Spitalskirche
Maria-Theresien-Strasse 2
Wissenswert
Im 16. Jahrhundert, als Innsbrucks Neustadt stark wuchs, wurde sowohl das Gotteshaus vor den Stadtmauern wie auch das Stadtspital, das direkt daran angeschlossen war, vergrößert. Die große Glocke, die heute noch erklingt und nach ihrem Gießer Löfflerglocke genannt wird, geht ebenfalls auf die frühe Neuzeit zurück. Die Spitalskirche selbst in ihrem heutigen barocken Aussehen entstand zwischen 1700 und 1705 nach den Plänen von Johann Martin Gumpp, nachdem der ursprünglich Bau dem großen Erdbeben von 1689 zum Opfer gefallen war. Große Teile des Innenlebens aus dieser Zeit sind bis heute erhalten geblieben. Die Deckengemälde wurden bei Luftangriffen im 2. Weltkrieg zerstört. Die nach dem Krieg neu gestalteten Fresken im expressionistischen Stil von Hans Andre sind sehenswerte. Das Eckhaus Maria-Theresienstraße / Marktplatz, das 1888 anstatt des Spitals errichtet wurde, ist heute ein Wohnhaus mit Geschäften im Erdgeschoss.
Die Historie der Spitalskirche und des Stadtspitals ist eng mit der Entwicklung der Kranken-, Alters und Armenversorgung der Stadt Innsbruck verbunden. Über dieses Kapitel der Innsbrucker Geschichte lässt sich gut nachempfinden, wie sich die Obsorge für Untertanen und Bürger weg von der Kirche in Richtung des modernen Sozialstaats verlagerte. Als Menschen des 21. Jahrhunderts erwarten wir von einem Spitalaufenthalt, das Krankenhaus wieder gesund zu verlassen. Bis ins 18. Jahrhundert waren Spitäler, so auch in Innsbruck, eher die Endstation vor dem Jenseits unter christlicher Obhut und Pflege. Das Spital wurde von einer karitativen Bruderschaft von Innsbrucker Bürgern gegründet und durch Spenden der Kirche und wohlhabender Innsbrucker betrieben.
Die Spitalskapelle wurde erstmals im Jahr 1307 in einer Urkunde Herzog Heinrichs von Kärnten und Tirol erwähnt. Seine Zeit war geprägt von einer zunehmenden Verstädterung. Städte genossen ob ihrer wirtschaftlichen Bedeutung Privilegien. Das Bürgerspital sollte sich um das Wohl der wichtigen Schlüsselarbeitskräfte kümmern. Das Hospiz wurde außerhalb der Innsbrucker Stadtmauern angelegt, um die Verbreitung von Krankheiten innerhalb der engen Gassen so gut als möglich zu vermeiden. Die Aufgabe des Hospizes war es nicht nur Kranke zu pflegen, sondern auch sich um Mittellose zu kümmern. Die eigene Familie war noch immer die erste und wichtigste Instanz in Notfällen. Handwerker organisierten einen Teil der Sozialfürsorge für arbeitsunfähige Mitglieder oder deren Witwen und Waisen ebenfalls selbst. Menschen ohne Familie, Knechte, Dienstboten und Kinderlose, wurden aber, anders als oft dargestellt, nicht im Stich gelassen. Mittellose Frauen konnten in Spitälern niederkommen. Ältere und notleidende Bürger wurden mit Kleidung, Nahrung und Pflege versorgt. Auch Waisen und uneheliche Kinder wurden aufgenommen.
Durch diese Einrichtungen unterschied sich die Stadt von den Dörfern, wo die Kranken- und Altersversorgung wesentlich schlechter war und Knechte oft bis an ihr Lebensende arbeiten mussten. Wohlhabendere Mitglieder der Bruderschaft hatten als zahlende Mitglieder dabei die Aussicht auf bessere Pflege und Versorgung als Nichtmitglieder. Im Spital wurden auch Almosen an die Ärmsten verteilt. Man kann durchaus von einer frühen Form der sozialen Fürsorge auf kommunaler Ebene, einer nichtstaatlichen Wohlfahrt, sprechen.
Bis ins 19. Jahrhundert, in vielen Bereichen bis nach dem Ersten Weltkrieg, war nicht der Zentralstaat, sondern die Gemeinde oder Gönner für die Fürsorge von Armen, Kranken, Waisen, Alten und Arbeitsunfähigen zuständig. Kaiser Maximilian I. zum Beispiel ließ am heutigen Domplatz ein Spital für alte und kranke Mitglieder seines Hofpersonals planen, das nach ihm als „Kaiserspital“ benannt wurde. Die Kirche war häufig mitverantwortlich und Organisator dieser Sozialarbeit.
