Rudolfsbrunnen

Boznerplatz

Wissenswert

„Mag auch die strenge Kritik einiges an dem Standbilde ausstellen, so muß doch das Ganze als höchst gelungen bezeichnet werden und macht einen schönen, befriedigenden Eindruck.“

In der Redaktion des Innsbrucker Tagblatts scheint man am 29. September 1877, dem Tag der Enthüllung des Rudolfsbrunnens, einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis der neuesten Attraktion der Stadt gewesen sein. Der Gestaltung des Platzes waren allerdings heftige Diskussionen zwischen liberalen und konservativen Zeitgenossen vorhergegangen.

Die 12 Meter hohe Figur am Brunnen stellt Herzog Rudolf IV. dar. Das untere Bassin wird von Greifen flankiert, die Wappen mit dem Tiroler Adler und dem kaiserlichen Doppeladler tragen. Für die Planung konnte Friedrich Schmidt gewonnen werden. Der spätere Wiener Dombaumeister sollte einer der wichtigsten Architekten des neogotischen Stils in der K.u.K. Monarchie werden. Zwischen Bozen, Böhmen und Ruthenien realisierte er viele markante Gebäude, unter anderem den Neubau des Südturms des Stephansdoms und die St. Nikolauskirche in Innsbruck. Er ist nicht nur Ehrenbürger der Stadt Innsbruck, sondern besitzt auch ein prunkvolles Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der bei einem Luftangriff ramponierte Brunnen unter Franz Baumann renoviert.

Der Brunnenbau begann 1863 anlässlich 500 Jahre Zugehörigkeit Tirols zum Habsburgerreich. Dank eines mutmaßlich gefälschten Erbvertrags war die Grafschaft Tirol ein Teil des Habsburgerreichs geworden. Seinen Beinamen Der Stifter verpassten Historiker Rudolf wegen seiner Verdienste um Wien, der heutigen Bundeshauptstadt Österreichs. Zur Zeit seiner Regentschaft lag das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches in Prag. Mit der Gründung der Universität Wien und St. Stephan als Metropolitankapitel und Grablege der Habsburger unter Rudolf war der erste Schritt Wiens als neues Zentrum des Heiligen Römischen Reiches getan. Seinen aufsehenerregendsten Coup konnte Rudolf im Jahr 1358 landen. Das Privilegium maius, eine Urkunde, die dem Haus Habsburg etliche Sonderrechte gegenüber allen anderen deutschen Fürsten zugestand, war ebenfalls eine Fälschung. Bereits Kaiser Karl IV., ein erbitterter Gegner der Habsburger, war überzeugt, dass die Urkundensammlung eine Fälschung war. Der große Gelehrte Francesco Petrarca kam ebenfalls zu dem Schluss, dass das Privilegium maius nicht echt sein konnte. Nichtsdestotrotz wurden die Sonderrechte der Erzherzogswürde, die Erbfolge und die eigenständige Gerichtsbarkeit in ihren Territorien den Österreichern zuerkannt. Wer heute vor dem Rudolfsbrunnen am Boznerplatz steht, sollte nicht vergessen, dass der Mann, dem zu Ehren ein Brunnen errichtet wurde, nicht nur ein frommer Stifter, sondern vor allem ein begnadeter Betrüger war.

Schwindel oder nicht, die Einheit Österreichs und Tirols war ein Grund zu feiern. Das 19. Jahrhundert war die große Zeit des Nationalismus. Europaweit wurde nach Traditionen und Gemeinsamkeiten gesucht, um Menschen eine nationale Identifikation zu geben. Bauwerke, Literatur und Denkmäler sollten die Zugehörigkeit zum Habsburgerreich und den Nationalstolz in der Bevölkerung stärken. Der Brunnen war eine Manifestation der Einheit und Zugehörigkeit des Kronlandes Tirol zur Habsburgermonarchie.

Je nach politischer Einstellung und Perspektive ergaben sich verschiedene Ideen des nationalen Gedankens. Den deutschnational-liberalen Politikern der Stadt war es ein Anliegen die Einheit von Tirol und Österreich darzustellen. Sie sahen Innsbruck als einen Teil eines starken Habsburgerreichs unter deutscher Vorherrschaft gegenüber den anderen Völkern des Vielvölkerstaats. Die konservative Version der Tiroler Identität orientierte sich an einer katholischen, tirolisch-nationalen Identität samt Herz-Jesu-Kult, die ihr Denkmal im Andreas-Hofer-Denkmal am Berg Isels erhielt. Während bei der Enthüllung des Rudolfsbrunnens der liberale Kronprinz Rudolf anwesend war, war der konservative Franz Josef I. bei der Eröffnung des Denkmals am Berg Isel zu Gast.

Knapp 150 Jahre nach seiner Errichtung steht der Boznerplatz wieder im Zentrum reger Diskussionen im Gemeinderat. Betrachtet man ihn auf alten Bildern, sieht man einen attraktiven innerstädtischen Platz. Die aktuelle Realität ist etwas trister. Der Boznerplatz ist vom Verkehr bedrängt und lädt kaum zum Verweilen ein. Die Geister scheiden sich daran, ob und wie der Platz um den Rudolfsbrunnen vom Verkehrsknotenpunkt wieder zu einer Begegnungszone umgestaltet werden soll. Die Diskussionen drehen sich nicht mehr um die Frage der Tiroler Identität, Klima und Mobilität rücken den Boznerplatz in den Fokus eines modernen Kulturkampfes.

Von Maultasch, Habsburgern und dem Schwarzen Tod

Zwischen dem letzten Grafen von Andechs und dem ersten Tiroler Landesfürsten aus dem Haus Habsburg lagen 115 bewegte Jahre der Innsbrucker Stadtgeschichte. Nach dem letzten Andechser lenkten die Grafen von Tirol für etwa 100 Jahre die Geschicke des Landes und somit zu einem guten Teil auch der Stadt Innsbruck.

Meinhard II. von Tirol (1239 – 1295) konnte mit geschickter Politik und etwas Glück sein Territorium vergrößern. Er schaffte es den Flickenteppich am Gebiet des heutigen Tirols von seiner Stammburg in Meran aus zu einem einheitlicheren Ganzen zu einen. Meinhard stützte sich auf eine moderne Verwaltung. Dabei zu Rate waren ihm florentinische Kaufleute und Bänker, damals die modernsten Business Consultants Europas. Um eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen, ließ er ein kodifiziertes Landrecht erarbeiten. Erstmals wurden auf Tiroler Raum einheitlich alle Besitzungen in einem Urbar gesammelt. Meinhard brach die bischöfliche Münzhoheit und ließ Münzen mit dem Tiroler Adler als Wappen nach italienischem Vorbild prägen. Das beschnitt die faktische Macht der Kirche. Die Bischöfe von Brixen und Trient waren zwar noch Landbesitzer und Grundherren, ihre Lehen waren aber nur noch formal vorhanden. 1254 war erstmals nicht mehr vom Land im Gebirge, sondern von der offiziellen Dominium Tirolis, der Herrschaft Tirol, die Rede. Seine letzte Ruhestätte fand er im Stift Stams, wo heute Tirols Wintersportelite ausgebildet wird.

