Theresienkirche

Gramartstraße 4

Wissenswert

Hoch über Innsbruck befindet sich die Wallfahrtskirche zur Heiligen Theresia vom Kinde Jesu. Der private Verein Mariabrunn errichtete während der 1920er Jahre rund um eine Reliquie und ein Bildnis der Heiligen Theresia eine Kapelle. Theresia von Lisieux war erst wenige Jahre zuvor nach einem kurzen, aber umso frommeren Leben an Tuberkulose verstorben und von Pius X. im Blitztempo heiliggesprochen worden. Der große Andrang von Pilgersleuten, die die Heilige Theresia um Beistand baten, machte den Bau einer Kirche nötig.

1931 wurde vom Verein ein Wettbewerb ausgeschrieben, den Architekt Wilhelm Stigler (1903 – 1976) gewann. Er konnte sich bei der Ausschreibung mit seinem Entwurf gegen Meister wie Clemens Holzmeister und Franz Baumann durchsetzen. Da sein Projektplan allerdings die kargen Mittel zur Errichtung, die in der Nachkriegszeit zur Verfügung standen, überstieg, wurde der Entwurf Siegfried Thurners umgesetzt, der etwas sparsamer war.

Der kubische Bau wurde ganz dem Zeitgeist entsprechend im Stil der neuen Sachlichkeit entworfen. Die romanisch anmutende Kirche mit dem markanten Turm ist über einen Garten mit dem kleinen Karmelitenkloster verbunden. Besonders das Innere der Kirche ist sehenswert. 1935 schuf der Künstler Ernst Nepo (1895 - 1971) das Fresko der Heiligen Theresia über dem Eingang. Nach dem Krieg war seine Mitwirkung an der Fertigstellung der Kirche nicht mehr erwünscht, hatte der frühe Nationalsozialist unter anderem bereits 1937 ein Bild des Führers anfertigen lassen, das diesem höchstpersönlich von der Tiroler NS-Frauenschaft zum Geburtstag überreicht worden war.

An seiner Statt setzte der Tiroler Künstler Max Weiler (1910 - 2001) die Arbeit ab 1946 fort, um pünktlich zur 150 Jahre Erneuerung des Herz-Jesu-Bundes von 1796 des Landes Tirols das Langhaus der Kirche geschmückt zu sehen. Der damals noch weniger bekannte Künstler schaffte es, vier Bilder fertigzustellen. „Die Verehrung des Herzens Jesu“, „Die Herz-Jesu-Sonne“, „Johannesminne und Ölberg“ und „Der Lanzenstich“ konnten vollendet werden, bevor es zum Eklat kam. Das Bild der Herz-Jesu-Sonne erhielt ob den sechs fliegenden Geistlichen den Namen "Pfaffenkarussell".

Mit dem Ergebnis, vor allem dem Bildnis des "Lanzenstichs", war eine breite Öffentlichkeit wenig zufrieden, zeigte es doch die Umstehenden um den Gekreuzigten in traditionell bäuerlicher Tiroler Kleidung während dessen letztem Atemzug. Einer der Männer unter dem Kreuz erinnert wohl nicht ganz zufällig an Adolf Hitler während ein Tiroler Schütze dem Heiland mit dem Speer die Flanke durchbohrt. Einer nackten Venus mussten züchtig Kleider übergemalt werden, um den ersten Volkszorn zu mindern, der schlussendlich sogar zu einer gerichtlichen Klage eines Kössener Landwirts führte, der darin eine Störung der Religion und Ordnung sah. Es kam zu Drohungen gegen Werk und Künstler. Der Bauernbund und Teile des Tiroler Klerus konnten sogar eine Einmischung des Vatikans erzwingen.

Nach Rücksprache des Heiligen Stuhles mit dem Tiroler Bischof Paulus Rusch, erging das strenge Urteil: Die Vollendung des von Weiler geplanten Zyklus wurde untersagt, die Skizzen kamen nie zur Ausführung. Zu groß war die öffentliche Empörung vieler konservativer Christen, die sich im konservativen Tirol in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnten. Für zehn Jahre blieben die Kunstwerke, heute der ganze Stolz der Kirche, vor den Augen der breiten Öffentlichkeit mit einem Tuch bedeckt verborgen.

