Südtirolersiedlung Wilten West
Speckbacherstraße / Egger-Lienz-Straße
Wissenswert
1939 errichtete der Bauträger Neue Heimat in Wilten, Pradl, der Reichenau und dem Saggen mehrere Wohnanlagen, die bis heute als Südtirolersiedlungen bekannt sind. Die imposanteste dieser Siedlungen entstand unter Leitung und Umsetzung Theodor Prachenskys und Jakob Alberts zwischen der Egger-Lienz-Straße und der Franz-Fischer-Straße. Die Architektur mag auf den ersten Blick eintönig und wenig spektakulär wirken, betrachtet man aber die Dimensionen und die Bedeutung des Projekts aus der Sicht der 1930er und 40er Jahre, erkennt man schnell, dass hier keine Wohnanlage, sondern ein ganzer Stadtteil entstanden war.
Die zwei- bis dreistöckigen Gebäude gruppieren sich um großzügige, untereinander verbundene Innenhöfe. Wer die Möglichkeit hat, die Südtirolersiedlung von oben zu Gesicht zu bekommen, zum Beispiel von der Ferrarikurve an der Brenner-Bundesstraße aus, erkennt die Dimension und Ausmaße dieses Ensembles. Die einzelnen Innenhöfe werden von niedrigen, steinernen Mauern begrenzt, die dem gesamten Ensemble den Charakter einer innerstädtischen Festung verleihen. Der Eingang in die Siedlung von der Stafflerstraße zur Speckbacherstraße stellt mit den neoromanischen Säulen ein kleines Stadttor dar, durch das man die Siedlung betritt. Wie beim Pembaurblock wollte Prachensky wohl auch mit dem darüberliegenden Erker mit den Balkonen eine Verbindung zur Innsbrucker Geschichte darstellen, erinnert die Komposition doch sehr an das Goldene Dachl in der Altstadt. Als Baumaterial für den Durchgang wurde mit der Höttinger Breccie ebenfalls eine Innsbrucker Besonderheit verwendet. Um zu verstehen, welchen Kontrast Prachensky erzeugte, muss man sich in das Wilten der späten 1930er zurückdenken. Im Osten und Norden grenzten die bürgerlichen Gründerzeithäuser an die Südtirolersiedlung, im Süden war der Südring noch nicht gebaut und auch nach Westen hin zur Zollerstraße war das Gelände noch mehr oder minder unbesiedelt und leer.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das historische Land Tirol an der Brennergrenze geteilt. Die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols erfuhr unter dem faschistischen Regime Mussolinis mehr und mehr Repressalien. Das führte zu Uneinigkeiten zwischen Benito Mussolini und Adolf Hitler. Mussolini wollte die deutschsprachigen Südtiroler italianisieren, Hitler hingegen hatte das Versprechen gegeben alle deutschsprachigen Volksgruppen zu vereinigen. 1939 kamen die beiden Diktatoren überein, der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols die Möglichkeit einer Umsiedlung von Italien ins Deutsche Reich zu geben. Die Propaganda, die für die Umsiedlung unter dem Motto „Heim ins Reich“ gemacht wurde, zeigte Wirkung. Ein Großteil der deutschsprachigen Südtiroler wählte die Auswanderung Richtung Norden.
„Südtiroler, bekennt euch! Eine schwere, aber stolze Stunde ruft euch auf zum Bekenntnis für Blut und Volk zur Entscheidung, ob ihr für euch und eure Nachkommen endgültig auf euer deutsches Volkstum verzichten oder ob ihr euch stolz und frei als Deutsche bekennen wollt. Ihr wählt nicht zwischen Heimat und Galizien sondern ihr wählt zwischen einem uns fremd gewordenen Südtirol und zwischen dem Lande, das uns der Führer im deutschen Reichskörper zuweisen wird. Schwer ist die Entscheidung, doch keinen Augenblick zweifelhaft, denn wir wissen, was wir dem Rufe unseres deutschen Blutes des deutschen Volkes und unseres Führers schulden. Die Scholle opfern wir dem großen Ziele, dem großen, heiligen deutschen Reich.“
Innsbruck sollte als Hauptstadt des Reichsgaus viele der sogenannten Optanten aufnehmen. Es wurde mit 20-50.000 neuen Bürgern gerechnet. In vielen Randgebieten des damaligen Stadtgebietes wurde in vorauseilendem Gehorsam bereits im August 1939 mit dem Bau der Siedlungen begonnen. Um die Rücksiedler möglichst schnell „nach Hause“ holen zu können, wurden trotz des Krieges alle Hebel innerhalb des immense Mittel freigemacht. Die DAF, die Deutsche Arbeitsfront, übernahm die Organisation und gründete dafür die Wohnbaugesellschaft Neue Heimat.