Sein Sohn und Nachfolger als Tiroler Landesfürst, Herzog Heinrich von Kärnten (1265 – 1335), zählte als König von Böhmen zu den wichtigsten Adeligen im Heiligen Römischen Reich. Heinrich war dank seiner Besitzungen in Südosteuropa einer der mächtigsten Fürsten. Er war ein eifriger Förderer der Städte, deren Bedeutung er erkannte. In Innsbruck förderte er den Bau des Bürgerspitals in der Neustadt. Ein männlicher Nachfolger allerdings war ihm nicht beschieden gewesen. Noch vor seinem Tod hatte Heinrich aber sichergestellt, dass seine Tochter Margarethe seine Nachfolge antreten konnte.

Seine Tochter Margarethe von Tirol-Görz (1318 – 1369) folgte ihm mit 17 Jahren als Landesfürstin nach. Die junge Frau geriet so in den Strudel der mächtigsten Geschlechter ihrer Zeit: Habsburg, Wittelsbach und Luxemburg. Mit zweien davon ging sie eine eheliche Verbindung ein, der dritten sollte sie am Ende ihrer Regentschaft das Land Tirol und damit auch die Stadt Innsbruck vererben.

Nach dem Tod ihres Vaters wurde sie mit Johann Heinrich aus dem Hause Luxemburg, dem Sohn des neuen Königs von Böhmen verheiratet. Johann Heinrich war noch jünger als seine Gattin und diente lediglich als Fuß in der Tür seines Vaters am Tiroler Fürstenthron. Den Habsburgern und Wittelsbachern war er ein Dorn im Auge, ebenso dem lokalen Adel. Seine Regentschaft war ein Desaster. In den an florentinischen Finanziers verpachteten Haller Salinen, neben den Zöllen das Herzstück der Tiroler Wirtschaft, kam es zu Streiks. Trotz der finanziellen Probleme soll die Hofhaltung des als infantil geltenden Johann Heinrichs verschwenderisch gewesen sein.

Kurzerhand wurde er von den Tiroler Ständen 1341 mit der Unterstützung des Kaisers Ludwig, einem Wittelsbacher, in einem gemeinsam mit Margarethe geplanten Putsch aus dem Land vertrieben. Die als schön, aber aufbrausend, herrschsüchtig und sexuell unersättlich beschriebene Margarethe soll von der horizontalen Performance ihres kindlich-schwächlichen Gatten wenig angetan gewesen sein. Er soll seiner Gattin während eines missglückten Beischlafes in die Brustwarzen gebissen haben. Ein dem Kaiser wohlgesonnener Chronist der Zeit sprach von Johann Heinrichs „inpotencia coeundi“, hervorgerufen wohl durch seine jugendliche Unreife.

Geschickt wurden diese Neuigkeiten im Reich gestreut, um dem Kaiser die Möglichkeit zu geben seinen Sohn Ludwig von Brandenburg als Ehemann Margarethes und somit als Fürst des wichtigen Transitlandes Tirol einsetzen. Der als Tiroler Eheskandal in die Geschichte eingegangen Putsch zog weite Krise. Sogar der bis heute bekannte Philosoph und Papstkritiker William von Ockham nahm dazu Stellung. Das Problem war nicht nur die Scheidung an und für sich, sondern dass Margarethe zum Zeitpunkt ihrer zweiten Hochzeit von ihrem ersten Ehemann nicht geschieden war. Dem Kaiser und seiner Anhängerschaft galt die Ehe zwischen dem als impotent geltenden Johann Heinrich und Margarethe als nicht vollzogen und somit nichtig.

Die vierte bedeutende politische Macht Mitteleuropas dieser Zeit, der Papst, sah das anders. Papst Benedikt XII. belegte den Kaiser und dessen Sohn wegen der „unheiligen“ Ehe zwischen der Tiroler Landesfürstin Margarethe und dem Wittelsbacher Ludwig mit einem Bannfluch. Neben den moralischen Bedenken hatte der Papst auch politische Gründe dafür. Sowohl er als auch die Habsburger standen in kriegerischem Konflikt mit dem Wittelsbacher Kaiser und wollten so den Einfluss dieser Dynastie schwächen.

Dieses Interdiktum war für die Menschen im Mittelalter eine der härtesten Strafen. Es verbot in den Kirchen des Landes das Abhalten von Messen und die Erteilung der Kommunion. Es war wohl in dieser Zeit, dass Margarethe vom Volk den Spitznamen Maultasch verpasst bekam und als besonders hässlich beschrieben wurde. Zeitgenössische Portraits, die auf einen deformierten Mund hinweisen würden, sind nicht vorhanden. Die Bilder, die wir heute von Margarethe Maultasch haben, stammen frühestens aus dem späten 15. Jahrhundert, als der mittelalterliche Eheskandal erstmals historisch nachbearbeitet wurde.

Die Regierungszeit Margarethes war von Krisen gekennzeichnet, für die sie zwar nichts konnte, die ihr aber trotzdem angelastet wurden. Das 14. Jahrhundert brachte eine Klimaerwärmung, die eine Heuschreckenplage zur Folge hatte. Auch in Tirol kam es infolgedessen zu Missernten und Hungersnöten. Damit nicht genug. Von 1348 bis 1350 suchte die Pest Europa heim. Von Venedig aus über Trient und das Etschtal kam die Krankheit nach Innsbruck. Der Schwarze Tod dezimierte die Bevölkerung dramatisch. In manchen Teilen Tirols verringerte sich die Einwohnerzahl um mehr als die Hälfte. Nicht nur die Anzahl der Toten, auch die grauenhafte Art und Weise wie die Opfer unter großen Schmerzen und körperlicher Deformation starben, hinterließ einen Eindruck bei der frommen Bevölkerung. Viele Informationen zum Ausbruch der Pest in Innsbruck sind in den Archiven dazu nicht zu finden, die Folgen der Seuche waren aber wie in ganz Europa verheerend. Eine an der Pest erkrankte Innsbruckerin sprach in ihrem Testament vom „gemeinen Sterben, das im Land umgeht“.

Die Menschen konnten sich Phänomene wie Missernten und Pest nicht erklären. Viele sahen die Verödung des von Kriegen, Seuche und Klima geplagten Landes als Folge des päpstlichen Bannfluches und Strafe Gottes an und machten Margarethe und ihren Ehemann Ludwig dafür verantwortlich. Die Gründe für Krankheit und Elend waren tatsächlich wohl außerhalb päpstlicher Bannflüche und Propaganda zu finden. Innsbruck besaß wie viele Städte weder gepflasterte Straßen noch gab es ein Abwassersystem oder Trinkwasserversorgung. Tiere und Menschen teilten sich den engen Platz innerhalb der Stadtmauern. Die Lebensbedingungen waren unhygienisch.