Wissenswert

In den 1950er Jahren begann sich Innsbruck von den Krisen- und Kriegsjahren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erholen. Am 15. Mai 1955 deklarierte Bundeskanzler Leopold Figl mit den berühmten Worten „Österreich ist frei“ und der Unterzeichnung des Staatsvertrages offiziell die politische Wende. In vielen Haushalten etablierte sich in den Jahren, die als Wirtschaftswunder in die Geschichte eingingen, moderater Wohlstand. Diese Zeit brachte nicht nur materielle, sondern auch gesellschaftliche Veränderung mit sich. Die Wünsche der Menschen wurden mit dem steigenden Wohlstand und dem Lifestyle, der in Werbung und Medien transportiert wurde, ausgefallener. Das Phänomen einer neuen Jugendkultur begann sich zart inmitten der grauen Gesellschaft im kleinen Österreich der Nachkriegszeit breit zu machen. Die Begriffe Teenager und Schlüsselkind hielten in den 1950er Jahren im Sprachgebrauch der Österreicher Einzug.

Über Filme kam die große Welt nach Innsbruck. Kinovorführungen und Lichtspieltheater gab es zwar schon um die Jahrhundertwende in Innsbruck, in der Nachkriegszeit passte sich das Programm aber erstmals an ein jugendliches Publikum an. Ein Fernsehgerät hatte kaum jemand im Wohnzimmer und das Programm war mager. Die Kammer-Lichtspiele in der Wilhelm-Greilstraße, das Laurinkino in der Gumppstraße, die Zentral-Lichtspiele in der Maria-Theresienstraße, die Löwen-Lichtspiele in der Höttingergasse und das Leokino des Katholischen Arbeitervereins in der Anichstraße warben mit skandalträchtigen Filmen um die Gunst des Publikums.

1956 erschien die Zeitschrift BRAVO. Zum ersten Mal gab es ein Medium, das sich an den Interessen Jugendlicher orientierte. Auf der ersten Ausgabe war Marylin Monroe zu sehen, darunter die Frage: Haben auch Marylins Kurven geheiratet? Die großen Stars der ersten Jahre waren James Dean und Peter Kraus, bevor in den 60er Jahren die Beatles übernahmen. Nach dem Summer of Love klärte Dr. Sommer über Liebe und Sex auf. Die erste Foto-Love-Story mit nacktem Busen folgte erst 1982.

Nach und nach eröffneten in Innsbruck Bars, Discos, Nachtlokale, Kneipen und Veranstaltungsräumlichkeiten. Veranstaltungen wie der 5 Uhr Tanztee im Sporthotel Igls lockten paarungswillige junge Menschen an. Etablissements wie der Falknerkeller in der Gilmstraße, der Uptown Jazzsalon in Hötting, der Clima Club im Saggen, der Scotch Club in der Angerzellgasse und die Tangente in der Bruneckerstraße hatten mit der traditionellen Tiroler Bier- und Weinstube nichts gemeinsam. Die Auftritte der Rolling Stones und Deep Purples in der Olympiahalle 1973 waren der vorläufige Höhepunkt des Innsbrucker Frühlingserwachens. Innsbruck wurde damit zwar nicht zu London oder San Francisco, zumindest einen Hauch Rock´n´Roll hatte man aber eingeatmet.

Der allergrößte Teil des sozialen Lebens der Stadtjugend spielte sich aber nicht in verruchten Spelunken, sondern in geordneten Bahnen in den katholischen Jugendorganisationen ab. Das, was als 68er Bewegung im kulturellen Gedächtnis bis heute verankert ist, fand im Heiligen Land nicht statt. Weder Arbeiter noch Studenten gingen auf die Barrikaden. Beethovens Weisheit, dass „solange der Österreicher noch braun´s Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht,“ traf zu.

Trotzdem war die Gesellschaft still und heimlich im Wandel. Ein Blick in die Jahreshitparaden gibt einen Hinweise darauf. Waren es 1964 noch Kaplan Alfred Flury und Freddy mit „Lass die kleinen Dinge“ und „Gib mir dein Wort“ sowie die Beatles mit ihrer deutschen Version von „Komm, gib mir deine Hand“, die die Top 10 dominierten, änderte sich der Musikgeschmack in den Jahren bis in die 1970er. Zwar fanden sich auch dann immer noch Peter Alexander und Mireille Mathieu in den Charts. Ab 1967 waren es aber internationale Bands mit fremdsprachigen Texten wie The Rolling Stones, Tom Jones, The Monkees, Scott McKenzie, Adriano Celentano oder Simon und Garfunkel, die mit teils gesellschaftskritischen Texten die Top Positionen in großer Dichte einnahmen.

