St. Nikolaus, Mariahilf, Hötting und Mühlau

Wissenswertes zu Hötting und der Koatlackn

Wenn man so will, nahm Innsbruck im 12. Jahrhundert seinen Anfang bei den bunten Häusern am nördlichen Innufer. 1133 wurde in den heutigen Stadtteilen Mariahilf und St. Nikolaus von den Fürsten von Andechs ein Markt gegründet, von dem man in Urkunden als Ynbruggen sprach. Als die Stadt langsam über den Inn siedelte, etablierte sich für die Teile nördlich der Brücke der Name Anpruggen. Innsbruck war schon damals ein wichtiger Knotenpunkt für den Handelsverkehr. Ein beträchtlicher Teil des Warenverkehrs zwischen den deutschen Ländern im Norden und den norditalienischen Städten im Süden führte über Innsbruck. Lange Zeit führte die Straße nach Westen über die heutige Schneeburggasse in Hötting. Die Mariahilfstraße am Inn wurde erst mit dem steigenden Handelsverkehr im 16. Jahrhundert als Hauptverkehrsweg erschlossen. Erste Handwerker und Gaststätten hatten sich schon vorher hier angesiedelt, nach dem Straßenbau erweiterte sich das Areal am Inn nach Westen. Silber aus Schwaz und Salz aus Hall wurden über die Salzstraße Richtung Schweiz gehandelt. Bis 1837 war die Hauptstraße durch die Obere Anpruggen eine Sackgasse und offiziell als Obere Innbrückenstraße bekannt. Den Namen Mariahilfstraße erhielt sie von der gleichnamigen Kirche. Erst mit der Eröffnung der Kettenbrücke im Saggen im 19. Jahrhundert verlor die Mariahilfstraße wieder an Bedeutung als Verkehrsader.

Die Transportwege nach Osten führten direkt durch die heutige St-Nikolaus-Gasse. St. Nikolaus galt sehr lange als elender Teil der Stadt. Es ist kein Zufall, dass der Stadtteil den Namen des Heiligen Nikolaus von Myra trägt, war er doch unter anderem der Schutzheilige der weniger vom Leben begünstigten wie Prostituierten und Kriminellen. In St. Nikolaus war all das ansässig, was man in der Stadt nicht haben wollte, für das Funktionieren aber notwendig war wie die Hinrichtungsstätte, die im Volksmund Köpflplatz genannt wurde und das Zucht- und Arbeitshaus. Vom Mittelalter bis 1789 befand sich hier das Sondersiechenhaus für Menschen mit ansteckenden Krankheiten wie der Pest. Während das normale Spital noch in unmittelbarer Nähe zur Stadt war, wollte man die ansteckenden Kranken und sozial Allerschwächsten der Gesellschaft weiter vom Zentrum weghaben. Auch der jüdische Friedhof befand sich in St. Nikolaus am Judenbühel etwas unter dem Alpenzoo. Die unter Maximilian 1485 angelegte Trinkwasserleitung von der Nordkette, die die Innsbrucker Brunnen speiste, verlief durch St. Nikolaus. Innsbruck hatte das große Glück, durch die nahen Berge an frisches Trinkwasser zu kommen. Bis zur Erbauung der Trinkwasserleitung war Innsbruck wie andere Städte vom Wasser in den Brunnen abhängig. Das Wasser war häufig abgestanden und voller Krankheitserreger. Bier und Wein galten nicht umsonst als ungefährlicheres Alltagsgetränk als Wasser. Der Name Koatlackler für seine Anwohner kommt einerseits von den häufig überlaufenden Wasserleitungen, die die Stadt von den Bergen kommend versorgten, andererseits von Überschwemmungen und dem von der Stadt abgeleiteten, verschmutzten Wasser, das flussabwärts in St. Nikolaus landete, eben in der Koatlackn. Einen großen Teil zur Verunreinigung trugen auch die Metzger und die Fleischbank an der Innbrücke bei, die ihre Fleischabfälle im Inn entsorgten, der sie flussabwärts trug. Heute finden sich in den „bunten“ Stadtteilen Anpruggens, St. Nikolaus und Mariahilf, entlang des Inns viele Kneipen, Lokale und kleine Geschäfte.