1350 wurde zum ersten Mal das Untere Stadtbad in der heutigen Badgasse erwähnt. Bäder dienten nicht nur zur Reinigung, hier erfolgte die medizinische Versorgung nach damaligen Standards beim Bader. Bader waren fahrende oder ortsansässige Heilkundige, die Kranke behandelten, Wunden nähten oder Zähne zogen. Übernatürliches galt als real, auch in der medizinischen Versorgung. Der wissenschaftliche Ansatz der wenigen Ärzte dieser Zeit war dem der praxisorientierten Bader nicht unbedingt überlegen. Die gängige Lehrmeinung bis in die Neuzeit an Universitäten war die Vier-Säfte-Lehre. Im Körper gab es laut dieser These ein Gleichgewicht von Blut, Schleim, schwarzer Galle und gelber Galle. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führt zu Krankheit. Das Gleichgewicht wurde durch gotteslästerliche Lebensführung, falsche Ernährung, übertriebene sexuelle Aktivität oder Miasmen in der Luft gestört. Auch Wasser stand im Verruf, über die Haut einzudringen und das Säfteverhältnis im menschlichen Körper durcheinanderzubringen, weshalb man nach dem Baden zur Ader gelassen werden sollte.

Nachdem Wittelsbacher, Luxemburger und Habsburger jahrzehntelang um Tirol gestritten hatten, kam es doch noch zum Happy End. Rudolf IV. aus dem Haus Habsburg intervenierte beim Papst und konnte 1359 die Aufhebung des Interdiktums gegen erhebliche finanzielle Gegenleistungen zu Lasten Margarethes und Ludwigs ausverhandeln. Im selben Zug soll auch eine Urkunde erstellt worden sein, die heute als Fälschung gilt: in diesem Schriftstück vermachte Margarethe das Land Tirol an Rudolf IV. und die Familie Habsburg.

Bald darauf trat dieser Erbfall ein. Ein Jahr nachdem Margarethes Gatte und Landesfürst Tirols Ludwig 1361 gestorben war, verschied auch ihr Sohn Meinhard III. Glaubt man der Geschichte Filippo Villanis, die allerdings erst um 1400 herum geschrieben wurde, soll die schon zu Lebzeiten als Kriemhild verschriene Margarethe gemeinsam mit einem Liebhaber an beiden Todesfällen nicht unschuldig gewesen sein. Margarethe übergab als Mutter des letzten Landesfürsten der Dynastie Tirol die Regierungsgeschäfte 1363 mit der Zustimmung des Tiroler Adels an Rudolf IV. (1339 – 1365) von Habsburg. Tirol war ein Teil des Herrscherhauses, das auch über das Erzherzogtum Österreich verfügte.

Die Herzöge von Bayern aus dem Haus Wittelsbach wollten diesen Erbvertrag nicht anerkennen, der ihre Ansprüche auf Tirol für nichtig erklärte. 1363 zogen sie Richtung Innsbruck, um das Recht mit Waffengewalt zu zurechtzubiegen. Rudolf IV. hatte allerdings wichtige lokale Adelige auf seine Seite gezogen. Die Urkunde, die das Tiroler Erbe bestätigten, waren vielleicht nicht echt, die realpolitischen Machtverhältnisse sprachen aber für die Habsburger. Die zum Wehrdienst verpflichteten Bürger Innsbrucks konnten die durch die Andechsburg und die Stadtmauer befestigte Stadt erfolgreich verteidigen. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass es der Wittelsbacher Ludwig war, der als Landesfürst Tirols die Stadtmauern hatte erhöhen und verstärken lassen.

Mit dem Erwerb Tirols konnte die Familie Habsburg eine wichtige geographische Lücke innerhalb ihres Machtbereichs schließen. Durch die Eingliederung der Stadt in das wesentlich größere Territorium der Habsburger gewann Innsbruck zusätzlich an Bedeutung, während die eigentliche Hauptstadt Meran weiter an den Rand gedrängt wurde. Neben dem Nord-Süd Transport von Waren, war die Stadt am Inn nun auch zu West-Ost Verkehrsknoten zwischen den östlichen Österreichischen Ländern und den alten Besitztümern der Habsburger im Westen geworden.

Für die Überlebenden der großen Pestwelle von 1348 kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in ganz Europa. Arbeitskraft war durch die geschrumpfte Bevölkerung rar geworden, dafür waren pro Kopf größere Ressourcen vorhanden. Für diejenigen Innsbrucker, die die turbulente erste Hälfte des 14. Jahrhunderts überlebt hatten, sollten bessere Zeiten anbrechen.

An Margarethe Maultasch und ihre Ehemänner erinnert in Innsbrucks Stadtbild kaum etwas, war ihre Zeit doch von politischen und wirtschaftlichen Nöten geprägt. Die kriegerischen Auseinandersetzungen und die Pest brachten die Zolleinlagen fast zum Erliegen. Für großartige Bauwerke war kein Geld vorhanden. Innsbruck war auch noch nicht Residenzstadt.

Lebendig ist sie aber in Erinnerungen und Legenden. Margarethe „Maultasch“ zählt zu den bekanntesten weiblichen Figuren der Tiroler Geschichte. Widersprüchliche, von verschiedenen Interessen motivierte Berichte, die über sie bereits zu Lebzeiten verfasst wurden, geben Spielraum für Interpretation. Ihr Biographie taugt als Blaupause einer Figur der TV-Serie Games of Thrones. So soll sie bei der Verteidigung der Burg Tirol gegen ein heranrückendes veneto-lombardisches Heer mit „ungebrochenem Mut und männlicher Entschlossenheit“ und „mit einem geringen Häuflein von Kriegsknechen“ die Verteidigung geleitet und sogar einen Ausbruchsversuch aus der Stadt angeführt haben. Ihren Gegnern hingegen galt sie als mannstoller, unersättlicher und unmoralischer Vamp. Ob sie skrupellose Mörderin oder unschuldiger Spielball fremder Mächte war – wissen werden wir das wohl nie.

Margarethe und ihr Nachfolger auf dem Thron des Landesfürsten Rudolf IV. von Habsburg sind am Brunnen am Rudolfsbrunnen am Boznerplatz, dem ehemaligen Margarethenplatz, in Stein verewigt.

Rudolf von Habsburg: Politik und Sitten der Zeit

Der intelligente, liberal eingestellte und sensible Kronprinz Rudolf (1858 – 1889) galt als der Liebling der Völker des Habsburgerreichs. Sein Leben kann in vielerlei Hinsicht als exemplarisch für die Zeit zwischen 1848 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelesen werden. Der Kampf zwischen neuen politischen Ideen und Althergebrachtem, die Begeisterung für Wissenschaft, Kunst und Kultur sowie Sitten und Moral, der auch in Innsbruck Gesellschaft und Alltag prägte, spiegeln sich in der Figur des Sohnes Kaiser Franz Josesfs I. wider. Der allergrößte Teil der Innsbrucker hatte nicht die materiellen Möglichkeiten oder den Status eines Habsburgers, die Moden und Strömungen, unter denen sie lebten, waren aber dieselben.