Die Speerspitze der konservativen Konterrevolution war der Innsbrucker Bischof Paulus Rusch. Zigaretten, Alkohol, allzu freizügige Mode, Auslandsurlaube, arbeitende Frauen, Nachtlokale, vorehelicher Geschlechtsverkehr, die 40-Stundenwoche, sonntägliche Sportveranstaltungen, Tanzabende, gemischte Geschlechter in Schule und Freizeit – das alles war dem strengen Kirchenmann und Anhänger des Herz-Jesu-Kultes streng zuwider.

Peter Paul Rusch war 1903 in München zur Welt gekommen und in Vorarlberg als jüngstes von drei Kindern in einem gutbürgerlichen Haushalt aufgewachsen. Beide Elternteile und seine ältere Schwester starben an Tuberkulose, bevor er die Volljährigkeit erreicht hatte. Rusch musste im jugendlichen Alter von 17 in der kargen Nachkriegszeit früh für sich selbst sorgen. Die Inflation hatte das väterliche Erbe, das ihm ein Studium hätte finanzieren können, im Nu aufgefressen. Rusch arbeitete sechs Jahre lange bei der Bank für Tirol und Vorarlberg, um sich sein Theologiestudium finanzieren zu können. 1927 trat er ins Collegium Canisianum ein, sechs Jahre später wurde er zum Priester des Jesuitenordens geweiht. Seine steile Karriere führte den intelligenten jungen Mann als Kaplan zuerst nach Lech und Hohenems und als Leiter des Teilpriesterseminars zurück nach Innsbruck. Hier wurde er 1938 Titularbischof von Lykopolis, Innsbruck wurde erst 1964 zum eigenen Bistum, und Apostolischer Administrator für Tirol und Vorarlberg. Als jüngster Bischof Europas musste er die Schikanen der nationalsozialistischen Machthaber gegenüber der Kirche überstehen. Obwohl seine kritische Einstellung zum Nationalsozialismus bekannt war, wurde Rusch selbst nie inhaftiert. Zu groß war die Furcht der Machthaber davor, aus dem beliebten jungen Bischof einen Märtyrer zu machen.

Nach dem Krieg stand der sozial und politisch engagierte Bischof an vorderster Front beim Wiederaufbau. Die Kirche sollte wieder mehr Einfluss auf den Alltag der Menschen nehmen. Sein Vater hatte sich vom Zimmermann zum Architekten hochgearbeitet und ihm wohl ein Faible für das Bauwesen mitgegeben. Dazu kamen seine eigenen Erfahrungen bei der BTV. Dank seiner Ausbildung als Bänker erkannte Rusch die Möglichkeiten für die Kirche sich als Helfer in der Not zu engagieren und zu profilieren. Nicht nur die im Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Kirchen wurden wiederaufgebaut. Die Katholische Jugend engagierte sich unter Ruschs Führung unentgeltlich bei der Errichtung der Heiligjahrsiedlung in der Höttinger Au. Die Diözese kaufte dafür einen Baugrund vom Ursulinenorden. Die Kredite für die Siedler wurden zinsfrei von der Kirche vorgestreckt.  Sein rustikales Voranschreiten in der Wohnungsfrage sollte ihm Jahrzehnte später den Titel „Roter Bischof“ bescheren. In den bescheidenen Häuschen mit Selbstversorgergarten ganz nach der Vorstellung des dogmatischen und genügsamen „Arbeiterbischofs“ fanden 41 bevorzugt kinderreiche Familien eine neue Heimat.

Durch die Linderung der Wohnungsnot sollten die größten Bedrohungen im Kalten Krieg, Kommunismus und Sozialismus, von seiner Gemeinde fernhalten. Der vom Kommunismus vorgeschriebene Atheismus wie auch der konsumorientierte Kapitalismus, der nach dem Krieg aus den USA schwappend in Westeuropa Einzug gehalten hatte, waren ihm ein Gräuel. 1953 erschien Ruschs Buch „Junger Arbeiter, wohin?“. Was nach revolutionärer, linker Lektüre aus dem Kreml klingt, zeigte die Grundsätze der Christlichen Soziallehre, die sowohl Kapitalismus wie auch Sozialismus geißelte. Familien sollten bescheiden leben, um mit den moderaten finanziellen Mitteln eines alleinerziehenden Vaters in christlicher Harmonie zu leben. Unternehmer, Angestellte und Arbeiter sollten eine friedliche Einheit bilden. Kooperation statt Klassenkampf, die Basis der heutigen Sozialpartnerschaft. Jedem sein Platz in christlichem Sinne, eine Art modernes Feudalsystem, das bereits im Ständestaat Dollfuß´ zur Anwendung geplant war. Seine politischen Ansichten teilte er mit Landeshauptmann Eduard Wallnöfer und Bürgermeister Alois Lugger, die gemeinsam mit dem Bischof die Heilige Dreifaltigkeit des konservativen Tirols der Zeit des Wirtschaftswunders bildeten. Dazu kombinierte Rusch einen latenten, in Tirol auch nach 1945 weit verbreiteten katholischen Antisemitismus, der dank Verirrungen wie der Verehrung des Anderle von Rinn lange als Tradition halten konnte.