In einer ersten Bauphase der Sondermaßnahme Südtirol projektierte die Stadt Innsbruck 1000 Wohnungen, knapp 2000 weitere sollten bis 1944 errichtet werden. Neben Wohnungen sollten Geschäfte, Gaststätten, Schulen, Kindergärten und Amtsräumlichkeiten entstehen. Mit Fortdauer des Krieges wurden Geld, Baumaterial und Arbeitskraft rar, trotzdem konnten über die Stadt verteilt etwas mehr als 2000 Wohnungen fertiggestellt werden.
Als die Blöcke zwischen Egger-Lienz-Straße und Franz-Fischer-Straße 1942 bezugsbereit waren, stellte sich die Situation vollkommen anders dar als zum Zeitpunkt der Befragung der Südtiroler Bevölkerung wenige Jahre zuvor. Das Kriegsglück hatte sich gewandt und damit auch die Begeisterung für die Heim-ins-Reich-Bewegung. Nun hatte man zu viele Wohnungen für zu wenige „Heimkehrer“, die den Schritt von der italienischen Heimat nach Norden wagten. Viele der Wohnungen wurden deshalb nicht an Südtiroler, sondern an „verdiente“ Untertanen des NS-Systems vergeben.
Während alliierter Luftangriffe zwischen Dezember 1943 und Dezember 1944 wurden einige der Häuser in der Speckbacherstraße getroffen. Abgerissen musste keines davon werden, die Bausubstanz blieb im Grunde erhalten. In den 1960er Jahren wurden die Häuser um 2 Stockwerke erhöht, später folgten Renovierungen und eine Umfärbung von tristem Grau in unterschiedliche lebendigere Farben. Zwischen den Blöcken liegt der Verkehrspark, wo Innsbrucker Kinder unter dem wachsamen Auge der Polizei den Fahrradführerschein machen.
An der Ecke Speckbacherstraße zur Franz-Fischer-Straße kann man ein stummes Zeugnis des Baus der Südtirolersiedlung bewundern. Auf der Höhe des ersten Stockwerkes befindet sich eine Steinfigur. Sie stammt vom Südtiroler Bildhauer Alexander Lanner, der in Innsbruck auch die Führerbüste im Trausaal im Goldenen Dachl und die Prinzessin mit Froschkönig im Brunnen im Hofgarten anfertigte. Der stramm und entschlossen Richtung Norden ins Altreich blickende Mann soll einen typischen Südtiroler in Meraner Tracht darstellen, ein Symbol für die Optanten, die sich zur Blut- und Bodenideologie des deutschen Volkes bekannten und dafür ihre Heimat verließen.
Theodor Prachensky: Beamter zwischen Kaiser und Republik
Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurden große Wohnbauprojekte umgesetzt, um die größte Not der vielen Innsbrucker, die in Baracken oder bei Verwandten auf engstem Raum wohnten, zu lindern. Ganze Stadtviertel entstanden neu mit Kindergärten und Schulen. Sport- und Freizeitstätten wie das Tivoli oder das Städtische Hallenbad entstanden. Einer der Baumeister, der Innsbruck in dieser Zeit nachhaltig veränderte war Theodor Prachensky (1888 – 1970).