Seit dem Amtsantritt Franz Josefs I. hatte sich die Donaumonarchie räumlich und sittlich verändert. 1866 war Österreich nach Königgrätz aus dem Deutschen Bund ausgeschieden. 1867 war es zum sogenannten Ausgleich mit Ungarn gekommen. Die italienischen Gebiete mit Ausnahme des Trentino und des Hafens Triest waren verlorengegangen. Die Bestrebungen der einzelnen Volksgruppen nach nationaler Selbstständigkeit machten auch vor Tirol nicht halt, gehörte mit dem Trentino zwischen Salurn und Riva am Gardasee doch auch ein italienischsprachiger Teil zum Land. Im Tiroler Landtag forderten italienischsprachige Abgeordnete, sogenannte Irredentisten, mehr Rechte und Autonomie für das damalige Südtirol. In Innsbruck kam es zwischen italienischen und deutschsprachigen Studenten immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Wallschen, dieser Begriff für Italiener hält sich bis heute in Tirol hartnäckig, galten als ehrlos, unzuverlässig und faul.

Rudolf galt als sehr belesen und gebildet. Er interessierte sich ganz im Zeitgeist des Bildungsbürgertums für ein breites Spektrum an Themen. Er sprach neben Griechisch und Latein auch Französisch, Ungarisch, Tschechisch und Kroatisch. Er widmete er sich als Privatier dem Verfassen von Presseartikeln, der Wissenschaft und dem Reisen durch die Länder der Monarchie. Er veranlasste die Herausgabe des Kronprinzenwerks, einer naturwissenschaftlichen Enzyklopädie. 1893 erschien Band 13, der das Kronland Tirol behandelte.

Auch politisch war er Neuem gegenüber aufgeschlossen. Rudolf verfasste liberale Artikel im "Neuen Wiener Tagblatt" unter einem Pseudonym. Er wollte unter anderem Grund- und Bodenreformen vorantreiben durch stärkere Besteuerung der Großgrundbesitzer und den einzelnen Nationalitäten des Habsburgerreichs mehr Rechte zugestehen. Besonders im konservativen, ländlichen Tirol und unter Militärs war er sehr unbeliebt. Bei den liberal gesinnten Innsbruckern hingegen galt er als Hoffnung für eine Erneuerung der Monarchie im Sinne eines modernen, föderalen Staates. Der Rudolfsbrunnen in Innsbruck am Boznerplatz erinnert zwar nicht an den Kronprinzen, bei seiner Einweihung war er aber zugegen.

Rudolfs Privatleben war trotz, oder gerade wegen seines aristokratischen Hintergrundes, turbulent, allerdings nicht untypisch für diese Zeit, in der Eltern und Lehrer weniger nahbare Erziehungspersonen als vielmehr distanzierte Respektpersonen darstellten. Kinder wurden streng erzogen. Weder Lehrer noch Eltern schreckten vor körperlicher Züchtigung zurück, auch wenn es Grenzen, Gesetze und Regeln für den Einsatz von häuslicher Gewalt gab. Militarismus und Fokus auf die zukünftige Erwerbsarbeit verhinderten Kindheit und Jugend, wie wir sie heute kennen. Auch Rudolfs frühe Jahre, als er auf Wunsch Kaiser Franz Josef eine soldatische Erziehung unter General Gondrecourt durchlaufen musste, waren wenig luxuriös. Erst nach Einschreiten seiner Mutter Elisabeth wurden Schikanen wie Wasserkuren, Exerzieren in Regen und Schnee und das Aufwecken mit Pistolenschüssen aus dem täglichen Programm des sechsjährigen Kronprinzen genommen.

Wie viele seiner Zeitgenossen fand sich auch Rudolf als Erwachsener in einer unglücklichen, da arrangierten Ehe wieder. Das 19. Jahrhundert war nicht das Zeitalter der Liebesheiraten, auch wenn Romantik und Biedermeierzeit gerne dahingehend gerühmt werden. Aristokraten und Mitglieder des hohen Bürgertums heirateten aus Standesdünkel und mit dem Ziel, die Dynastie zu erhalten. Dienstboten, Hausmädchen, Knechten und Mägden war die Hochzeit lange untersagt. In der Oberschicht waren Ehefrauen nichts weiter als Schmuck ihres Gatten und Oberhaupt des Haushaltes. Erst wenn der oft ältere Ehemann verstorben war, konnten auch Witwen ihr Leben abseits dieser Rolle genießen.

Zeit seines Lebens war auch Rudolf dem schönen Geschlecht außerhalb der Ehe nicht abgeneigt. In seinen letzten Lebensmonaten unterhielt Rudolf eine Affäre mit der als besonders schön geltenden Mary Vetsera, einem erst 17 Jahre alten Mädchen aus reichem ungarischem Adel. Er war zu dieser Zeit von Depressionen, Gonorrhö, Alkohol- und Morphiumsucht bereits schwer gezeichnet. Am 30. Januar 1889 traf sich Rudolf mit Vetsera, nachdem er die Nacht zuvor mit seiner Langzeitgeliebten, der Prostituierten Maria „Mizzi“ Kaspar, verbracht hatte. Unter nie vollständig geklärten Umständen tötete er zuerst die junge Frau und dann sich selbst mit einem Schuss in den Kopf. Von der Familie Habsburg wurde der Selbstmord nie anerkannt. Zita (1892 – 1989), die Witwe des letzten Kaisers Karl, sprach noch in den 1980ern von einem Mordanschlag. Wie Rudolf hielten es auch viele seiner Untertanen. Zwar konnte sich kaum jemand rühmen, eine ungarische Adelige als Gespielin für sich zu beanspruchen, eine Liebhaberin, so waren die Sitten nicht so, wie es Pfarrer täglich von der Kanzel predigten. Ehemänner tobten sich sexuell bei Affären mit Dienstmädchen, Geliebten und Prostituierten aus.

Die Diskussion um die Beisetzung des Thronfolgers und seiner Geliebten zeigte die christliche Moral und die Doppelmoral des Habsburgerreiches. Selbstmord galt als schwere Sünde und verhinderte eigentlich ein christliches Begräbnis. Vetsera wurde am Friedhof in Heiligenkreuz bei Mayerling in einem kleinen Grab an der Friedhofsmauer unauffällig beigesetzt, während Rudolf nach kaiserlicher Intervention beim Papst ein Staatsbegräbnis erhielt und seine letzte Ruhe in der Kapuzinergruft, der wohl berühmtesten Grablege der Habsburger in Wien erhielt.