Ein besonderes Anliegen war dem streitbaren Jesuiten Erziehung und Bildung. Rusch war trotz eines Sprachfehlers ein charismatischer Typ, der bei seinen jungen Kollegen und Jugendlichen überaus beliebt war. 1936 war er in Vorarlberg zum Landesfeldmeister der Pfadfinder gewählt worden. Nur eine fundierte Erziehung unter den Fittichen der Kirche nach christlichem Modell konnte seiner Meinung nach das Seelenheil der Jugend retten. Um jungen Menschen eine Perspektive zu geben und sie in geordnete Bahnen mit Heim und Familie zu lenken, wurde das Jugendbausparen gestärkt. In den Pfarren wurden Kindergärten, Jugendheime und Bildungseinrichtungen wie das Haus der Begegnung am Rennweg errichtet, um von Anfang an die Erziehung in kirchlicher Hand zu haben.

In den 1960er und 70er Jahren gab es in Innsbruck zwei kirchliche Jugendbewegungen. Für die Erziehung der Eliten im Sinne des Jesuitenordens sorgte in Innsbruck seit 1578 die Marianische Kongregation. Diese Jugendorganisation, bis heute als MK bekannt, nahm sich den Gymnasialschülern an. Die MK war streng hierarchisch strukturiert, um den jungen Soldaten Christi von Anfang an Gehorsam beizubringen. 1959 übernahm Pater Sigmund Kripp die MK. Die Jugendlichen errichteten unter seiner Führung mit finanzieller Unterstützung durch Kirche, Staat, Eltern und mit viel Eigenleistung Projekte wie die Mittergrathütte samt eigener Materialseilbahn im Kühtai und das MK Jugendheim Kennedyhaus in der Sillgasse. Bei der Grundsteinlegung dieses Jugendzentrums, das mit knapp 1500 Mitgliedern zum größten seiner Art in Europa werden sollte, waren Bundeskanzler Klaus und Mitglieder der amerikanischen Botschaft anwesend, war der Bau doch dem ersten katholischen, erst kürzlich ermordeten Präsidenten der USA gewidmet.

Die andere kirchliche Jugendorganisation Innsbrucks war das Z6. Stadtjugendseelsorger Kaplan Meinrad Schumacher kümmerte sich im Rahmen der Aktion 4-5-6 um alle Jugendlichen, die in der MK oder der Katholischen Hochschülerschaft keinen Platz hatten. Arbeiterkinder und Lehrlinge trafen sich in verschiedenen Jugendheimen wie Pradl oder der Reichenau, bevor 1971 das neue, ebenfalls von den Mitgliedern selbst errichtete Zentrum in der namensgebenden Zollerstraße 6 eröffnet wurde. Die Leitung übernahm Josef Windischer. Das Z6 hatte schon mehr mit dem zu tun, was auf der Leinwand von Dennis Hopper und Peter Fonda auf ihren Motorrädern in Easy Rider vorgezeigt wurde. Hier ging es rauer zu als in der MK. Rockerbanden wie die Santanas, Kleinkriminelle und Drogenabhängige verbrachten ihre Freizeit ebenfalls im Z6. Während Schumacher mit den „braven“ Jugendlichen oben sein Programm abspulte, bevölkerte Windischer mit den Outsiders das Untergeschoß, um auch den verirrten Schäfchen so gut als möglich beizustehen.

Ende der 1960er Jahre beschlossen sowohl die MK wie auch das Z6 sich auch für Nichtmitglieder zu öffnen. Mädchen und Bubengruppen wurden teilweise zusammengelegt und auch Nicht-Mitglieder wurden eingelassen. Die beiden Jugendzentren hatten zwar unterschiedliche Zielgruppen, das Konzept aber war gleich. Theologisches Wissen und christliche Moral wurden in spielerischem, altersgerechtem Umfeld vermittelt. Sektionen wie Schach, Fußball, Hockey, Basketball, Musik, Kinofilme und ein Partykeller holten die Bedürfnisse der Jugendlichen nach Spiel, Sport und ersten sexuellen Erfahrungen ab. Die Jugendzentren boten einen Raum, in dem sich Jugendliche beider Geschlechter begegnen konnten. Besonders die MK blieb aber eine Institution, die nichts mit dem wilden Leben der 68er, wie es in Filmen gerne transportiert wird, zu tun hatte. So fanden zum Beispiel Tanzkurse nicht im Advent, Fasching oder an Samstagen statt, für unter 17jährige waren sie überhaupt verbotene Früchte.