Hinter der Spitalskirche befand sich seit 1509 der Friedhof. Schon damals war es üblich, die Toten etwas abseits des Geschehens zu gestatten. Das Recht, Beerdigungen abzuhalten, war lange ein Privileg des Stifts Wilten, an dem Innsbruck im kirchenrechtlichen Sinn hing. Erst im späten Mittelalter erhielt Innsbruck das Recht Beerdigungen durchzuführen vom Stift Wilten, das für kirchliche Angelegenheiten in Innsbruck zuständig war. Bei der heutigen Spitalskirche befand sich bis 1888 auch das Stadtspital Innsbrucks, bevor es an seinen heutigen Platz am Westende der Anichstraße übersiedelte, wo es sich zu beeindruckender Größe entwickelte. Beda Weber beschrieb die Pflegeanstalt in seinem Handbuch für Reisende in Tirol als Teil seines Innsbruck Reiseführers:
„An die Kirche schließt sich das Spital an, dessen vorzüglicher Wohlthäter König Heinrich von Böhmen ist, welcher im Jahre 1307 ansehnliche Gefälle dazu anwies. Die Zahl der darin verpflegten Kranken, Irren und Pfründner übestehgt wenigsten die Zahl von 100… Neben dem Spitale besteht auch ein sogenanntes Bruderhaus für 36 arme Weiber und Dienstmägde, welche darin freie Wohnung, Wäsche, Holz und täglich 6 Kreuzer genießen. Aus dem Krankenhause tritt man auf den Gottesacker von Gärten und Feldern umfangen und von Arkaden eingefaßt.“
Bis zu den Entdeckungen in Mikrobiologie und Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Robert Koch (1843 – 1910) oder Louis Pasteur (1922 – 1895) war Hygiene in der Krankenpflege ein unterschätzter Faktor. Die Zustände im alten Spital wurden so beschrieben:
„Für die gesamten Spitalsgebäude stand nur ein Brunnen im Hof, von dem das Wasser in alle Räume getragen werden musste, zur Verfügung. Eine Kanalisation fehlte; es gab einzig Abortgruben. Die Küche lag ebenerdig und gleich dahinter befand sich das Leichenzimmer, in dem auch die Aufbahrungen vorgenommen wurden. Der Keller diente zugleich als Trocken- und Desinfektionsraum. Die Schwestern mussten einen Backofen so lange heizen, bis alle Läuse tot waren. Der Garten war für die männlichen und weiblichen Patienten abgeteilt. In einem Stöcklgebäude waren die Irren untergebracht; zwei Zimmer standen für die ruhigen Patienten zur Verfügung, dann drei Tobzellen und eine Teeküche…. Typhuskranke wurden überhaupt nicht abgesondert. Wenn Deliranten ihre Betten verlassen wollten, dann wurde einfach ein festes Gitter um das Bett aufgestellt.“
Bereits vor dem Umzug war das Stadtspital ein Lehrkrankenhaus und eng mit der Universität verbunden. Die Lehrtätigkeit war einer der Hauptgründe für die Übersiedlung und Ausbau, das rapide Bevölkerungswachstum der andere. Nach der Wiedereröffnung der Universität 1826 waren es nur etwas mehr als 20 Studenten, die Ausmaße des heutigen Studiums- und Klinikbetriebes wäre damals unvorstellbar gewesen. Innsbrucks Klinik ist heute bis weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, geachtet und geschätzt. Die Universitätsklinik ist heute beinahe ein eigener Stadtteil und zählt zu den größten Arbeitgebern der Stadt.
Von Maultasch, Habsburgern und dem Schwarzen Tod
Zwischen dem letzten Grafen von Andechs und dem ersten Tiroler Landesfürsten aus dem Haus Habsburg lagen 115 bewegte Jahre der Innsbrucker Stadtgeschichte. Nach dem letzten Andechser lenkten die Grafen von Tirol für etwa 100 Jahre die Geschicke des Landes und somit zu einem guten Teil auch der Stadt Innsbruck.
Meinhard II. von Tirol (1239 – 1295) konnte mit geschickter Politik und etwas Glück sein Territorium vergrößern. Er schaffte es den Flickenteppich am Gebiet des heutigen Tirols von seiner Stammburg in Meran aus zu einem einheitlicheren Ganzen zu einen. Meinhard stützte sich auf eine moderne Verwaltung. Dabei zu Rate waren ihm florentinische Kaufleute und Bänker, damals die modernsten Business Consultants Europas. Um eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen, ließ er ein kodifiziertes Landrecht erarbeiten. Erstmals wurden auf Tiroler Raum einheitlich alle Besitzungen in einem Urbar gesammelt. Meinhard brach die bischöfliche Münzhoheit und ließ Münzen mit dem Tiroler Adler als Wappen nach italienischem Vorbild prägen. Das beschnitt die faktische Macht der Kirche. Die Bischöfe von Brixen und Trient waren zwar noch Landbesitzer und Grundherren, ihre Lehen waren aber nur noch formal vorhanden. 1254 war erstmals nicht mehr vom Land im Gebirge, sondern von der offiziellen Dominium Tirolis, der Herrschaft Tirol, die Rede. Seine letzte Ruhestätte fand er im Stift Stams, wo heute Tirols Wintersportelite ausgebildet wird.