Hötting war bis zu seiner Eingemeindung 1938 ein eigenes Dorf. Mit seinen 8000 Einwohnern zählte es im 20. Jahrhundert zu den größten Gemeinden Tirols. Die Allerheiligenhöfe und der Galgenbühel, neben dem Köpflplatz am östlichen Stadteingang in St. Nikolaus eine weitere Hinrichtungsstätte vergangener Tage, markierten das westliche Ende der Gemeinde. Erfolgreiche Handwerksbetriebe waren der Grund für das Selbstvertrauen, mit dem Höttinger der Stadt Innsbruck entgegentraten. Wirtschaftlich gesehen, war das Dorf der Stadt lange ebenbürtig. Erst mit der Entwicklung des neuen Stadtteils Saggen und der Eingemeindung von Pradl und Wilten überholte Innsbruck den Nachbarn von oben endgültig. Nach der Industrialisierung zogen die Arbeiter der Betriebe wie der Rauchmühle nach Hötting. Die Höttinger galten stets als wilde Gesellen. Höttinger Kinder galten für die Innsbrucker Sprösslinge als schlechter Umgang. 1923 stand in der Zeitung zu lesen:

„Kürzlich wurde in der Schneeburggasse einem 14jährigen Buben zwei Pistolen abgenommen, mit denen er sich angeblich mit Spatzenschießen vergnügt hatte. Kurz vorher wurde auf dem Platze der Hund des Handelsmannes Inwinkel angeschossen. Das Geschoß drang dem Tiere in den Kopf. Da auch viele Kinder gerade auf diesem Platze spielten, kann noch von einem Glücke gesprochen werden, daß durch die Schießerei kein größeres Unheil entstand. Der Fall dürfte noch ein gerichtliches Nachspiel haben.“

Anders als in der Stadt mit Angestellten in Handel und Verwaltung, Universitätsprofessoren, Ärzten und Anwälten waren hier vor allem Handwerker, Büchsengießer, Bauern und Arbeiter aus dem Bergwerk unter der Hungerburg ansässig. Im politisch radikalen und aufgeheizten Klima der Zwischenkriegszeit galt das Dorf oberhalb Innsbrucks als das „Rote Hötting“. Die Höttinger Saalschlacht von 1932, die in Innsbruck legendären Ruf genießt, war dem Ruf des Stadtteils als heißes Pflaster ebenfalls zuträglich.

Das im Osten angrenzende Mühlau war dank dem Weyrerareal ebenfalls von der Industrialisierung ergriffen worden. Mühlau war auch Standort einer Kuranstalt. Was heute undenkbar wäre, funktionierte im Innsbruck des 19. Jahrhunderts. Wenige Meter von der Textilfabrik entfernt gab es mit dem Badehaus Mühlau eine Kuranstalt. Innsbruck war mittlerweile gut an das Bahnnetz angebunden und leicht für Gäste erreichbar. Das Bergpanorama, das Gäste genossen, versprühte alpinen Charme, ermöglichte dem nicht ausschließlich an der Gesundheit interessierten Reisenden und seiner Begleitung, anders als in abgelegenen Orten wie Davos, trotzdem ein wenig urbane Zerstreuung zwischen den Anwendungen, wie im Magazin Der Alpenfreund 1870 zu lesen war:

„Ist der Alpenfreund aber mit Familie gesegnet, so brauchen ihn weder Rücksichten auf die allfälligen nervösen Zustände und Anfälle der lieben Ehefrau, noch auf die skrophulösen Leiden eines aus den Kindern abzuhalten, alle Sorgen und Kümmernisse und Beschwerden des Geschäftslebens auf dem naheliegenden Gebirge auszuatmen. Er nehme nur seine Lieben mit nach Mühlau, überlasse die Heilung getrost der Obsorge des Besitzers erwähnten Etablissements, Dr. Schlechter, der mit Kaltwasserkur, Soolebädern, Gymnastik und Elektro-Magnetismus seine Heilzwecke schon zu erreichen wissen wird, und – wandere selbst getrost dem Himmel entgegen auf die Berge! (Anm.: zitiert aus sagen.at)“

Das Badehaus Mühlau ist heute ein sehenswertes Wohnhaus, das architektonisch im Stil des 19. Jahrhunderts erhalten wurde in der Anton-Rauch-Straße 30. Mittlerweile sind Hötting und Mühlau gutbürgerliche Viertel, in dem weder magnetische Anwendungen verabreicht werden noch umstürzlerische Gefahren drohen.