Trotzdem gingen die Jugendzentren zu weit für Bischof Rusch. Die kritischen Beiträge in der MK-Zeitung Wir diskutieren fanden immer seltener sein Gefallen. Nach jahrelangen Streitigkeiten zwischen Bischof und Jugendzentrum kam es 1973 zum Showdown. Als Pater Kripp sein Buch Abschied von morgen veröffentlichte, in dem er von seinem pädagogischen Konzept und der Arbeit in der MK berichtete, kam es zu einem nicht öffentlichen Verfahren innerhalb der Diözese und des Jesuitenordens gegen den Leiter des Jugendzentrums. Trotz massiver Proteste von Eltern und Mitgliedern wurde Kripp entfernt. Weder die innerkirchliche Intervention durch den bedeutenden Theologen Karl Rahner noch eine vom Künstler Paul Flora ins Leben gerufene Unterschriftenaktion oder regionale und überregionale Empörung in der Presse konnte den allzu liberalen Pater vor dem Zorn Ruschs retten, der sich für die Amtsenthebung sogar den päpstlichen Segen aus Rom zusichern ließ. Im Juli 1974 war es vorübergehend auch mit dem Z6 vorbei. Rusch ließ kurzerhand die Schlüssel des Jugendzentrums austauschen, eine Methode, die er auch bei der Katholischen Hochschülerschaft angewendet hatte, als diese sich zu nahe an eine linke Aktionsgruppe annäherte.

Sein Festhalten an konservativen Werten und seine Sturheit waren es, die Ruschs Ansehen in seinen letzten 20 Lebensjahren beschädigten. Als er 1964 zum ersten Bischof der neu gegründeten Diözese Innsbruck geweiht wurde, änderten sich die Zeiten. Der progressive mit praktischer Lebenserfahrung von einst wurde vom modernen Leben einer neuen Generation und ihren Bedürfnissen überholt. Die ständige Kritik des Bischofs am Lebensstil seiner Schäfchen und das sture Festhalten an seinen allzu konservativen Werten gepaart mit teils skurrilen Aussagen machten aus dem Mitbegründer der Entwicklungshilfe Bruder in Not, dem jungen, anpackenden Bischof des Wiederaufbaus, ab den späten 1960er Jahren einen Grund für den Kirchenaustritt. Sein Konzept von Umkehr und Buße trieb skurrile Blüten. So forderte er von den Tirolern Schuld und Sühne für ihre Verfehlungen während der NS-Zeit, bezeichnete aber gleichzeitig die Entnazifizierungsgesetze als zu weitgreifend und streng. Auf die neuen sexuellen Gepflogenheiten und die Abtreibungsgesetze unter Bundeskanzler Kreisky erwiderte er, dass Mädchen und junge Frauen, die verfrüht geschlechtlichen Umgang haben, bis zu zwölfmal häufiger von Krebserkrankungen der Mutterorgane betroffen seien. Hamburg bezeichnete Rusch als Sündenbabel und er vermutete, dass die schlichten Gemüter der Tiroler Bevölkerung Phänomenen wie Tourismus und Nachtlokalen nicht gewachsen seien und sie zu unmoralischem Verhalten verführten. Er fürchtete, dass Technologie und Fortschritt den Menschen allzu unabhängig von Gott machen. Er war streng gegen die neue Sitte des Doppelverdienstes. Der Mensch sollte mit einem spirituellen Einfamilienhaus mit Gemüsegarten zufrieden sein und nicht nach mehr streben, Frauen sollten sich auf ihre traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter kümmern.

1973 wurde Bischof Rusch nach 35 Jahren an der Spitze der Kirchengemeinde Tirols und Innsbrucks zum Ehrenbürger der Stadt Innsbruck ernannt. 1981 trat er von seinem Amt zurück. 1986 fand Innsbrucks erster Bischof seine letzte Ruhe im Dom St. Jakob. Das Bischof-Paulus-Studentenheim bei der unter ihm errichteten Kirche Petrus Canisius in der Höttinger Au erinnert an ihn.

