Reform und Revolution: Jakob Hutter und Michael Gaismair

Goldenes Dachl
Reform und Revolution: Jakob Hutter und Michael Gaismair

Die ersten Regierungsjahre Kaiser Ferdinands I. als Landesfürst von Tirol waren von theologischen und sozialen Unruhen gekennzeichnet. Wie in vielen deutschen Ländern breitete sich auch in Tirol reformatorisches Gedankengut aus. Gleichzeitig nahmen auch die sozialen und materiellen Spannungen zu. Das neue Recht, das über die von Maximilian eingeführte Verwaltung eingeführt worden war, stand dem Gewohnheitsrecht gegenüber. Die bäuerliche Jagd im Wald und das Suchen nach Feuerholz waren illegal geworden. Die Abwehr der osmanischen Gefahr war kostenintensiv und forderte auch von den Tirolern Steuern, obwohl sie fern von Wien davon nichts spürten. In Tirol traten zu dieser Zeit mit Jakob Hutter (1500 – 1536) und Michael Gaismair (1490 – 1532) zwei Männer auf den Plan, die die bestehende Ordnung bedrohten und dafür mit dem Leben bezahlten.

Jakob Hutter war die Galionsfigur der vor allem im Inntal und im Südtiroler Pustertal aktiven Wiedertäufer, die von den Habsburgern unter Ferdinand I. und der Kirche als Ketzer verfolgt wurden. Die Zeit nach Maximilian (83) war von sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten geprägt. Die Schulden waren nach den vielen Kriegen hoch. Neue Gesetze verboten den Bauern den Fruchtgenuss der vormals frei zu nutzenden Wälder, das schloss auch die Jagd ein. Große Teile der Tiroler Wirtschaft waren an die Fugger (85) verpachtet. Die ersten Anzeichen der Kleinen Eiszeit verursachten vermehrt Missernten. Viele Menschen sahen darin eine Strafe Gottes für das sündige Leben der Menschen. Sekten prägten die reine Lehre der Religion. Die Wiedertäufer lehnten die Kindertaufe ab. Menschen sollten frei als erwachsene und mündige Bürger ihren Willen, dem Christentum beizutreten, kundtun. Für den streng gläubigen und papsttreuen Landesfürsten Ferdinand stellten sie eine Bedrohung dar, dem Volk waren sie gleichzeitig willkommene Sündenböcke. Bereits 1524 wurden drei Wiedertäufer in Innsbruck vor dem Goldenen Dachl wegen Ketzerei am Scheiterhaufen verbrannt. Das Verbrennen sollte den Verurteilten in gleichem Maße reinigen wie auch endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen. Die Anklage lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden, musste aber nicht. Tausende von ihnen wurden 1529 des Landes verwiesen und wanderten nach Mähren, die heutige Tschechei, aus. Einer von ihnen war Jakob Hutter. Aufgewachsen in Südtirol wanderte er in jungen Jahren nach Prag aus, um dort das Hutmachergewerbe zu erlernen. Seine Reisen führten ihn nach Kärnten, wo er wahrscheinlich zum ersten Mal mit den Wiedertäufern und ihren Lehren in Verbindung kam. Von hier aus verbreiteten sie ihre Lehren bis zur Ausweisung. Als die Religionsgemeinschaft 1535 auch aus Mähren vertrieben wurden, kam Jakob Hutter wieder zurück nach Tirol. Er wurde gefangengenommen, nach Innsbruck gebracht und im Kräuterturm gefoltert. Er fand als Anführer der Häretiker für sein Wirken 1536 vor dem Goldenen Dachl am Scheiterhaufen sein Ende. Die Gemeinde der Hutterischen Brüder kam nach ihrer endgültigen Vertreibung aus den deutschen Ländern und langen Irrfahrten und Fluchten quer durch Europa im 19. Jahrhundert in Nordamerika an. Noch heute gibt es einige hundert Hutterer Kolonien in Kanada und den USA, die noch immer nach dem Gebot der Jerusalemer Gütergemeinschaft in einer Art kommunistischem Urchristentum leben. Wie die Mennoniten und die Amisch leben die Hutterer meist isoliert von der Außenwelt und haben sich eine eigene Form der an das Deutsche angelehnten Sprache erhalten. In Innsbruck erinnern eine kleine Tafel am Goldenen Dachl sowie eine Straße im Westen der Stadt an Jakob Hutter. 2008 hatten die Bischöfe von Brixen und Innsbruck gemeinsam mit den Landeshauptleuten Nord- und Südtirols in einem Brief an den Ältestenrat der Hutterischen Brüder das knapp 500 Jahre vergangene Unrecht an der Täufergemeinschaft eingestanden. 2015 wurde im Saggen eein paar Schritte südwestlich des Panoramagebäudes der Huttererpark eröffnet, in dem das Denkmal „Übrige Brocken“ an das Schicksal und Leid der Verfolgten erinnert.