 

Innsbruck und das Haus Habsburg

Innsbrucks Innenstadt wird heute von Gebäuden und Denkmälern geprägt, die an die Familie Habsburg erinnern. Die Habsburger waren über viele Jahrhunderte ein europäisches Herrscherhaus, zu dessen Einflussbereich verschiedenste Territorien gehörten. Am Zenit ihrer Macht waren sie die Herrscher über ein „Reich, in dem die Sonne nie untergeht“. Durch Kriege und geschickte Heirats- und Machtpolitik saßen sie in verschiedenen Epochen an den Schalthebeln der Macht zwischen Südamerika und der Ukraine. Innsbruck war immer wieder Schicksalsort dieser Herrscherdynastie. Besonders intensiv war das Verhältnis zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert. Durch die strategisch günstige Lage zwischen den italienischen Städten und deutschen Zentren wie Augsburg und Regensburg kam Innsbruck spätestens nach der Erhebung zur Residenzstadt unter Kaiser Maximilian ein besonderer Platz im Reich zu. Manche der Habsburger Landesherren hatten weder eine besondere Beziehung zu Tirol noch brachten sie diesem deutschen Land besondere Zuneigung entgegen. Ferdinand I. (1503 – 1564) wurde am spanischen Hof erzogen. Maximilians Enkel Karl V. war in Burgund aufgewachsen. Als er mit 17 Jahren zum ersten Mal spanischen Boden betrat, um das Erbe seiner Mutter Johanna über die Reiche Kastilien und Aragorn anzutreten, sprach er kein Wort spanisch. Als er 1519 zum Deutschen Kaiser gewählt wurde, sprach er kein Wort Deutsch.

Tirol war Provinz und als konservativer Landstrich der Herrscherfamilie meist zugetan. Die schwer zugängliche Lage machte es zum perfekten Fluchtort in unruhigen und krisenhaften Zeiten. Karl V. (1500 – 1558) floh während einer Auseinandersetzung mit dem protestantischen Schmalkaldischen Bund für einige Zeit nach Innsbruck. Ferdinand I. (1793 – 1875) ließ seine Familie fern der osmanischen Bedrohung im Osten Österreichs in Innsbruck verweilen.  Franz Josef I. genoss kurz vor seiner Krönung im turbulenten Sommer der Revolution 1848 gemeinsam mit seinem Bruder Maximilian, der später als Kaiser von Mexiko von Aufständischen Nationalisten erschossen wurde, die Abgeschiedenheit Innsbrucks. Eine Tafel am Alpengasthof Heiligwasser über Igls erinnert daran, dass der Monarch hier im Rahmen seiner Besteigung des Patscherkofels nächtigte.

Nicht alle Habsburger waren stets glücklich in Innsbruck zu sein. Angeheiratete Prinzen und Prinzessinnen wie Maximilians zweite Frau Bianca Maria Sforza oder Ferdinand II. zweite Frau Anna Caterina Gonzaga strandeten ungefragt nach der Hochzeit in der rauen, deutschsprachigen Bergwelt. Stellt man sich zudem vor, was ein Umzug samt Heirat von Italien nach Tirol zu einem fremden Mann für einen Teenager bedeutet, kann man erahnen, wie schwer das Leben der Prinzessinnen war. Kinder der Aristokratie wurden bis ins 20. Jahrhundert vor allem dazu erzogen, politisch verheiratet zu werden. Widerspruch dagegen gab es keinen. Man mag sich das höfische Leben als prunkvoll vorstellen, Privatsphäre war in all dem Luxus nicht vorgesehen.

Als Sigismund Franz von Habsburg (1630 – 1665) als letzter Landesfürst kinderlos starb, war auch der Titel der Residenzstadt Geschichte und Tirol wurde von einem Statthalter regiert. Der Tiroler Bergbau hatte an Wichtigkeit eingebüßt. Kurz darauf verloren die Habsburger mit Spanien und Burgund ihre Besitzungen in Westeuropa, was Innsbruck vom Zentrum an den Rand des Imperiums rückte. In der K.u.K. Monarchie des 19. Jahrhunderts war Innsbruck der westliche Außenposten eines Riesenreiches, das sich bis in die heutige Ukraine erstreckte. Franz Josef I. (1830 – 1916) herrschte zwischen 1848 und 1916 über ein multiethnisches Vielvölkerreich. Sein neoabsolutistisches Herrschaftsverständnis allerdings war aus der Zeit gefallen. Österreich hatte seit 1867 zwar ein Parlament und eine Verfassung, der Kaiser betrachtete diese Regierung allerdings als „seine“. Minister waren dem Kaiser gegenüber verantwortlich, der über der Regierung stand. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zerbrach das marode Reich. Am 28. Oktober 1918 wurde die Republik Tschechoslowakei ausgerufen, am 29. Oktober verabschiedeten sich Kroaten, Slowenen und Serben aus der Monarchie. Der letzte Kaiser Karl dankte am 11. November ab.  Am 12. November erklärte sich „Deutschösterreich zur demokratischen Republik, in der alle Gewalt vom Volke ausgeht“. Das Kapitel der Habsburger war beendet.

Bei allen nationalen, wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Problemen, die es in den Vielvölkerstaaten gab, die in verschiedenen Kompositionen und Ausprägungen den Habsburgern unterstanden, die nachfolgenden Nationalstaaten schafften es teilweise wesentlich schlechter die Interessen von Minderheiten und kulturellen Unterschiede innerhalb ihres Territoriums unter einen Hut zu bringen. Seit der EU-Osterweiterung wird die Habsburgermonarchie von einigen wohlmeinenden Historikern als ein vormoderner Vorgänger der Europäischen Union gesehen. Gemeinsam mit der katholischen Kirche prägten die Habsburger den öffentlichen Raum über Architektur, Kunst und Kultur. Goldenes Dachl, Hofburg, die Triumphpforte, Schloss Ambras, der Leopoldsbrunnen und viele weitere Bauwerke erinnern bis heute an die Präsenz der wohl bedeutendsten Herrscherdynastie der europäischen Geschichte in Innsbruck.

Die Tirolische Nation, "Demokratie" und das Herz Jesu

Viele Tiroler sehen sich bis heute oft und gerne als eigene Nation. Mit „Tirol isch lei oans“, „Zu Mantua in Banden“ und „Dem Land Tirol die Treue“ besitzt das Bundesland gleich drei mehr oder weniger offizielle Hymnen. Dieser ausgeprägte Lokalpatriotismus hat wie auch in anderen Bundesländern historische Gründe. Oft wird die Tiroler Freiheit und Unabhängigkeit wie ein lokales Heiligtum herangezogen, um das zu untermauern. Gerne wird von der ersten Demokratie Festlandeuropas gesprochen, was wohl eine maßlose Übertreibung ist, betrachtet man die feudale und von Hierarchien geprägte Geschichte des Landes bis ins 20. Jahrhundert an. Eine gewisse Eigenheit in der Entwicklung kann man dem Land allerdings nicht absprechen, auch wenn es sich dabei weniger um Partizipation breiter Teile der Bevölkerung als vielmehr die Beschneidung der Macht des Landesfürsten von Seiten der lokalen Eliten handelte.