Das Jugendzentrum Z6 übersiedelte nach seiner Schließung 1974 in die Andreas-Hofer-Straße 11, bevor es seine bis heute bestehende Heimstätte in der Dreiheiligenstraße fand, mitten im Arbeiterviertel der Frühen Neuzeit gegenüber der Pestkirche. Jussuf Windischer blieb nach seiner Mitarbeit in Sozialprojekten in Brasilien in Innsbruck. Der Vater von vier Kindern arbeitete weiterhin mit sozialen Randgruppen, war Dozent an der Sozialakademie, Gefängnisseelsorger und Leiter des Caritas Integrationshauses in Innsbruck.

Auch die MK besteht bis heute, auch wenn es das Kennedyhaus, das direkt nach dem Abschied Kripps von den Mitgliedern in Sigmund-Kripp-Haus umbenannt wurde, nicht mehr gibt. Kripp wurde 2005 von seinem ehemaligen Sodalen und späteren Vizebürgermeister wie vor ihm Bischof Rusch zum Ehrenbürger der Stadt Innsbruck ernannt.

Glaube, Kirche, Obrigkeit und Herrschaft

Die Fülle an Kirchen, Kapellen, Kruzifixen und Wandmalereien im öffentlichen Raum wirkt auf viele Besucher Innsbrucks aus anderen Ländern eigenartig. Nicht nur Gotteshäuser, auch viele Privathäuser sind mit Darstellungen der Heiligen Familie oder biblischen Szenen geschmückt. Der christliche Glaube und seine Institutionen waren in ganz Europa über Jahrhunderte alltagsbestimmend. Innsbruck als Residenzstadt der streng katholischen Habsburger und Hauptstadt des selbsternannten Heiligen Landes Tirol wurde bei der Ausstattung mit kirchlichen Bauwerkern besonders beglückt. Allein die Dimension der Kirchen umgelegt auf die Verhältnisse vergangener Zeiten sind gigantisch. Die Stadt mit ihren knapp 5000 Einwohnern besaß im 16. Jahrhundert mehrere Kirchen, die in Pracht und Größe jedes andere Gebäude überstrahlte, auch die Paläste der Aristokratie. Das Kloster Wilten war ein Riesenkomplex inmitten eines kleinen Bauerndorfes, das sich darum gruppierte. Die räumlichen Ausmaße der Gotteshäuser spiegelt die Bedeutung im politischen und sozialen Gefüge wider.

Die Kirche war für viele Innsbrucker nicht nur moralische Instanz, sondern auch weltlicher Grundherr. Der Bischof von Brixen war formal hierarchisch dem Landesfürsten gleichgestellt. Die Bauern arbeiteten auf den Landgütern des Bischofs wie sie auf den Landgütern eines weltlichen Fürsten für diesen arbeiteten. Damit hatte sie die Steuer- und Rechtshoheit über viele Menschen. Die kirchlichen Grundbesitzer galten dabei nicht als weniger streng, sondern sogar als besonders fordernd gegenüber ihren Untertanen. Gleichzeitig war es auch in Innsbruck der Klerus, der sich in großen Teilen um das Sozialwesen, Krankenpflege, Armen- und Waisenversorgung, Speisungen und Bildung sorgte. Der Einfluss der Kirche reichte in die materielle Welt ähnlich wie es heute der Staat mit Finanzamt, Polizei, Schulwesen und Arbeitsamt tut. Was uns heute Demokratie, Parlament und Marktwirtschaft sind, waren den Menschen vergangener Jahrhunderte Bibel und Pfarrer: Eine Realität, die die Ordnung aufrecht hält. Zu glauben, alle Kirchenmänner wären zynische Machtmenschen gewesen, die ihre ungebildeten Untertanen ausnützten, ist nicht richtig. Der Großteil sowohl des Klerus wie auch der Adeligen war fromm und gottergeben, wenn auch auf eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Art und Weise.

Anders als heute, war Religion keineswegs Privatsache. Verletzungen der Religion und Sitten wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt und streng geahndet. Die Anklage bei Verfehlungen lautete Häresie, worunter eine Vielzahl an Vergehen zusammengefasst wurde. Sodomie, also jede sexuelle Handlung, die nicht der Fortpflanzung diente, Zauberei, Hexerei, Gotteslästerung – kurz jede Abwendung vom rechten Gottesglauben, konnte mit Verbrennung geahndet werden. Das Verbrennen sollte die Verurteilten gleichzeitig reinigen und sie samt ihrem sündigen Treiben endgültig vernichten, um das Böse aus der Gemeinschaft zu tilgen.

