetzlichen Freiheit aus den letzten Zwangsformen des Mittelalters. Deutschland insbesondere ist jetzt in einem großen Organisationsprozesse begriffen, welches in der Mitte von Europa und damit in der Mitte der gesitteten Welt die hohe Bestimmung hat, nicht nur alle seine bisher nur locker zusammenhängenden oder getrennten Glieder zu einem lebenskräftigen Körper zu verbinden, wozu Tirol insbesondere ein wichtiges Glied bilden wird, sondern Deutschlands Beruf ist ein noch viel höherer, nemlich die Nationen und Völker als eine geschlossene, geisteskräftige Macht zu einem allgemeinen Frieden zu vereinigen. Eine weitere Erörterung dieser Andeutungen soll in künftigen Artikeln ausgeführt werden.