Sein Sohn und Nachfolger als Tiroler Landesfürst, Herzog Heinrich von Kärnten (1265 – 1335), zählte als König von Böhmen zu den wichtigsten Adeligen im Heiligen Römischen Reich. Heinrich war dank seiner Besitzungen in Südosteuropa einer der mächtigsten Fürsten. Er war ein eifriger Förderer der Städte, deren Bedeutung er erkannte. In Innsbruck förderte er den Bau des Bürgerspitals in der Neustadt. Ein männlicher Nachfolger allerdings war ihm nicht beschieden gewesen. Noch vor seinem Tod hatte Heinrich aber sichergestellt, dass seine Tochter Margarethe seine Nachfolge antreten konnte.
Seine Tochter Margarethe von Tirol-Görz (1318 – 1369) folgte ihm mit 17 Jahren als Landesfürstin nach. Die junge Frau geriet so in den Strudel der mächtigsten Geschlechter ihrer Zeit: Habsburg, Wittelsbach und Luxemburg. Mit zweien davon ging sie eine eheliche Verbindung ein, der dritten sollte sie am Ende ihrer Regentschaft das Land Tirol und damit auch die Stadt Innsbruck vererben.
Nach dem Tod ihres Vaters wurde sie mit Johann Heinrich aus dem Hause Luxemburg, dem Sohn des neuen Königs von Böhmen verheiratet. Johann Heinrich war noch jünger als seine Gattin und diente lediglich als Fuß in der Tür seines Vaters am Tiroler Fürstenthron. Den Habsburgern und Wittelsbachern war er ein Dorn im Auge, ebenso dem lokalen Adel. Seine Regentschaft war ein Desaster. In den an florentinischen Finanziers verpachteten Haller Salinen, neben den Zöllen das Herzstück der Tiroler Wirtschaft, kam es zu Streiks. Trotz der finanziellen Probleme soll die Hofhaltung des als infantil geltenden Johann Heinrichs verschwenderisch gewesen sein.
Kurzerhand wurde er von den Tiroler Ständen 1341 mit der Unterstützung des Kaisers Ludwig, einem Wittelsbacher, in einem gemeinsam mit Margarethe geplanten Putsch aus dem Land vertrieben. Die als schön, aber aufbrausend, herrschsüchtig und sexuell unersättlich beschriebene Margarethe soll von der horizontalen Performance ihres kindlich-schwächlichen Gatten wenig angetan gewesen sein. Er soll seiner Gattin während eines missglückten Beischlafes in die Brustwarzen gebissen haben. Ein dem Kaiser wohlgesonnener Chronist der Zeit sprach von Johann Heinrichs „inpotencia coeundi“, hervorgerufen wohl durch seine jugendliche Unreife.
Geschickt wurden diese Neuigkeiten im Reich gestreut, um dem Kaiser die Möglichkeit zu geben seinen Sohn Ludwig von Brandenburg als Ehemann Margarethes und somit als Fürst des wichtigen Transitlandes Tirol einsetzen. Der als Tiroler Eheskandal in die Geschichte eingegangen Putsch zog weite Krise. Sogar der bis heute bekannte Philosoph und Papstkritiker William von Ockham nahm dazu Stellung. Das Problem war nicht nur die Scheidung an und für sich, sondern dass Margarethe zum Zeitpunkt ihrer zweiten Hochzeit von ihrem ersten Ehemann nicht geschieden war. Dem Kaiser und seiner Anhängerschaft galt die Ehe zwischen dem als impotent geltenden Johann Heinrich und Margarethe als nicht vollzogen und somit nichtig.
Die vierte bedeutende politische Macht Mitteleuropas dieser Zeit, der Papst, sah das anders. Papst Benedikt XII. belegte den Kaiser und dessen Sohn wegen der „unheiligen“ Ehe zwischen der Tiroler Landesfürstin Margarethe und dem Wittelsbacher Ludwig mit einem Bannfluch. Neben den moralischen Bedenken hatte der Papst auch politische Gründe dafür. Sowohl er als auch die Habsburger standen in kriegerischem Konflikt mit dem Wittelsbacher Kaiser und wollten so den Einfluss dieser Dynastie schwächen.
Dieses Interdiktum war für die Menschen im Mittelalter eine der härtesten Strafen. Es verbot in den Kirchen des Landes das Abhalten von Messen und die Erteilung der Kommunion. Es war wohl in dieser Zeit, dass Margarethe vom Volk den Spitznamen Maultasch verpasst bekam und als besonders hässlich beschrieben wurde. Zeitgenössische Portraits, die auf einen deformierten Mund hinweisen würden, sind nicht vorhanden. Die Bilder, die wir heute von Margarethe Maultasch haben, stammen frühestens aus dem späten 15. Jahrhundert, als der mittelalterliche Eheskandal erstmals historisch nachbearbeitet wurde.