Als Mitarbeiter des Bauamtes Innsbruck zwischen 1913 und 1953 war er für Wohnbau- und Infrastrukturprojekte verantwortlich. Die von ihm umgesetzten Projekte sind nicht so spektakulär wie die Bergstationen seines Schwagers Baumann. Prachenskys Bauten, die die Zeit überdauerten, wirken vielfach nüchtern und rein funktionell. Sieht man sich aber seine Zeichnungen im Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck an, erkennt man, dass Prachensky mehr Künstler als Techniker war, wie auch seine Malereien beweisen. Viele seiner spektakulären Entwürfe wie das Sozialdemokratische Volkshaus in der Salurnerstraße, sein Kaiserschützendenkmal oder die Friedens- und Heldenkirche wurden nicht umgesetzt. Innsbruck beherbergt mit den großen Wohnanlagen der 1920er und 30er Jahre, der Krieger-Gedächtniskapelle am Pradler Friedhof und dem alten Arbeitsamt (Anm.: heute eine Außenstelle Universität Innsbruck hinter dem aktuellen AMS-Gebäude in Wilten) viele Gebäude Prachenskys, die die Zeitgeschichte der Zwischenkriegszeit und die wechselhaften politischen und staatlichen Einflüsse, unter denen er selbst als Person stand, dokumentieren.
Seine Biografie liest sich wie ein Abriss der österreichischen Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Prachensky war als Architekt und Beamter unter fünf unterschiedlichen Staatsmodellen tätig. Der K.u.K. Monarchie folgte die Erste Republik, die vom autoritären Ständestaat abgelöst wurde. 1938 kam es zum Anschluss an Nazideutschland. 1945 wurde mit Kriegsende die Zweite Republik ausgerufen.
1908 schloss Prachensky die baugewerbliche Abteilung der Gewerbeschule Innsbruck, heute die HTL, ab. Von 1909 arbeitete er teilweise gemeinsam mit Franz Baumann, dessen Schwester Maria er 1913 heiraten sollte, beim renommierten Architekturbüro Musch & Lun in Meran, damals ebenfalls noch Teil der K.u.K. Monarchie. Privat war das Jahr 1913 für ihn wegweisend: Theodor und Maria heirateten, starteten das private Bauprojekt des Eigenheims Haus Prachensky am Berg Isel Weg 20 und der frischgebackene Familienvater trat seinen Dienst beim Stadtmagistrat Innsbruck unter Oberbaurat Jakob Albert an. Anstatt sich nach dem Krieg in der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Privatwirtschaft durchschlagen zu müssen, stand Prachensky im öffentlichen Dienst. Die wichtigen, vom sozialdemokratischen Gedanken beeinflussten Projekte konnten erst nach den ersten und schwierigsten, von der Inflation und der Versorgungsknappheit charakterisierten Nachkriegsjahren begonnen werden. Den Anfang machte der Schlachthausblock im Saggen zwischen 1922 und 1925. Es folgten mehrere Infrastrukturprojekte wie der Mandelsbergerblock, der Pembaurblock und der Kindergarten und die Hauptschule in der Pembaurstraße, die vor allem für die sozial Schwächeren und die vom Krieg und der Nachkriegszeit betroffenen Arbeiterschicht gedacht waren. Auch das 1931 entworfene Arbeitsamt war eine wichtige Neuerung im Sozialwesen. Seit der Republikgründung 1918 half das Arbeitsamt bei der Vermittlung von Arbeitssuchenden und Arbeitgebern und der Eindämmung der Arbeitslosigkeit.
In den Jahren der Wirtschaftskrise in den 1930ern nahm seine Bedeutung nochmal zu. Eine weitere Zäsur in Prachenskys Werdegang stellten die nächsten Wechsel der Regierungsform Österreichs dar. Trotz dem Rechtsruck unter Dollfuß samt Verbot der Sozialdemokratischen Partei 1933 und dem Anschluss von 1938 konnte er als leitender Beamter im öffentlichen Dienst bleiben. Prachensky setzte gemeinsam mit Jakob Albert ab 1939 die als Südtiroler Siedlungen bekannt gewordenen Wohnblöcke unter den Nationalsozialisten um. Er selbst war, anders als mehrere Mitglieder seiner Familie, niemals Mitglied oder Unterstützer der NSDAP.
Großen Einfluss auf sein Wirken als Architekt und Stadtplaner gemäß der internationalen sozialdemokratisch orientierten Architektur hatte wohl sein Vater Josef Prachensky, der als einer der Gründer der Sozialdemokratie in Tirol in die Landesgeschichte einging.