Den ersten Akt stellte das dar, was der Innsbrucker Historiker Otto Stolz (1881 – 1957) in den 1950ern in Anlehnung an die englische Geschichte überschwänglich als Magna Charta Libertatum feierte. Nach der Hochzeit des Bayern Ludwigs von Wittelsbach mit der Tiroler Landesfürstin Margarete von Tirol-Görz waren die bayrischen Wittelsbacher für kurze Zeit Landesherren von Tirol. Um die Tiroler Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen, beschloss Ludwig den Landständen im 14. Jahrhundert ein Zuckerl anzubieten. Im Großen Freiheitsbrief von 1342 versprach Ludwig den Tirolern keine Gesetze oder Steuererhöhungen zu erlassen, ohne sich nicht vorher mit den Landständen zu besprechen. Von einer demokratischen Verfassung im Verständnis des 21. Jahrhunderts kann allerdings keine Rede sein, waren diese Landstände doch vor allem die adeligen, landbesitzenden Klassen, die dementsprechend auch ihre Interessen vertraten. In einer Ausfertigung der Urkunde war zwar davon die Rede, Bauern als Stand in den Landtag miteinzubeziehen, offiziell wurde diese Version allerdings nie.

Als im 15. Jahrhundert Städte und Bürgertum langsam wichtiger wurden, entwickelte sich ein Gegengewicht zum Adel innerhalb dieser Landstände. Beim Landtag von 1423 unter Friedrich IV. trafen erstmals 18 Mitglieder des Adels auf 18 Mitglieder der Städte und der Bauernschaft. Nach und nach entwickelte sich in den Landtagen des 15. und 16. Jahrhundert eine feste Zusammensetzung. Vertreten waren die Tiroler Bischöfe von Brixen und Trient, die Äbte der Tiroler Klöster, der Adel, Vertreter der Städte und der Bauernschaft. Den Vorsitz hatte der Landeshauptmann. Natürlich waren die Beschlüsse und Wünsche des Landtags für den Fürsten nicht bindend, allerdings war es für den Regenten wohl ein beruhigendes Gefühl, wenn er die Vertreter der Bevölkerung auf seiner Seite wusste oder schwere Entscheidungen mitgetragen wurden. 

Eine weitere wichtige Urkunde für das Land war das Tiroler Landlibell. Maximilian hielt darin im Jahr 1511 unter anderem fest, Tiroler Soldaten nur für den Kriegsdienst zur Verteidigung des eigenen Landes heranzuziehen. Der Grund für Maximilians Großzügigkeit war weniger seine Liebe zu den Tirolern als die Notwendigkeit die Tiroler Bergwerke am Laufen zu halten, anstatt die kostbaren Arbeiter und die sie versorgende Bauernschaft auf den Schlachtfeldern Europas zu verheizen. Dass im Landlibell gleichzeitig massive Einschränkungen der Bevölkerung und höhere Belastungen einhergingen, wird oft gerne vergessen.

Dieses Tiroler Sonderrecht bei der Landesverteidigung war einer der Gründe für die Erhebung von 1809, als junge Tiroler bei der Mobilisierung der Streitkräfte im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht ausgehoben wurden. Bis heute prägen die Napoleonischen Kriege, als das katholische Kronland von den „gottlosen Franzosen“ und der revolutionären Gesellschaftsordnung bedroht wurde, das Tiroler Selbstverständnis. Die Tiroler Schützen vertrauten ihr Schicksal vor einer entscheidenden Schlacht im Kampf gegen Napoleons Armeen im Juni 1796 dem Herzen Jesu an und schlossen einen Bund mit Gott persönlich, der ihr Heiliges Land Tirol behüten sollte. Eine weitere Legende des Jahres 1796 rankt sich um eine junge Frau aus dem Dorf Spinges. Katharina Lanz, die als die Jungfrau von Spinges in die Landesgeschichte als identitätsstiftende Nationalheldin einging, soll die beinahe geschlagenen Tiroler Truppen mit ihrem herrischen Auftreten im Kampf solcherart motiviert haben, dass sie schlussendlich den Sieg über die französische Übermacht davontragen konnten. Je nach Darstellung soll sie mit einer Mistgabel, einem Dreschflegel oder einer Sense ähnlich der französischen Jungfrau Johanna von Orleans den Truppen Napoleons das Fürchten gelehrt haben. Legenden und Tradtitionen rund um die Schützen und das Gefühl, eine selbstständige und von Gott auserwählte Nation zu sein, die zufällig der Republik Österreich angehängt wurde, gehen auf diese Legenden zurück.

Unter Maria Theresia erfuhr der Zentralstaat eine Stärkung gegenüber den Kronländern und dem lokalen Adel. Das Zugehörigkeitsgefühl der Untertanen sollte nicht dem Land Tirol, sondern dem Haus Habsburg gelten. Im 19. Jahrhundert wollte man die Identifikation mit der Monarchie stärken und ein Nationalbewusstsein entwickeln. Die Presse, Besuche der Herrscherfamilie, Denkmäler wie der Rudolfsbrunnen oder die Eröffnung des Berg Isels mit Hofer als kaisertreuem Tiroler sollten dabei helfen, die Bevölkerung in kaisertreue Untertanen zu verwandeln.

Als nach dem Ersten Weltkrieg das Habsburgerreich zusammenbrach, zerbrach auch das Kronland Tirol. Das, was man bis 1918 als Südtirol bezeichnete, der italienischsprachige Landesteil zwischen Riva am Gardasee und Salurn im Etschtal, wurde zum Trentino mit der Hauptstadt Trient. Der deutschsprachige Landesteil zwischen Neumarkt und dem Brenner ist heute Südtirol / Alto Adige, eine autonome Region der Republik Italien mit der Hauptstadt Bozen.

Innsbrucker fühlten sich durch die Jahrhunderte hindurch als Tiroler, Deutsche, Katholiken und Untertanen des Kaisers. Als Österreicher aber fühlte sich vor 1945 kaum jemand. Erst nach dem 2. Weltkrieg begann sich auch in Tirol langsam ein Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich zu entwickeln. Bis heute aber sind viele Tiroler vor allem stolz auf ihre lokale Identität und grenzen sich gerne von den Bewohnern anderer Bundesländer und Staaten ab. Für viele Tiroler stellt der Brenner nach über 100 Jahren noch immer eine Unrechtsgrenze dar, auch wenn man im Europa der Regionen auf EU-Ebene politisch grenzüberschreitend zusammenarbeitet.

Die Legende vom Heiligen Land, der unabhängigen Tirolischen Nation und ersten Festlanddemokratie hält sich bis heute. Dass das historische Kronland Tirol mit Italienern, Ladinern, Zimbern und Rätoromanen ein multiethnisches Konstrukt war, wird dabei in rechtsgerichteten Kreisen gerne übersehen. Gesetze aus der Bundeshauptstadt Wien oder gar der EU in Brüssel werden bis heute skeptisch betrachtet. Nationalisten zu beiden Seiten des Brenners bedienen sich noch heute der Jungfrau von Spinges, dem Herzen Jesu und Andreas Hofers, um ihre Anliegen publikumstauglich anzubringen. Die Säcularfeier des Bundes Tirols mit dem göttlichen Herzen Jesu wurde noch im 20. Jahrhundert unter großer Anteilnahme der politischen Elite gefeiert. Das Bonmot „bisch a Tiroler bisch a Mensch, bisch koana, bisch a Oasch“ fasst den Tiroler Nationalismus knackig zusammen.