Die Regierungszeit Margarethes war von Krisen gekennzeichnet, für die sie zwar nichts konnte, die ihr aber trotzdem angelastet wurden. Das 14. Jahrhundert brachte eine Klimaerwärmung, die eine Heuschreckenplage zur Folge hatte. Auch in Tirol kam es infolgedessen zu Missernten und Hungersnöten. Damit nicht genug. Von 1348 bis 1350 suchte die Pest Europa heim. Von Venedig aus über Trient und das Etschtal kam die Krankheit nach Innsbruck. Der Schwarze Tod dezimierte die Bevölkerung dramatisch. In manchen Teilen Tirols verringerte sich die Einwohnerzahl um mehr als die Hälfte. Nicht nur die Anzahl der Toten, auch die grauenhafte Art und Weise wie die Opfer unter großen Schmerzen und körperlicher Deformation starben, hinterließ einen Eindruck bei der frommen Bevölkerung. Viele Informationen zum Ausbruch der Pest in Innsbruck sind in den Archiven dazu nicht zu finden, die Folgen der Seuche waren aber wie in ganz Europa verheerend. Eine an der Pest erkrankte Innsbruckerin sprach in ihrem Testament vom „gemeinen Sterben, das im Land umgeht“.
Die Menschen konnten sich Phänomene wie Missernten und Pest nicht erklären. Viele sahen die Verödung des von Kriegen, Seuche und Klima geplagten Landes als Folge des päpstlichen Bannfluches und Strafe Gottes an und machten Margarethe und ihren Ehemann Ludwig dafür verantwortlich. Die Gründe für Krankheit und Elend waren tatsächlich wohl außerhalb päpstlicher Bannflüche und Propaganda zu finden. Innsbruck besaß wie viele Städte weder gepflasterte Straßen noch gab es ein Abwassersystem oder Trinkwasserversorgung. Tiere und Menschen teilten sich den engen Platz innerhalb der Stadtmauern. Die Lebensbedingungen waren unhygienisch.
1350 wurde zum ersten Mal das Untere Stadtbad in der heutigen Badgasse erwähnt. Bäder dienten nicht nur zur Reinigung, hier erfolgte die medizinische Versorgung nach damaligen Standards beim Bader. Bader waren fahrende oder ortsansässige Heilkundige, die Kranke behandelten, Wunden nähten oder Zähne zogen. Übernatürliches galt als real, auch in der medizinischen Versorgung. Der wissenschaftliche Ansatz der wenigen Ärzte dieser Zeit war dem der praxisorientierten Bader nicht unbedingt überlegen. Die gängige Lehrmeinung bis in die Neuzeit an Universitäten war die Vier-Säfte-Lehre. Im Körper gab es laut dieser These ein Gleichgewicht von Blut, Schleim, schwarzer Galle und gelber Galle. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führt zu Krankheit. Das Gleichgewicht wurde durch gotteslästerliche Lebensführung, falsche Ernährung, übertriebene sexuelle Aktivität oder Miasmen in der Luft gestört. Auch Wasser stand im Verruf, über die Haut einzudringen und das Säfteverhältnis im menschlichen Körper durcheinanderzubringen, weshalb man nach dem Baden zur Ader gelassen werden sollte.
Nachdem Wittelsbacher, Luxemburger und Habsburger jahrzehntelang um Tirol gestritten hatten, kam es doch noch zum Happy End. Rudolf IV. aus dem Haus Habsburg intervenierte beim Papst und konnte 1359 die Aufhebung des Interdiktums gegen erhebliche finanzielle Gegenleistungen zu Lasten Margarethes und Ludwigs ausverhandeln. Im selben Zug soll auch eine Urkunde erstellt worden sein, die heute als Fälschung gilt: in diesem Schriftstück vermachte Margarethe das Land Tirol an Rudolf IV. und die Familie Habsburg.
Bald darauf trat dieser Erbfall ein. Ein Jahr nachdem Margarethes Gatte und Landesfürst Tirols Ludwig 1361 gestorben war, verschied auch ihr Sohn Meinhard III. Glaubt man der Geschichte Filippo Villanis, die allerdings erst um 1400 herum geschrieben wurde, soll die schon zu Lebzeiten als Kriemhild verschriene Margarethe gemeinsam mit einem Liebhaber an beiden Todesfällen nicht unschuldig gewesen sein. Margarethe übergab als Mutter des letzten Landesfürsten der Dynastie Tirol die Regierungsgeschäfte 1363 mit der Zustimmung des Tiroler Adels an Rudolf IV. (1339 – 1365) von Habsburg. Tirol war ein Teil des Herrscherhauses, das auch über das Erzherzogtum Österreich verfügte.
Die Herzöge von Bayern aus dem Haus Wittelsbach wollten diesen Erbvertrag nicht anerkennen, der ihre Ansprüche auf Tirol für nichtig erklärte. 1363 zogen sie Richtung Innsbruck, um das Recht mit Waffengewalt zu zurechtzubiegen. Rudolf IV. hatte allerdings wichtige lokale Adelige auf seine Seite gezogen. Die Urkunde, die das Tiroler Erbe bestätigten, waren vielleicht nicht echt, die realpolitischen Machtverhältnisse sprachen aber für die Habsburger. Die zum Wehrdienst verpflichteten Bürger Innsbrucks konnten die durch die Andechsburg und die Stadtmauer befestigte Stadt erfolgreich verteidigen. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass es der Wittelsbacher Ludwig war, der als Landesfürst Tirols die Stadtmauern hatte erhöhen und verstärken lassen.