Neben der politischen Gesinnung des Vaters hatten auch die verschwundene Habsburgermonarchie und die Eindrücke des Militärdienstes im Ersten Weltkrieg Einfluss auf Prachensky. Obwohl er laut Eigenaussage Kriegsgegner war, meldete er sich 1915 als Einjährig-Freiwilliger bei den Tiroler Kaiserjägern zum Kriegsdienst. Vielleicht waren es die Erwartungen, die während des Krieges an ihn als Beamten herangetragen wurden, vielleicht die allgemeine Begeisterung, die ihn zu diesem Schritt bewogen, die Aussagen und die Tat sind widersprüchlich. Die Kriegergedächtnis-Kapelle am Pradler Friedhof und das gemeinsam mit Clemens Holzmeister entworfene Kaiserschützenkapelle am Tummelplatz sowie seine nicht umgesetzten Entwürfe für ein Kaiserjäger Denkmal und die Friedens- und Heldenkirche Innsbruck, sind wohl Produkte der Lebenserfahrung Prachenskys.
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er acht weitere Jahre als Oberbaurat der Stadt Innsbruck tätig. Neben seiner Tätigkeit als Bauplaner und Architekt war Prachensky begeisterter Maler. Er starb mit 82 Jahren in Innsbruck. Seine Söhne, Enkel und Urenkel führten sein kreatives Erbe als Architekten, Designer, Fotografen und Maler in verschiedenen Disziplinen fort. 2017 wurden Teile des generationenübergreifenden Werks der Künstlerfamilie Prachensky in der ehemaligen Bierbrauerei Adambräu mit einer Ausstellung gezeigt.
Operation Greenup - Innsbrooklyns Wiedergeburt
Nach kleineren Gefechten im Außerfern und an der Porta Claudia in Scharnitz bei Seefeld stand die Cactus-Division der US-Streitkräfte am 3. Mai 1945 in Zirl vor den Toren der Gauhauptstadt Innsbrucks. Eine Handvoll Widerstandskämpfer um Fritz Molden und dem späteren Tiroler Landeshauptmann Karl Gruber hatten in Innsbruck Kasernen und offizielle Einrichtungen besetzt, nachdem Gauleitung, Gestapo und SS sich aus dem Staub gemacht hatten. Trotzdem wussten die GI´s nicht was sie in Innsbruck erwarten würde, hatte doch Adolf Hitler Tirol zum Teil der Alpenfestung erklärt, dem Rückzugsort, der bis zum letzten Mann verteidigt werden sollte. Würde Innsbruck zum Gefechtsort, wie es in vielen Städten der Fall gewesen war, hätte das die Zerstörung der Stadt zur Folge. Dass es nicht so weit kam und Innsbruck kampflos übergeben wurde, ist einer Gruppe junger Menschen, die im Rahmen der US-Spionageaktion Operation Greenup die Weichen für die friedliche Kapitulation legten.
Die männlichen Hauptdarsteller dieses filmreifen Coups waren Friedrich „Fred“ Mayer, Hans Wijnberg, Franz Weber und Anna Niederkircher. Die beiden Juden Mayer und Wijnberg waren auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus in New York gelandet. Sie hatten sich freiwillig zum Einsatz in Europa gemeldet und waren beim OSS, dem militärischen US-Geheimdienst, im Einsatz. Weber war als Deserteur der Wehrmacht in einem Gefangenenlager in Süditalien gestrandet. Der überzeugte Katholik wollte nach seinen Kriegserfahrungen dabei helfen, das Nazi-Regime in seiner Tiroler Heimat zu stürzen. Gemeinsam sollten sie von Innsbruck aus die Versorgungslinie über den Brenner sowie kriegsrelevante Infrastruktur und Industrie wie die Messeschmitt-Werke in Kematen ausspionieren.
Am 26. Februar wurden die drei Männer samt Ausrüstung per Flugzeug über den Ötztaler Alpen im winterlichen Hochgebirge abgeworfen. Per Schlitten und öffentlichen Verkehrsmitteln schlugen sie sich mitten im Feindesland samt Ausrüstung nach Oberperfuß, dem Heimatdorf Franz Webers, durch. Hier trafen sie nicht auf die befürchtete Alpenfestung Hitlers, sondern Unterstützung der Gemeinschaft des stets schon streng katholisch-konservativen und regimekritischen Oberperfuß. Vor allem die aus Webers Umfeld, seine Schwestern Eva, Margarete und Luise, seine Nachbarin Maria Hörtnagl, vor allem aber seine Verlobte Anni Niederkircher und deren Mutter Anna, die Wirtin des Gasthofs zur Krone, übernahmen bei Versorgung, Tarnung und Unterkunft Rollen von unschätzbarem Wert.