Franz Baumann und die Tiroler Moderne

Die Zäsur des Ersten Weltkrieges veränderte Innsbruck nicht nur wirtschaftlich und sozial, sondern verpasste der Stadt auch ein neues Äußeres. Die bildenden Künste erfanden sich nach den Schrecken des Krieges neu. Der Klassizismus der Jahrhundertwende war die Architektur eines Bürgertums, das den Adel nachzuahmen versucht hatte. Diesem Adel wurde nach dem Weltkrieg von vielen Bürgern die Schuld an den Schrecken auf den Schlachtfeldern Europas gegeben. Sport und das Phänomen Freizeit waren noch vor dem Krieg der Ausdruck eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses gegenüber der alten von der Aristokratie bestimmten Ordnung geworden. Bauwerke und Infrastruktur sollten von nun an jedem Bürger gleichermaßen dienen. Aristokratische Tugenden und das Interesse an der klassischen Antike hatten innerhalb kürzester Zeit ihren Glanz verloren.

Die Architekten der Nachkriegszeit wollten sich in der Optik von vorhergehenden Generationen unterscheiden und gleichzeitig den Gebäuden ein Maximum an Funktionalität geben. Das Ende der Monarchie spiegelt sich in der Einfachheit der Architektur wider. Lois Welzenbacher schrieb 1920 in einem Artikel der Zeitschrift Tiroler Hochland über die architektonischen Verirrungen dieser Zeit:

„Soweit wir heute urteilen können, steht wohl fest, daß dem 19. Jahrhundert in seinem Großteile die Kraft fehlte, sich einen eigenen, ausgesprochenen Stil zu schaffen. Es ist das Zeitalter der Stillosigkeit… So wurden Einzelheiten historisch genau wiedergegeben, meist ohne besonderen Sinn und Zweck, und ohne harmonisches Gesamtbild, das aus sachlicher oder künstlerischer Notwendigkeit erwachsen wäre.“

Neue Formen der Gestaltung wie der Bauhausstil aus Weimar, Hochhäuser aus den USA und die Sowjetische Moderne aus der revolutionären UdSSR hielten Einzug in Design, Bauwesen und Handwerk. Die bekanntesten Tiroler Vertreter dieser neuen Art und Weise die Gestaltung des öffentlichen Raumes waren Siegfried Mazagg, Theodor Prachensky, Clemens Holzmeister und Lois Welzenbacher. Jeder dieser Architekten hatte seine Eigenheiten, wodurch die Tiroler Moderne nur schwer eindeutig zu definieren ist. Mit Bauwerken wie dem Elektrizitätswerk Innsbruck in der Salurnerstraße oder dem Adambräu beim Bahnhof entstanden markante Gebäude, nicht nur in ungeahnter Höhe, sondern auch in einem komplett neuen Stil. Bei aller Begeisterung für den Aufbruch in neue Zeiten spielte auch eine Gedankenströmung mit, die für uns Nachgeborene problematisch ist. Der Futurismus von Filippo Tommaso Marinetti übte nicht nur auf den italienischen Faschismus, sondern auch auf viele Vertreter der Kunst und Architektur der Moderne eine große Anziehungskraft aus.

Der bekannteste und im Innsbrucker Stadtbild am eindrücklichsten bis heute sichtbare Vertreter der sogenannten Tiroler Moderne war Franz Baumann (1892 – 1974). Baumann kam 1892 als Sohn eines Postbeamten in Innsbruck zur Welt. Der Theologe, Publizist und Kriegspropagandist Anton Müllner alias Bruder Willram wurde auf das zeichnerische Talent von Franz Baumann aufmerksam und ermöglichte dem jungen Mann mit 14 Jahren den Besuch der Staatsgewerbeschule, der heutigen HTL. Hier lernte er seinen späteren Schwager Theodor Prachensky kennen. Gemeinsam mit Baumanns Schwester Maria waren die beiden jungen Männer auf Ausflügen in der Gegend rund um Innsbruck unterwegs, um Bilder der Bergwelt und Natur zu malen. Während der Schulzeit sammelte er erste Berufserfahrungen als Maurer bei der Baufirma Huter & Söhne, die in Innsbruck für Großprojekte wie das Kloster zur Ewigen Anbetung oder die Kirche St. Nikolaus zuständig waren. 1910 folgte Baumann seinem Freund Prachensky nach Meran, um bei der Firma Musch & Lun zu arbeiten. Meran war damals Tirols wichtigster Tourismusort mit internationalen Kurgästen. Die vorrangigen Stile waren Jugendstil und Historismus. Unter dem Architekten Adalbert Erlebach machte er erste Erfahrungen bei der Planung von Großprojekten wie Hotels und Seilbahnen.

Wie den Großteil seiner Generation riss der Erste Weltkrieg auch Baumann aus Berufsleben und Alltag. An der Italienfront erlitt er im Kampfeinsatz einen Bauchschuss, von dem er sich in einem Lazarett in Prag erholte. In dieser ansonsten tatenlosen Zeit malte er Stadtansichten von Bauwerken in und rund um Prag. Diese Bilder, die ihm später bei der Visualisierung seiner Pläne helfen sollten, wurden in seiner einzigen Ausstellung 1919 präsentiert.

Vom Krieg heimgekehrt arbeitete Baumann bei Grissemann & Walch und vollendete seine Berufsberechtigung. Anders als Holzmeister oder Welzenbacher hatte er keine akademische Ausbildung genossen. In seiner Freizeit nahm er regelmäßig an öffentlichen Ausschreibungen für öffentliche Projekte teil.

Sein großer Durchbruch kam in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Baumann konnte die Ausschreibungen für den Umbau des Weinhaus Happ in der Altstadt und der Nordkettenbahn für sich entscheiden. Neben seiner Kreativität und dem Vermögen ganzheitliche zu denken, kamen ihm die Übereinstimmung seines Ansatzes mit der Gesetzeslage und den Anforderungen der Ausschreibungen der 1920er Jahre entgegen. Laut der Bundesverfassung der Republik Österreich war das Bauwesen Landessache. Seit dem Vorjahr war der Tiroler Heimatschutzverband gemeinsam mit der Bezirkshauptmannschaft als letztentscheidende Behörde bei Bauprojekten für Bewertung und Genehmigung zuständig. Kunibert Zimmeter hatte den Verein bereits 1908 gemeinsam mit Gotthard Graf Trapp gegründet. Zimmeter schrieb in seinem Buch „Unser Tirol. Ein Heimatschutzbuch“:

„Schauen wir auf die Verflachung unseres Privat-Lebens, unserer Vergnügungen, in deren Mittelpunkt bezeichnender Weise das Kino steht, auf die literarischen Eintagsfliegen unserer Zeitungslektüre, auf die heillosen und kostspieligen Auswüchse der Mode auf dem Gebiete der Frauenbekleidung, werfen wir einen Blick in unserer Wohnungen mit den elenden Fabriksmöbeln und all den fürchterlichen Erzeugnissen unserer sogenannten Galanteriewaren-Industrie, Dinge, an deren Herstellung tausende von Menschen arbeiten und dabei wertlosen Krims-Krams schaffen, oder betrachten wir unsere Zinshäuser und Villen mit den Paläste vortäuschenden Zementfassaden, unzähligen überflüssigen Türmen und Giebeln, unsere Hotels mit ihren aufgedonnerten Fassaden, welche Verschleuderung des Volksvermögens, welche Fülle von Geschmacklosigkeit müssen wir da finden.“

Natur und Ortsbilder sollten von allzu modischen Strömungen, überbordendem Tourismus und hässlichen Industriebauten geschützt werden. Bauprojekte sollten sich harmonisch, ansehnlich und zweckdienlich in die Umwelt eingliedern. Architekten mussten trotz der gesellschaftlichen und künstlerischen Neuerungen der Zeit den regionaltypischen Charakter mitdenken.