Mit dem Erwerb Tirols konnte die Familie Habsburg eine wichtige geographische Lücke innerhalb ihres Machtbereichs schließen. Durch die Eingliederung der Stadt in das wesentlich größere Territorium der Habsburger gewann Innsbruck zusätzlich an Bedeutung, während die eigentliche Hauptstadt Meran weiter an den Rand gedrängt wurde. Neben dem Nord-Süd Transport von Waren, war die Stadt am Inn nun auch zu West-Ost Verkehrsknoten zwischen den östlichen Österreichischen Ländern und den alten Besitztümern der Habsburger im Westen geworden.
Für die Überlebenden der großen Pestwelle von 1348 kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in ganz Europa. Arbeitskraft war durch die geschrumpfte Bevölkerung rar geworden, dafür waren pro Kopf größere Ressourcen vorhanden. Für diejenigen Innsbrucker, die die turbulente erste Hälfte des 14. Jahrhunderts überlebt hatten, sollten bessere Zeiten anbrechen.
An Margarethe Maultasch und ihre Ehemänner erinnert in Innsbrucks Stadtbild kaum etwas, war ihre Zeit doch von politischen und wirtschaftlichen Nöten geprägt. Die kriegerischen Auseinandersetzungen und die Pest brachten die Zolleinlagen fast zum Erliegen. Für großartige Bauwerke war kein Geld vorhanden. Innsbruck war auch noch nicht Residenzstadt.
Lebendig ist sie aber in Erinnerungen und Legenden. Margarethe „Maultasch“ zählt zu den bekanntesten weiblichen Figuren der Tiroler Geschichte. Widersprüchliche, von verschiedenen Interessen motivierte Berichte, die über sie bereits zu Lebzeiten verfasst wurden, geben Spielraum für Interpretation. Ihr Biographie taugt als Blaupause einer Figur der TV-Serie Games of Thrones. So soll sie bei der Verteidigung der Burg Tirol gegen ein heranrückendes veneto-lombardisches Heer mit „ungebrochenem Mut und männlicher Entschlossenheit“ und „mit einem geringen Häuflein von Kriegsknechen“ die Verteidigung geleitet und sogar einen Ausbruchsversuch aus der Stadt angeführt haben. Ihren Gegnern hingegen galt sie als mannstoller, unersättlicher und unmoralischer Vamp. Ob sie skrupellose Mörderin oder unschuldiger Spielball fremder Mächte war – wissen werden wir das wohl nie.
Margarethe und ihr Nachfolger auf dem Thron des Landesfürsten Rudolf IV. von Habsburg sind am Brunnen am Rudolfsbrunnen am Boznerplatz, dem ehemaligen Margarethenplatz, in Stein verewigt.
Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft
Die Fülle an Kirchen, Kapellen, Kruzifixen und Wandmalereien im öffentlichen Raum wirkt auf viele Besucher Innsbrucks aus anderen Ländern eigenartig. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Der christliche Glaube und seine Institutionen waren in ganz Europa über Jahrhunderte alltagsbestimmend. Innsbruck als Residenzstadt der streng katholischen Habsburger und Hauptstadt des selbsternannten Heiligen Landes Tirol wurde bei der Ausstattung mit kirchlichen Bauwerkern besonders beglückt. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Die Stadt mit ihren knapp 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider.
Die Kirche war für viele Innsbrucker nicht nur moralische Instanz, sondern auch weltlicher Grundherr. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Damit hatte sie die Steuer- und Rechtshoheit über viele Menschen. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Einfluss der Kirche reichte in die materielle Welt ähnlich wie es heute der Staat mit Finanzamt, Polizei, Schulwesen und Arbeitsamt tut. Was uns heute Demokratie, Parlament und Marktwirtschaft sind, waren den Menschen vergangener Jahrhunderte Bibel und Pfarrer: Eine Realität, die die Ordnung aufrecht hält. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise.
Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Verletzungen der Religion und Sitten wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt und streng geahndet. Die Anklage bei Verfehlungen lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden. Das Verbrennen sollte die Verurteilten gleichzeitig reinigen und sie samt ihrem sündigen Treiben endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen.
Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Kirchenglocken bestimmten den Zeitplan der Menschen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene.
Während das Innsbrucker Bürgertum von den Ideen der Aufklärung nach den Napoleonischen Kriegen zumindest sanft wachgeküsst worden war, blieb der Großteil der Menschen in den Umlandgemeinden weiterhin der Mischung aus konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden.
Glaube und Kirche haben noch immer ihren fixen Platz im Alltag der Innsbrucker, wenn auch oft unbemerkt. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt und Freizeitevents werden besser besucht als Sonntagsmessen. Die römisch-katholische Kirche besitzt aber noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen ebenfalls unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um als Tradition getarnt im Namen Jesu zu handeln.