Franz Weber war der Local Guide der Gruppe. Fred Mayer mischte sich in Oberperfuß, Innsbruck und Kematen unter verschiedenen Identitäten, als Wehrmachtssoldat im Offizierskasino, als Arbeiter der Messerschmittwerke oder als französischer Zwangsarbeiter unter die Bevölkerung. Er knüpfte Verbindungen mit anderen Widerstandsgruppen und sammelte Informationen. Webers Schwestern beherbergten ihn und versorgten ihn mit allem Möglichem wie gefälschten Papieren oder einer gestohlenen Wehrmachtsuniform. Anni Niederkircher war das Verbindungselement zwischen Oberperfuß und Innsbruck. Hans Wijnberg hielt als Funker die Kommunikation mit dem Stützpunkt der US-Streitkräfte in Bari aufrecht.
Alle wussten, würde ihre riskante Operation auffliegen, wären sie und ihre Familien dem Tod geweiht. Ende April trat dieser Fall ein. Robert Moser, der Radiohändler und Widerständler, der Fred Mayer in seinem Geschäft angestellt hatte, flog auf. Im Gestapo-Hauptquartier in der Innsbrucker Herrengasse wurde er verhört, gefoltert und schließlich zu Tode geprügelt und gepeitscht. Am 20. April wurde auch Fred Mayer festgenommen und in der Herrengasse gefoltert. Er hielt aber dicht, mehr noch: Nachdem er sich als Angehöriger des US-Geheimdienstes zu erkennen gegeben hatte, konnte er in Verhandlungen mit Gauleiter Hofer erwirken, dass Innsbruck kampflos als freie Stadt übergeben wird. Gegen die Versicherung Mayers, als Kriegsgefangener behandelt zu werden, gab Hofer am 2. Mai in einer Radioansprache an die Bevölkerung Order, von jeglicher Kampfhandlung abzusehen.
Am 3. Mai um 14 Uhr erreichte der von der Behandlung durch die Gestapo noch gezeichnete Fred Mayer die US-Truppen bei Zirl mit dieser Meldung. Wenige Stunden später trat der Waffenstillstand in Kraft. Die Fahrzeuge und Soldaten konnten ohne weiteres Blutvergießen und Zerstörung in die Stadt einrücken.
Die Erinnerung an die Operation Greenup und das heldenhafte Handeln aller Beteiligten unter höchster Gefahr blieb lange Zeit zu Gunsten der Erzählung der Selbstbefreiung durch die tapfere Tiroler Bevölkerung ohne Erinnerung. Erst 2010 wurde Fred Mayer, der mit dem Purple Heart den höchsten Tapferkeitsorden des US-Militärs erhalten hatte, mit fast 90 Jahren vom Land Tirol spät, aber doch geehrt. Hans Wijnberg erhielt zehn Jahre nach seinem Tod eine Verdienstmedaille der Stadt Innsbruck. Franz Weber, der nach dem Krieg in Land- und Nationalrat als Abgeordneter tätig war, erhielt das Ehrenzeichen des Landes Tirol und das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich. An den zu Tode gefolterten Robert Moser erinnert eine schwer auffindbare Bronzetafel am ehemaligen Hauptquartier der Gestapo in der Herrengasse. Am Haus Anichstraße 19, in dem Mayer während seines Aufenthalts in Innsbruck untergekommen war, befindet sich eine kleine Infotafel. Erst mit dem Erscheinen des packenden Buches „Codename Brooklyn“ von Peter Pirker, das viel internationale Aufmerksamkeit erhielt, wurde diese vielleicht beeindruckendste Episode der Innsbrucker Stadtgeschichte einem breiten Publikum bekannt. Das vielleicht bleibendste Vermächtnis verdankt Innsbruck aber vielleicht den Funksprüchen Wijnbergs: Der Codename für die Stadt lautete nach dem New Yorker Stadtteil, in dem Mayer und er sich lange aufhielten, Brooklyn. Innsbruck war nach dem Nationalsozialismus als Innsbrooklyn wiedergeboren.