Bis in kleine Details des täglichen Lebens regelte die Kirche lange Zeit das alltägliche Sozialgefüge der Menschen. Kirchenglocken bestimmten den Zeitplan der Menschen. Ihr Klang rief zur Arbeit, zum Gottesdienst oder informierte als Totengeläut über das Dahinscheiden eines Mitglieds der Gemeinde. Menschen konnten einzelne Glockenklänge und ihre Bedeutung voneinander unterscheiden. Sonn- und Feiertage strukturierten die Zeit. Fastentage regelten den Speiseplan. Familienleben, Sexualität und individuelles Verhalten hatten sich an den von der Kirche vorgegebenen Moral zu orientieren. Das Seelenheil im nächsten Leben war für viele Menschen wichtiger als das Lebensglück auf Erden, war dies doch ohnehin vom determinierten Zeitgeschehen und göttlichen Willen vorherbestimmt. Fegefeuer, letztes Gericht und Höllenqualen waren Realität und verschreckten und disziplinierten auch Erwachsene.

Während das Innsbrucker Bürgertum von den Ideen der Aufklärung nach den Napoleonischen Kriegen zumindest sanft wachgeküsst worden war, blieb der Großteil der Menschen in den Umlandgemeinden weiterhin der Mischung aus konservativem Katholizismus und abergläubischer Volksfrömmigkeit verbunden.

Glaube und Kirche haben noch immer ihren fixen Platz im Alltag der Innsbrucker, wenn auch oft unbemerkt. Die Kirchenaustritte der letzten Jahrzehnte haben der offiziellen Mitgliederzahl zwar eine Delle versetzt und Freizeitevents werden besser besucht als Sonntagsmessen. Die römisch-katholische Kirche besitzt aber noch immer viel Grund in und rund um Innsbruck, auch außerhalb der Mauern der jeweiligen Klöster und Ausbildungsstätten. Etliche Schulen in und rund um Innsbruck stehen ebenfalls unter dem Einfluss konservativer Kräfte und der Kirche. Und wer immer einen freien Feiertag genießt, ein Osterei ans andere peckt oder eine Kerze am Christbaum anzündet, muss nicht Christ sein, um als Tradition getarnt im Namen Jesu zu handeln.

1796 - 1866: Vom Herzen Jesu bis Königgrätz

Die Zeit zwischen der Französischen Revolution und der Schlacht bei Königgrätz 1866 war eine kriegerische Periode. Die Monarchien Europas angeführt von den Habsburgern hatten der Französischen Republik den Krieg erklärt. Die Angst ging um, dass sich der Wahlspruch der Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“ in Europa ausbreiten könnte. Ein junger General namens Napoleon Bonaparte war mit seiner italienischen Armee im Rahmen der Koalitionskriege über die Alpen vorgerückt und traf dort auf die österreichischen Truppen. Es war nicht nur ein Krieg um Territorium und Macht, es war ein Kampf der Systeme. Die Grande Armee der revolutionären Republik Frankreich traf auf die erzkatholischen Habsburger.

Tiroler Schützen waren am Kampfgeschehen beteiligt, um die Landesgrenzen gegen die einrückenden Franzosen zu verteidigen. Kompanien wie die 1796 ins Leben gerufenen Höttinger Schützen standen der damals fortschrittlichsten und besten Armee der Welt gegenüber. Der Herz-Jesu-Kult, der in Tirol bis heute große Popularität genießt, reicht bis in diese Zeit zurück. In aussichtsloser Situation erneuerten die Tiroler Truppen ihren Bund mit dem Herzen Jesu, um Schutz zu erbitten. Der Abt des Klosters Stams war es, der bei den Landständen beantragte, von nun an alljährlich "das Fest des göttlichen Herzens Jesu mit feierlichem Gottesdienst zu begehen, wenn Tirol von der drohenden Feindesgefahr befreit werde." Alljährlich wurden die Herz-Jesu-Feiern mit großem Pomp in der Presse besprochen und angekündigt. Sie waren vor allem im 19. und im frühen 20. Jahrhundert ein explosives Gemisch aus Volksaberglauben, Katholizismus und nationalen Ressentiments gegen alles Französische und Italienische. Neben der Gnadenmutter Cranachs ist die Darstellung des Herzen Jesu wohl bis heute das beliebteste christliche Motiv im Tiroler Raum und prangt auf der Fassade unzähliger Häuser.