Barock: Kunstrichtung und Lebenskunst
Wer in Österreich unterwegs ist, kennt die Kuppen und Zwiebeltürme der Kirchen in Dörfern und Städten. Diese Form der Kirchtürme entstand in der Zeit der Gegenreformation und ist ein typisches Kennzeichen des Architekturstils Barock. Auch in Innsbrucks Stadtbild sind sie vorherrschend. Die bekanntesten Gotteshäuser Innsbrucks wie der Dom, die Johanneskirche oder die Jesuitenkirche, sind im Stile des Barocks gehalten. Prachtvoll und prunkvoll sollten Gotteshäuser sein, ein Symbol des Sieges des rechten Glaubens. Die Religiosität spiegelte sich in Kunst und Kultur wider: Großes Drama, Pathos, Leiden, Glanz und Herrlichkeit vereinten sich zum Barock, der den gesamten katholisch orientierten Einflussbereich der Habsburger und ihrer Verbündeten zwischen Spanien und Ungarn nachhaltig prägte.
Das Stadtbild Innsbrucks veränderte sich enorm. Die Gumpps und Johann Georg Fischer als Baumeister sowie die Bilder Franz Altmutters prägen Innsbruck bis heute nachhaltig. Das Alte Landhaus in der Altstadt, das Neue Landhaus in der Maria-Theresien-Straße, die unzähligen Palazzi, Bilder, Figuren – der Barock war im 17. und 18. Jahrhundert das stilbildende Element des Hauses Habsburg und brannte sich in den Alltag ein. Das Bürgertum wollte den Adeligen und Fürsten nicht nachstehen und ließen ihre Privathäuser im Stile des Barocks errichten. Auf Bauernhäusern prangen Heiligenbilder, Darstellungen der Mutter Gottes und des Herzen Jesu.
Barock war nicht nur eine architektonische Stilrichtung, es war ein Lebensgefühl, das seinen Ausgang nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nahm. Die Türkengefahr aus dem Osten, die in der zweimaligen Belagerung Wiens gipfelte, bestimmte die Außenpolitik des Reiches, während die Reformation die Innenpolitik dominierte. Die Barockkultur war ein zentrales Element des Katholizismus und der politischen Darstellung derselben in der Öffentlichkeit, das Gegenmodell zum spröden und strengen Lebensentwurf Calvins und Luthers. Feiertage mit christlichem Hintergrund wurden eingeführt, um den Alltag der Menschen aufzuhellen. Architektur, Musik und Malerei waren reich, füllig und üppig. In Theaterhäusern wie dem Comedihaus in Innsbruck wurden Dramen mit religiösem Hintergrund aufgeführt. Kreuzwege mit Kapellen und Darstellungen des gekreuzigten Jesus durchzogen die Landschaft. Die Volksfrömmigkeit in Form der Wallfahrten, Marien- und Heiligenverehrung hielt Einzug in den Kirchenalltag.
Die Barockfrömmigkeit wurde auch zur Erziehung der Untertanen eingesetzt. Auch wenn der Ablasshandel in der Zeit nach dem 16. Jahrhundert keine gängige Praxis mehr in der katholischen Kirche war, so gab es doch noch eine rege Vorstellung von Himmel und Hölle. Durch ein tugendhaftes Leben, sprich ein Leben im Einklang mit katholischen Werten und gutem Verhalten als Untertan gegenüber der göttlichen Ordnung, konnte man dem Paradies einen großen Schritt näherkommen. Die sogenannte Christliche Erbauungsliteratur war nach der Schulreformation des 18. Jahrhunderts in der Bevölkerung beliebt und zeigte vor, wie das Leben zu führen war. Das Leiden des Gekreuzigten für die Menschheit galt als Symbol für die Mühsal der Untertanen auf Erden innerhalb des Feudalsystems. Mit Votivbildern baten Menschen um Beistand in schweren Zeiten oder bedankten sich vor allem bei der Mutter Gottes für überstandene Gefahren und Krankheiten. Tolle Beispiele dafür finden sich an der östlichen Fassade der Basilika in Wilten.
Der Historiker Ernst Hanisch beschrieb den Barock und den Einfluss, den er auf die österreichische Lebensart hatte, so:
„Österreich entstand in seiner modernen Form als Kreuzzugsimperialismus gegen die Türken und im Inneren gegen die Reformatoren. Das brachte Bürokratie und Militär, im Äußeren aber Multiethnien. Staat und Kirche probierten den intimen Lebensbereich der Bürger zu kontrollieren. Jeder musste sich durch den Beichtstuhl reformieren, die Sexualität wurde eingeschränkt, die normengerechte Sexualität wurden erzwungen. Menschen wurden systematisch zum Heucheln angeleitet.“
Die Rituale und das untertänige Verhalten gegenüber der Obrigkeit hinterließen ihre Spuren in der Alltagskultur, die katholische Länder wie Österreich und Italien bis heute von protestantisch geprägten Regionen wie Deutschland, England oder Skandinavien unterscheiden. Die Leidenschaft für akademische Titel der Österreicher hat ihren Ursprung in den barocken Hierarchien. Der Ausdruck Barockfürst bezeichnet einen besonders patriarchal-gönnerhaften Politiker, der mit großen Gesten sein Publikum zu becircen weiß. Während man in Deutschland politische Sachlichkeit schätzt, ist der Stil von österreichischen Politikern theatralisch, ganz nach dem österreichischen Bonmot des „Schaumamal“.