Innsbruck und der Nationalsozialismus
In den 1920er und 30er wuchs und gedieh die NSDAP auch in Tirol. Die erste Ortsgruppe der NSDAP in Innsbruck wurde bereits 1923 gegründet. Mit „Der Nationalsozialist – Kampfblatt für Tirol und Vorarlberg“ erschien ein eigenes Wochenblatt. 1933 erlebte die NSDAP auch in Innsbruck einen kometenhaften Aufstieg. Die allgemeine Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit der Bürger und theatralisch inszenierte Fackelzüge durch die Stadt samt hakenkreuzförmiger Bergfeuer auf der Nordkette im Wahlkampf verhalfen der Partei zu einem großen Zugewinn. Über 1800 Innsbrucker waren Mitglied der SA, die ihr Quartier in der Bürgerstraße 10 hatte. Konnten die Nationalsozialisten bei ihrem ersten Antreten bei einer Gemeinderatswahl 1921 nur 2,8% der Stimmen erringen, waren es bei den Wahlen 1933 bereits 41%. Neun Mandatare, darunter der spätere Bürgermeister Egon Denz und der Gauleiter Tirols Franz Hofer, zogen in den Gemeinderat ein. Nicht nur die Wahl Hitlers zum Reichskanzler in Deutschland, auch Kampagnen und Manifestationen in Innsbruck verhalfen der ab 1934 in Österreich verbotenen Partei zu diesem Ergebnis. Wie überall waren es auch in Innsbruck vor allem junge Menschen, die sich für den Nationalsozialismus begeisterten. Das Neue, das Aufräumen mit alten Hierarchien und Strukturen wie der katholischen Kirche, der Umbruch und der noch nie dagewesene Stil zogen sie an. Dass es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kam, war für die Zwischenkriegszeit in Österreich nicht unüblich.
Als der Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 erfolgte, stimmte auch in Innsbruck eine Mehrheit von annähernd 99% mit JA ab. Noch bevor Bundeskanzler Schuschnigg seine letzte Rede an das Volk vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mit den Worten „Gott schütze Österreich“ am 11. März 1938 geschlossen hatte, rotteten sich bereits die Nationalsozialisten in der Innenstadt zusammen um den Einmarsch der deutschen Truppen vorzufeiern. Am Tiroler Landhaus, damals noch in der Maria-Theresienstraße, wurde die Hakenkreuzfahne gehisst.
Am 12. März empfingen die Innsbrucker das deutsche Militär frenetisch. Wenig später besuchte Adolf Hitler persönlich Innsbruck, um sich von der Menge feiern zu lassen. Archivbilder zeigen eine euphorische Menschenmenge in Erwartung des Führers, des Heilsversprechers. Die Menschen waren nach der wirtschaftlichen Not der Zwischenkriegszeit, der Wirtschaftskrise und den Regierungen unter Dollfuß und Schuschnigg müde und wollten Veränderung. Welche Art von Veränderung, war im ersten Moment weniger wichtig als die Veränderung an und für sich. „Es denen da oben zu zeigen“, das war Hitlers Versprechen. Wehrmacht und Industrie boten jungen Menschen eine Perspektive, auch denen, die mit der Ideologie des Nationalsozialismus an und für sich wenig anfangen konnten. Anders als heute war Demokratie nichts, woran sich jemand in der kurzen, von politischen Extremen geprägten Zeit zwischen der Monarchie 1918 bis zur Ausschaltung des Parlaments unter Dollfuß 1933 hätte gewöhnen können. Was faktisch nicht in den Köpfen der Bevölkerung existiert, muss man nicht abschaffen.
Tirol und Vorarlberg wurden in einem Reichsgau zusammengefasst mit Innsbruck als Hauptstadt. Bewaffneter Widerstand war nicht vorhanden, dazu war die Linke in Tirol nicht stark genug. Unorganisiertes subversives Verhalten von der katholischen Bevölkerung, vor allem in einigen Landgemeinden rund um Innsbruck gab es vereinzelt, erst sehr spät konnte der organisierte Widerstand in Innsbruck Fuß fassen.