Nach dem ersten Weltkrieg entstand eine neue Kunden- und Gästeschicht, die neue Anforderungen an Gebäude und somit an das Baugewerbe richtete. In vielen Tiroler Dörfern hatten Hotels die Kirchen als größtes Bauwerk im Ortsbild abgelöst. Bergdörfer wie Igls, Seefeld oder St. Anton wurden vom Tourismus komplett umgestaltet, in Innsbruck entstand mit der Hungerburg ein neuer Stadtteil. Die aristokratische Distanz zur Bergwelt war einer bürgerlichen Sportbegeisterung gewichen. Das bedurfte neuer Lösungen in neuen Höhen. Man baute keine Grandhotels mehr auf 1500 m für den Kururlaub, sondern eine komplette Infrastruktur für Skisportler im hochalpinen Gelände wie der Nordkette. In seiner Zeit in Meran war Baumann schon mit dem Heimatschutzverband in Berührung gekommen. Genau hier lagen die Stärken seines Ansatzes des ganzheitlichen Bauens im Tiroler Sinne. Alle technischen Funktionen und Details, die Einbettung der Gebäude in die Landschaft unter Berücksichtigung der Topografie und des Sonnenlichtes spielten für ihn, der offiziell den Titel Architekt gar nicht führen durfte, eine Rolle. Er folgte damit den „Regeln, für den, der in den Bergen baut“ des Architekten Adolf Loos von 1913:

Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein Hanswurst. Der Bauer kleidet sich nicht malerisch. Aber er ist es…

Achte auf die Formen, in denen der Bauer baut. Denn sie sind Urväterweisheit, geronnene Substanz. Aber suche den Grund der Form auf. Haben die Fortschritte der Technik es möglich gemacht, die Form zu verbessern, so ist immer diese Verbesserung zu verwenden. De Dreschflegel wird von der Dreschmaschine abgelöst.“

Baumann entwarf von der Außenbeleuchtung bis hin zu den Möbeln auch kleinste Details und fügte sie in sein Gesamtkonzept der Tiroler Moderne ein.

Ab 1927 war Baumann selbstständig in seinem Atelier in der Schöpfstraße in Wilten tätig. Immer wieder kam er dabei in Berührung mit seinem Schwager und Mitarbeiter des Bauamtes Theodor Prachensky. Gemeinsam projektierten die beiden ab 1929 das Gebäude für die neue Hauptschule Hötting am Fürstenweg. Buben und Mädchen waren zwar noch immer traditionell baulich getrennt einzuplanen, ansonsten entsprach der Bau aber in Form und Ausstattung ganz dem Stil der Neuen Sachlichkeit unter dem Prinzip Licht, Luft und Sonne. 1935 leitete er das Projekt Hörtnaglsiedlung im Westen der Stadt.

Zur Blütezeit stellte er in seinem Büro 14 Mitarbeiter an. Dank seines modernen Ansatzes, der Funktion, Ästhetik und sparsames Bauen vereinte, überstand er die Wirtschaftskrise gut. Die 1000 Mark Sperre, die Hitler 1934 über Österreich verhängte, um die Republik finanziell in Bredouille zu bringen, leitete seinen langsamen Niedergang seines Architekturbüros ein. Nicht nur die Arbeitslosenquote im Tourismus verdreifachte sich innerhalb kürzester Zeit, auch die Baubranche geriet in Schwierigkeiten.

1935 wurde Baumann als Shootingstar der Tiroler Architekturszene zum Leiter der Zentralvereinigung für Architekten, nachdem er mit einer Ausnahmegenehmigung ausgestattet diesen Berufstitel endlich tragen durfte. Nach dem Anschluss 1938 trat er zügig der NSDAP bei. Einerseits war er wohl den Ideen des Nationalsozialismus nicht abgeneigt, andererseits konnte er so als Obmann der Reichskammer für bildende Künste in Tirol seine Karriere vorantreiben. In dieser Position stellte er sich mehrmals mutig gegen den zerstörerischen Furor, mit dem die Machthaber das Stadtbild Innsbrucks verändern wollten, der seiner Vorstellung von Stadtplanung nicht entsprach. Der Innsbrucker Bürgermeister Egon Denz wollte die Triumphpforte und die Annasäule entfernen, um dem Verkehr in der Maria-Theresienstraße mehr Platz zu geben. Die Innenstadt war noch immer Durchzugsgebiet, um vom Brenner im Süden, um auf die Bundesstraße nach Osten und Westen am heutigen Innrain zu gelangen. Anstelle der Annasäule sollte nach Wusch von Gauleiter Franz Hofer eine Statue Adolf Hitlers als Deutscher Herold errichtet werden. Hofer wollte auch die Kirchtürme der Stiftskirche sprengen lassen. Die Stellungnahme Baumanns zu diesen Plänen fiel negativ aus. Als der Sachverhalt es bis auf den Schreibtisch Albert Speers schaffte, pflichtet dieser ihm bei. Von diesem Zeitpunkt an erhielt Baumann von Gauleiter Hofer keine öffentlichen Projekte mehr zugesprochen.

Nach Befragungen im Rahmen der Entnazifizierung begann Baumann im Stadtbauamt zu arbeiten, wohl auch auf Empfehlung seines Schwagers Prachensky. Baumann wurde zwar voll entlastet, unter anderem durch eine Aussage des Abtes von Wilten, sein Ruf als Architekt war aber nicht mehr zu kitten. Zudem hatte ein Bombentreffer hatte 1944 sein Atelier in der Schöpfstraße zerstört. In seiner Nachkriegskarriere war er für Sanierungen an vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Gebäuden zuständig. So wurde unter ihm der Boznerplatz mit dem Rudolfsbrunnen wiederaufgebaut sowie Burggraben und die neuen Stadtsäle (Anm.: heute Haus der Musik) gestaltet.

Franz Baumann verstarb 1974. Seine Bilder, Skizzen und Zeichnungen sind heiß begehrt und werden hoch gehandelt. Die vielfältigen öffentlichen und privaten Bauten und Projekte des ewig rauchenden Architekten prägen Innsbruck bis heute.