Die Baumeister Gumpp und die Barockisierung Innsbrucks
Die Werke der Familie Gumpp bestimmen bis heute sehr stark das Aussehen Innsbrucks. Vor allem die barocken Teile der Stadt sind auf die Hofbaumeister zurückzuführen. Der Begründer der Dynastie in Tirol, Christoph Gumpp (1600-1672) war eigentlich Tischler. Sein Talent allerdings hatte ihn für höhere Weihen auserkoren. Den Beruf des Architekten gab es zu dieser Zeit noch nicht. Michelangelo und Leonardo Da Vinci galten in ihrer Zeit als Handwerker, nicht als Künstler. Der Ruhm ihrer Kunstwerke allerdings hatte den Wert italienischer Baumeister innerhalb der Aristokratie immens nach oben getrieben. Wer auf sich hielt, beschäftigte jemand aus dem Süden am Hof. Christoph Gumpp, obwohl aus dem Schwabenland nach Innsbruck gekommen, trat nach seiner Mitarbeit an der Dreifaltigkeitskirche in die Fußstapfen der von Ferdinand II. hochgeschätzten Renaissance-Architekten aus Italien. Auf Geheiß Ferdinands Nachfolger Leopold V. reiste Gumpp nach Italien, um dort Theaterbauten zu studieren- Er sollte bei den kulturell den Ton angebenden Nachbarn südlich des Brenners sein Wissen für das geplante landesfürstliche Comedihaus aufzupolieren. Gumpps offizielle Tätigkeit als Hofbaumeister begann 1633 und er sollte diesen Titel an die nächsten beiden Generationen weitervererben. Über die folgenden Jahrzehnte sollte Innsbruck einer kompletten Renovierung unterzogen werden. Neue Zeiten bedurften eines neuen Designs, abseits des düsteren, von der Gotik geprägten Mittelalters. Die Gumpps traten nicht nur als Baumeister in Erscheinung. Sie waren Tischler, Maler, Kupferstecher und Architekten, was ihnen erlaubte, ähnlich der Bewegung der Tiroler Moderne rund um Franz Baumann und Clemens Holzmeister Anfang des 20. Jahrhunderts, Projekte ganzheitlich umzusetzen. Johann Martin Gumpp der Ältere, Georg Anton Gumpp und Johann Martin Gumpp der Jüngere waren für viele der bis heute prägendsten Gebäude im Stadtbild zuständig. So stammen die Wiltener Stiftskirche, die Mariahilfkirche, die Johanneskirche und die Spitalskirche von den Gumpps. Neben dem Entwurf von Kirchen und ihrer Arbeit als Hofbaumeister machten sie sich auch als Planer von Profanbauten einen Namen. Viele der Bürgerhäuser und Stadtpaläste Innsbrucks wie das Taxispalais oder das Alte Landhaus in der Maria-Theresien-Straße wurden von Ihnen entworfen. Das Meisterstück aber war das Comedihaus, das Christoph Gumpp für Leopold V. und Claudia de Medici im ehemaligen Ballhaus plante. Die überdimensionierten Maße des damals richtungsweisenden Theaters, das in Europa zu den ersten seiner Art überhaupt gehörte, erlaubte nicht nur die Aufführung von Theaterstücken, sondern auch Wasserspiele mit echten Schiffen und aufwändige Pferdeballettaufführungen. Das Comedihaus war ein Gesamtkunstwerk an und für sich, das in seiner damaligen Bedeutung wohl mit dem Festspielhaus in Bayreuth des 19. Jahrhunderts oder der Elbphilharmonie heute verglichen werden muss. Das ehemalige Wohnhaus der Familie Gumpp kann heute noch begutachtet werden, es beherbergt heute die Konditorei Munding. Im Stadtteil Pradl erinnert die Gumppstraße an die Baumeisterdynastie.
Luftangriffe auf Innsbruck
Wie der Lauf Lauf der Geschichte der Stadt unterliegt auch ihr Aussehen einem ständigen Wandel. Besonders gut sichtbare Veränderungen im Stadtbild erzeugten die Jahre rund um 1500 und zwischen 1850 bis 1900, als sich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in besonders schnellem Tempo abspielten. Das einschneidendste Ereignis mit den größten Auswirkungen auf das Stadtbild waren aber wohl die Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg.
Neben der Lebensmittelknappheit waren die Menschen an der von den Nationalsozialisten so genannten „Heimatfront“ in der Stadt vor allem von den Luftangriffen der Alliierten betroffen. Innsbruck war ein wichtiger Versorgungsbahnhof für den Nachschub an der Italienfront.