Das Regime unter Hofer und Gestapochef Werner Hilliges leistete aber ganze Arbeit bei der Unterdrückung. Im katholischen Tirol war die Kirche das größte Hindernis. Während des Nationalsozialismus wurde die katholische Kirche systematisch bekämpft. Katholische Schulen wurden umfunktioniert, Jugendorganisationen und Vereine verboten, Klöster geschlossen, der Religionsunterricht abgeschafft und eine Kirchensteuer eingeführt. Besonders hartnäckige Pfarrer wie Otto Neururer wurden in Konzentrationslager gebracht. Auch Lokalpolitiker wie die späteren Innsbrucker Bürgermeister Anton Melzer und Franz Greiter müssten flüchten oder worden verhaftet. Gewalt und die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, dem Klerus, politisch Verdächtigen, Zivilpersonen und Kriegsgefangenen auch nur überblicksmäßig zusammenzufassen würde den Rahmen sprechen.
Das Hauptquartier der Gestapo befand sich in der Herrengasse 1. Hier wurden Verdächtige schwer misshandelt und teils mit Fäusten zu Tode geprügelt. 1941 wurde in der Rossau in der Nähe des Bauhofs Innsbruck das Arbeitslager Reichenau errichtet. Verdächtige Personen aller Art wurden hier zu Zwangsarbeiten in schäbigen Baracken verwahrt. Über 130 Personen fanden in diesem Lager bestehend aus 20 Baracken den Tod durch Krankheit, die schlechten Bedingungen, Arbeitsunfälle oder Hinrichtungen.
Auch im 10 km von Innsbruck entfernten Dorf Kematen kamen im Messerschmitt Werk Gefangene zum Zwangseinsatz. Darunter waren politische Häftlinge, russische Kriegsgefangene und Juden. Zu den Zwangsarbeiten gehörten unter anderem die Errichtung der Südtiroler Siedlungen in der Endphase oder die Stollen zum Schutz vor den Luftangriffen im Süden Innsbrucks. In der Klinik Innsbruck wurden Behinderte und vom System als nicht genehm empfundene Menschen wie Homosexuelle zwangssterilisiert.
Die Erinnerungsorte an die Zeit des Nationalsozialismus sind rar gesät. Das Tiroler Landhaus mit dem Befreiungsdenkmal und das Gebäude der Alten Universität sind die beiden auffälligsten Denkmäler. Der Vorplatz der Universität und eine kleine Säule am südlichen Eingang der Klinik wurden ebenfalls im Gedenken an das wohl dunkelste Kapitel Österreichs Geschichte gestaltet.
Luftangriffe auf Innsbruck
Wie der Lauf Lauf der Geschichte der Stadt unterliegt auch ihr Aussehen einem ständigen Wandel. Besonders gut sichtbare Veränderungen im Stadtbild erzeugten die Jahre rund um 1500 und zwischen 1850 bis 1900, als sich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in besonders schnellem Tempo abspielten. Das einschneidendste Ereignis mit den größten Auswirkungen auf das Stadtbild waren aber wohl die Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg.
Neben der Lebensmittelknappheit waren die Menschen an der von den Nationalsozialisten so genannten „Heimatfront“ in der Stadt vor allem von den Luftangriffen der Alliierten betroffen. Innsbruck war ein wichtiger Versorgungsbahnhof für den Nachschub an der Italienfront.
In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1943 erfolgte der erste alliierte Luftangriff auf die schlecht vorbereitete Stadt. 269 Menschen fielen den Bomben zum Opfer, 500 wurden verletzt und mehr als 1500 obdachlos. Über 300 Gebäude, vor allem in Wilten und der Innenstadt, wurden zerstört und beschädigt. Am Montag, den 18. Dezember fanden sich in den Innsbrucker Nachrichten, dem Vorgänger der Tiroler Tageszeitung, auf der Titelseite allerhand propagandistische Meldungen vom erfolgreichen und heroischen Abwehrkampf der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten gegenüber dem Bündnis aus Anglo-Amerikanern und dem Russen, nicht aber vom Bombenangriff auf Innsbruck.