Der größte Aufruhr im Zuge der Reformation in Tirol war der Bauernaufstand ab 1525, der eng mit dem Namen Michael Gaismairs verbunden ist. Anders als Hutter, der vor allem eine spirituelle Erneuerung forderte, wollte Gaismair auch soziale Veränderungen vorantreiben. Der Tiroler Aufstand war ein Teil dessen, was als Deutscher Bauernkrieg große Teile des Heiligen Römischen Reiches (73) erschütterte. Es war zum Teil reformatorischer, theologischer Eifer, zum Teil Unzufriedenheit mit der sozialen Lage und Güterverteilung, was die Aufständischen antrieb. Anders als Martin Luther, war Gaismair kein Theologe. Als Sohn eines Bergwerksunternehmers erhielt er schulische Bildung. Während seiner Arbeit in Diensten des Bischofs von Brixen sah er, wie die landesherrschaftliche Verwaltung und Rechtsprechung die Untertanen behandelten. Er beteiligte sich im Mai 1525 an der Erhebung gegen den Klerus in Brixen. Ein aufgebrachter Mob drang in das Kloster Neustift und Besitztümer des Bischofs von Brixen in Südtirol ein. Neben gewöhnlicher Plünderung waren vor allem die Urbare, die Aufzeichnungen rund um Besitz, Schulden und Verpflichtungen der Bauern gegenüber dem Grundherrn, die vernichtet wurden. Der Bischof war gleichzeitig weltlicher Fürst und galt als besonders strenger Landesherr. Mit dem Grundbesitz war auch die Gerichtsbarkeit verbunden, was dem Klerus die Oberherrschaft über die Untertanen ermöglichte, so es sich nicht um Delikte handelte, die der Blutsgerichtbarkeit unterlagen. Die Bewegung nahm schnell Fahrt auf und breitete sich vor allem in den südlichen Landesteilen rasant aus. Der gebildete Gaismair wurde von den Aufständischen zum Hauptmann erkoren, um Verhandlungen mit dem Tiroler Landesfürsten, Ferdinand I. am Landtag in Innsbruck zu führen. Im ganzen Land war es zu kleineren Erhebungen gekommen. Auch das Stift Wilten wurde von unzufriedenen Untertanen belagert. Gaismair erarbeitete eine utopische Art Landesverfassung. Damit wollte er nicht am Landesfürsten Ferdinand selbst rütteln, sondern ihn bitten im Namen Gottes das Land gerechter zu gestalten und verwalten. Der Klerus sollte sich um das Seelenheil der Untertanen statt um Politik kümmern. Land und Güter wie Bergwerkserträge sollten sozial gerecht verteilt, Zinsen gestrichen werden. Die Einschränkungen von Jagd und Fischerei, die Ferdinands Vorgänger Maximilian I. (83) den Tirolern auferlegte, sollten wieder aufgehoben werden. Diese Anliegen wurden in den 62 Meraner Artikeln gesammelt, die später auf 96 Innsbrucker Artikel erweitert wurden. Während Gaismair und seine Abordnung im Juni 1525 in Innsbruck mit Ferdinand und seinen Beamten verhandelten, ebbte die Revolution in den südlichen Landesteilen rund um Brixen und Meran ab. Gaismair wurde verhaftet und im Kräuterturm in Innsbruck eingekerkert. Nach knapp zwei Monaten konnte er im Oktober 1525 flüchten, um seinen Kampf von Sterzing aus weiterzuführen. Nach einigen Niederlagen begab er sich in die benachbarte, gegen die Habsburger aufständische Schweiz, wo er den Reformer und Revolutionär Huldyrich Zwingli kennenlernte. Hier schrieb er seine sozialrevolutionäre Landesordnung nieder, die einen christlichen Bauern-, Handwerker- und Knappenstaat vorsah, in dem Güter vergemeinschaftet werden sollten. Die Art und Weise, in der Gaismair formulierte, ist interessant. So lautete einer der Artikel:

Was den Zehent betriff, so soll ihn jeder geben nach dem Gebot Gottes, un er soll wie folgt verwendet werden: Jede Pfarre habe einen Priester nach der Lehre des Apostels Paulus, den den Menschen das Wort Gottes verkündet… was übrig bleibt, ist den Armen zu geben.“

Weiterhin war er auch Heeresführer der Widerstandsgruppe gegen die Habsburger. Der Ruf seiner militärischen Erfolge kam bis in die Republik Venedig, die sich seit dem Krieg 1477 mit Siegmund dem Münzreichen in ständigem Konflikt befand. Gaismair wurde als Condottiere, als Heerführer, engagiert. Bald fiel er aber auch hier in Ungnade. Nicht nur schloss Venedig Frieden mit den Habsburgern, auch seine antikatholische Haltung und seine unangepasste Lebensweise erregten Missgunst und Neid. 1532 wurde auf seinem Landsitz bei Venedig mit mehr als 40 Messerstichen ermordet. Welche der vielen Mächte, die er gegen sich aufgebracht hatte, dahintersteckte, ist nicht geklärt. Nicht weniger interessant als sein Leben ist sein Werdegang post mortem. Gaismair schaffte es nie zum allgemeinen Ruhm Andreas Hofers (99) in Tirol. In Schulen wird bis heute kaum über ihn gelehrt. Anders als Hofer, der sich als braver Katholik von der Obrigkeit gegen eine fremde Macht vor den Karren spannen ließ, war Gaismair ein Aufständischer, ein Unangenehmer und Querdenker. Im 20. Jahrhundert entdeckten die Nationalsozialisten wie auch die Linke Gaismair als Galionsfigur. 1899 war ein Theaterstück über den Bauernführer von Franz Kranewitter erschienen. Von nun an wurde Gaismair je nach Bedarf als Kämpfer gegen Monarchie und Klerus, von den Nationalsozialisten als deutscher Held und Befreier der Bauern oder der Linken als früher Kommunist gedeutet. Die 68er Generation feierte den eigentlich frommen und gottesfürchtigen Revolutionär für seine Ideen zur Vergemeinschaftung von Eigentum. Der Tiroler Journalist und Historiker Claus Gatterer schrieb zur ständigen Umdeutung der Figur Gaismairs:

Wieviel Wahrheit darf ein Volk über seine Vergangenheit, über Wachsen und Werden seiner Gegenwart erfahren?.... Der jeweiligen Ideologie entsprechend, werden altverdiente Helden und Heilige von den Sockeln gestürzt, und durch andere, bis dahin missachtet, ersetzt; oder es wird einem etablierten Heiligen kurzerhand eine neue Biographie verpasst, die namentlich in der Motivation des Handelns sich mit aktuellen Erfordernissen passt.

Anders als für Andreas Hofer gibt es für Michael Gaismair und den Bauernaufstand von 1525 kaum Erinnerungsorte in Innsbruck. In Wilten erinnern eine Straße und eine Hauptschule an ihn.

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