In den Kriegsjahren 1848, 1859 und 1866 kam es zu den sogenannten Italienischen Einigungskriegen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts, spätestens seit 1848, war es unter jungen Männern zu einem regelrechten nationalen Rausch gekommen. Freiwilligenheere schossen in allen Regionen Europas aus dem Boden. Studenten und Akademiker, die sich in ihren Verbindungen zusammentaten, Turner, Schützen, alle wollten ihre neue Liebe zur Nation auf dem Schlachtfeld unter Beweis stellen und unterstützten die offiziellen Armeen. Die wohl bekannteste Schlacht der Einigungskriege fand in Solferino 1859 in der Nähe des Gardasees statt. Entsetzt vom blutigen Geschehen entschloss sich Henry Durant das Rote Kreuz zu gründen. Der Schriftsteller Joseph Roth beschrieb das Geschehen auf den ersten Seiten seines lesenswerten Klassikers Radetzkymarsch.

„In der Schlacht bei Solferino befehligte er (Anm.: Leutnant Trotta) als Leutnant der Infanterie einen Zug. Seit einer halben Stunde war das Gefecht im Gange. Drei Schritte vor sich sah er die weißen Rücken seiner Soldaten. Die erste Reihe seines Zuges kniete, die zweite stand. Heiter waren alle und sicher des Sieges. Sie hatten ausgiebig gegessen und Branntwein getrunken, auf Kosten und zu Ehren des Kaisers, der seit gestern im Felde war. Hier und dort fiel einer aus der Reihe.“

Innsbruck war als Garnisonsstadt ein wichtiger Versorgungsposten. Nach dem Wiener Kongress war aus dem Tiroler Jägerkorps das k.k. Tiroler Kaiserjägerregiment geworden, eine Eliteeinheit, die in diesen Auseinandersetzungen zum Einsatz kam. Auch freiwillige Einheiten wie die Innsbrucker Akademiker oder die Stubaier Schützen kämpften in Italien. Medien heizten die Stimmung abseits der Frontlinie auf. Die "Innsbrucker Zeitung" predigte in ihren Artikeln Kaisertreue und großdeutsch-tirolischen Nationalismus, wetterte gegen das Italienertum und Franzosen und pries den Mut Tiroler Soldaten.

"Die starke Besetzung der Höhen am Ausgange des Valsugana bei Primolano und le Tezze gab schon oft den Innsbrucker-Akademikern I. und den Stubaiern Anlaß, freiwillige Ercur:sionen gegen le Tezze, Fonzago und Fastro, als auch auf das rechte Brenta-Ufer und den Höhen gegen die kleinen Lager von den Sette comuni zu machen...Am 19. schon haben die Stubaier einige Feinde niedergestreckt, als sie sich das erste mal hinunterwagten, indem sie sich ihnen entgegenschlichen..."

Besonders verlustreich für das Kaiserreich Österreich war das Jahr 1866. In Italien gingen Venetien und die Lombardei verloren. Gleichzeitig übernahm Preußen die Führung im Deutschen Bund, der Nachfolgeorganisation des Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Für Innsbruck bedeutete das Ausscheiden der Habsburgermonarchie aus dem Deutschen Bund, dass man endgültig zu einer Stadt an der westlichen Peripherie des Reiches geworden war. Der Hang zur sogenannten Großdeutschen Lösung, also einer Staatlichkeit mit dem Deutschen Reich gemeinsam anstatt dem alleinstehenden Kaisertum Österreich, war in Innsbruck stärker ausgeprägt als im restlichen Land. Wie sehr diese Deutsche Frage die Stadt spaltete, zeigte sich noch über 30 Jahre später, als der Innsbrucker Gemeinderat dem Eisernen Kanzler Bismarck, der für den Bruderkrieg zwischen Österreich und Deutschland federführend verantwortlich war, eine Straße widmen wollte. Während sich kaisertreue Konservative entsetzt ob dieses Vorschlages zeigten, waren die großdeutschen Liberalen rund um Bürgermeister Wilhelm Greil begeistert ob dieser Geste der Vereinigung.

Die nationalen Bestrebungen der einzelnen Volksgruppen machten aber nicht nur ideell vor Tirol nicht halt, gehörte mit dem Trentino zwischen Salurn und Riva am Gardasee doch auch ein italienischsprachiger Teil zum Land. Im Tiroler Landtag forderten italienischsprachige Abgeordnete, sogenannte Irredentisten, mehr Rechte und Autonomie für das damalige Südtirol. In Innsbruck kam es zwischen italienischen und deutschsprachigen Studenten immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Wallschen, dieser Begriff für Italiener hält sich bis heute recht hartnäckig, galten als ehrlos, unzuverlässig und faul.

Mit dem Tummelplatz, dem Militärfriedhof Pradl und dem Kaiserjägermuseum am Berg Isel besitzt Innsbruck mehrere Erinnerungsorte an diese für die Habsburger verlustreiche Zeit.