In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1943 erfolgte der erste alliierte Luftangriff auf die schlecht vorbereitete Stadt. 269 Menschen fielen den Bomben zum Opfer, 500 wurden verletzt und mehr als 1500 obdachlos. Über 300 Gebäude, vor allem in Wilten und der Innenstadt, wurden zerstört und beschädigt. Am Montag, den 18. Dezember fanden sich in den Innsbrucker Nachrichten, dem Vorgänger der Tiroler Tageszeitung, auf der Titelseite allerhand propagandistische Meldungen vom erfolgreichen und heroischen Abwehrkampf der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten gegenüber dem Bündnis aus Anglo-Amerikanern und dem Russen, nicht aber vom Bombenangriff auf Innsbruck.
Bombenterror über Innsbruck
Innsbruck, 17. Dez. Der 16. Dezember wird in der Geschichte Innsbrucks als der Tag vermerkt bleiben, an dem der Luftterror der Anglo-Amerikaner die Gauhauptstadt mit der ganzen Schwere dieser gemeinen und brutalen Kampfweise, die man nicht mehr Kriegführung nennen kann, getroffen hat. In mehreren Wellen flogen feindliche Kampfverbände die Stadt an und richteten ihre Angriffe mit zahlreichen Spreng- und Brandbomben gegen die Wohngebiete. Schwerste Schäden an Wohngebäuden, an Krankenhäusern und anderen Gemeinschaftseinrichtungen waren das traurige, alle bisherigen Schäden übersteigende Ergebnis dieses verbrecherischen Überfalles, der über zahlreiche Familien unserer Stadt schwerste Leiden und empfindliche Belastung der Lebensführung, das bittere Los der Vernichtung liebgewordenen Besitzes, der Zerstörung von Heim und Herd und der Heimatlosigkeit gebracht hat. Grenzenloser Haß und das glühende Verlangen diese unmenschliche Untat mit schonungsloser Schärfe zu vergelten, sind die einzige Empfindung, die außer der Auseinandersetzung mit den eigenen und den Gemeinschaftssorgen alle Gemüter bewegt. Wir alle blicken voll Vertrauen auf unsere Soldaten und erwarten mit Zuversicht den Tag, an dem der Führer den Befehl geben wird, ihre geballte Kraft mit neuen Waffen gegen den Feind im Westen einzusetzen, der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit. Die Luftschutzeinrichtungen der Stadt haben sich ebenso bewährt, wie die Luftschutzdisziplin der Bevölkerung. Bis zur Stunde sind 26 Gefallene gemeldet, deren Zahl sich aller Voraussicht nach nicht wesentlich erhöhen dürfte. Die Hilfsmaßnahmen haben unter Führung der Partei und tatkräftigen Mitarbeit der Wehrmacht sofort und wirkungsvoll eingesetzt.
Diese durch Zensur und Gleichschaltung der Medien fantasievoll gestaltete Nachricht schaffte es gerade mal auf Seite 3. Prominenter wollte man die schlechte Vorbereitung der Stadt auf das absehbare Bombardement wohl nicht dem Volkskörper präsentieren. Ganz so groß wie 1938 nach dem Anschluss, als Hitler am 5. April von 100.000 Menschen in Innsbruck begeistert empfangen worden war, dürfte die Begeisterung für den Nationalsozialismus nicht mehr gewesen sein. Zu groß waren die Schäden an der Stadt und die persönlichen, tragischen Verluste in der Bevölkerung. Im Jänner 1944 begann man Luftschutzstollen und andere Schutzmaßnahmen zu errichten. Die Arbeiten wurden zu einem großen Teil von Gefangenen des Konzentrationslagers Reichenau durchgeführt.
Insgesamt wurde Innsbruck zwischen 1943 und 1945 zweiundzwanzig Mal angegriffen. Dabei wurden knapp 3833, also knapp 50%, der Gebäude in der Stadt beschädigt und 504 Menschen starben. Die Stadt wurde zum Glück nur Opfer gezielter Angriffe. Deutsche Städte wie Hamburg oder Dresden wurden von den Alliierten mit Feuerstürmen mit Zehntausenden Toten innerhalb weniger Stunden komplett dem Erdboden gleichgemacht. Viele Gebäude wie die Jesuitenkirche, das Stift Wilten, die Servitenkirche, der Dom, das Hallenbad in der Amraserstraße wurden getroffen.
Eine besondere Behandlung erfuhren während der Angriffe historische Gebäude und Denkmäler. Das Goldene Dachl wurde mit einer speziellen Konstruktion ebenso geschützt wie der Sarkophag Maximilians in der Hofkirche. Die Figuren der Hofkirche, die Schwarzen Mannder, wurden nach Kundl gebracht. Die Gnadenmutter, das berühmte Bild aus dem Innsbrucker Dom, wurde während des Krieges ins Ötztal überführt.
Der Luftschutzstollen südlich von Innsbruck an der Brennerstraße und die Kennzeichnungen von Häusern mit Luftschutzkellern mit ihren schwarzen Vierecken und den weißen Kreisen und Pfeilen kann man heute noch begutachten. In Pradl, wo neben Wilten die meisten Gebäude beschädigt wurden, weisen an den betroffenen Häusern Bronzetafeln mit dem Hinweis auf den Wiederaufbau auf einen Bombentreffer hin.