Bombenterror über Innsbruck
Innsbruck, 17. Dez. Der 16. Dezember wird in der Geschichte Innsbrucks als der Tag vermerkt bleiben, an dem der Luftterror der Anglo-Amerikaner die Gauhauptstadt mit der ganzen Schwere dieser gemeinen und brutalen Kampfweise, die man nicht mehr Kriegführung nennen kann, getroffen hat. In mehreren Wellen flogen feindliche Kampfverbände die Stadt an und richteten ihre Angriffe mit zahlreichen Spreng- und Brandbomben gegen die Wohngebiete. Schwerste Schäden an Wohngebäuden, an Krankenhäusern und anderen Gemeinschaftseinrichtungen waren das traurige, alle bisherigen Schäden übersteigende Ergebnis dieses verbrecherischen Überfalles, der über zahlreiche Familien unserer Stadt schwerste Leiden und empfindliche Belastung der Lebensführung, das bittere Los der Vernichtung liebgewordenen Besitzes, der Zerstörung von Heim und Herd und der Heimatlosigkeit gebracht hat. Grenzenloser Haß und das glühende Verlangen diese unmenschliche Untat mit schonungsloser Schärfe zu vergelten, sind die einzige Empfindung, die außer der Auseinandersetzung mit den eigenen und den Gemeinschaftssorgen alle Gemüter bewegt. Wir alle blicken voll Vertrauen auf unsere Soldaten und erwarten mit Zuversicht den Tag, an dem der Führer den Befehl geben wird, ihre geballte Kraft mit neuen Waffen gegen den Feind im Westen einzusetzen, der durch seinen Mord- und Brandterror gegen Wehrlose neuerdings bewiesen hat, daß er sich von den asiatischen Bestien im Osten durch nichts unterscheidet – es wäre denn durch größere Feigheit. Die Luftschutzeinrichtungen der Stadt haben sich ebenso bewährt, wie die Luftschutzdisziplin der Bevölkerung. Bis zur Stunde sind 26 Gefallene gemeldet, deren Zahl sich aller Voraussicht nach nicht wesentlich erhöhen dürfte. Die Hilfsmaßnahmen haben unter Führung der Partei und tatkräftigen Mitarbeit der Wehrmacht sofort und wirkungsvoll eingesetzt.
Diese durch Zensur und Gleichschaltung der Medien fantasievoll gestaltete Nachricht schaffte es gerade mal auf Seite 3. Prominenter wollte man die schlechte Vorbereitung der Stadt auf das absehbare Bombardement wohl nicht dem Volkskörper präsentieren. Ganz so groß wie 1938 nach dem Anschluss, als Hitler am 5. April von 100.000 Menschen in Innsbruck begeistert empfangen worden war, dürfte die Begeisterung für den Nationalsozialismus nicht mehr gewesen sein. Zu groß waren die Schäden an der Stadt und die persönlichen, tragischen Verluste in der Bevölkerung. Im Jänner 1944 begann man Luftschutzstollen und andere Schutzmaßnahmen zu errichten. Die Arbeiten wurden zu einem großen Teil von Gefangenen des Konzentrationslagers Reichenau durchgeführt.
Insgesamt wurde Innsbruck zwischen 1943 und 1945 zweiundzwanzig Mal angegriffen. Dabei wurden knapp 3833, also knapp 50%, der Gebäude in der Stadt beschädigt und 504 Menschen starben. Die Stadt wurde zum Glück nur Opfer gezielter Angriffe. Deutsche Städte wie Hamburg oder Dresden wurden von den Alliierten mit Feuerstürmen mit Zehntausenden Toten innerhalb weniger Stunden komplett dem Erdboden gleichgemacht. Viele Gebäude wie die Jesuitenkirche, das Stift Wilten, die Servitenkirche, der Dom, das Hallenbad in der Amraserstraße wurden getroffen.
Eine besondere Behandlung erfuhren während der Angriffe historische Gebäude und Denkmäler. Das Goldene Dachl wurde mit einer speziellen Konstruktion ebenso geschützt wie der Sarkophag Maximilians in der Hofkirche. Die Figuren der Hofkirche, die Schwarzen Mannder, wurden nach Kundl gebracht. Die Gnadenmutter, das berühmte Bild aus dem Innsbrucker Dom, wurde während des Krieges ins Ötztal überführt.
Der Luftschutzstollen südlich von Innsbruck an der Brennerstraße und die Kennzeichnungen von Häusern mit Luftschutzkellern mit ihren schwarzen Vierecken und den weißen Kreisen und Pfeilen kann man heute noch begutachten. In Pradl, wo neben Wilten die meisten Gebäude beschädigt wurden, weisen an den betroffenen Häusern Bronzetafeln mit dem Hinweis auf den Wiederaufbau auf einen Bombentreffer hin.