Tourismusland Tirol

ÖBB Verwaltungsgebäude Innsbruck
Tourismusland Tirol

In den 1990er Jahren sorgte eine österreichische Fernsehserie für einen Skandal. Die Piefke Saga aus der Feder des Tiroler Schriftstellers Felix Mitterer beschrieb in vier skurril-entlarvend-amüsanten Folgen die Beziehung zwi-schen der deutschen Urlauberfamilie Sattmann und ihrem fiktiven Tiroler Urlaubsort. Bei aller Skepsis gegenüber dem Tourismus in seinen heutigen teils extremen Auswüchsen sollte man nicht vergessen, dass der Fremden-verkehr im 19. Jahrhundert ein wichtiger Faktor in Innsbruck und Umge-bung war, der die Entwicklung der Region nachhaltig antrieb, nicht nur wirtschaftlich. Anfangs waren es die Berggipfel der Alpen, die Besucher anzogen. Für lange Zeit war die Zone zwischen Mittenwald in Bayern und Italien nur eine Art Durchzugskorridor gewesen. Zwar verdienten die Inns-brucker Gasthöfe und Wirte bereits im Mittelalter und der Frühen Neuzeit an Händlern und der Entourage der adligen Gäste des Hofs, von Fremden-verkehr wie wir ihn heute verstehen war aber noch keine Rede. Lange waren die Berge eine reine Bedrohung für die Menschen gewesen. Es waren vor allem Briten, die sich aufmachten, sich nach den Weltmeeren auch die Gebirge dieser Erde untertan zu machen. Über Reiseberichte verbreitete sich ab dem späten 18. Jahrhundert, der Epoche der Romantik, die Kunde von der Naturschönheit der Alpen. Neben der alpinen Attraktion waren es die wil-den und exotischen Eingeborenen Tirols, die international für Aufsehen sorgten. Der bärtige Revoluzzer namens Andreas Hofer, der es mit seinem Bauernheer geschafft hatte, Napoleons Armee in die Knie zu zwingen, erzeugte bei den Briten, den notorischen Erzfeinden der Franzosen, ebenso großes Interesse wie bei deutschen Nationalisten nördlich der Alpen, die in ihm einen frühen Protodeutschen sahen. Die Tiroler galten als unbeugbarer Menschenschlag, archetypisch und ungezähmt, ähnlich den Germanen unter Arminius, die das Imperium Romanum herausgefordert hatten. Die Be-schreibungen Innsbrucks aus der Feder des Autors Beda Weber (1798 – 1858) und andere Reiseberichte in der boomenden Presselandschaft dieser Zeit trugen dazu bei, ein attraktives Bild Innsbrucks zu prägen. Nun mussten die wilden Alpen nur noch der Masse an Touristen zugänglich gemacht werden, die zwar gerne den Expeditionen nacheifern wollten, deren Risikobereitschaft und Fitness mit den Wünschen nicht schritthalten konnten. Der Deut-sche Alpenverein eröffnete 1869 eine Sektion Innsbruck, nachdem der 1862 Österreichische Alpenverein wenig erfolgreich war. Es waren wohl vor allem die großdeutsch orientierten Mitglieder, die 1873 die beiden Stellen fusioniert für das alpine Wohl sorgend sehen wollten. Der Alpenverein war bürgerlich geprägt, sein sozialdemokratisches Pendant waren die Naturfreunde, die sich vor allem aus der Arbeiterschaft speisten. Neben dem sportlichen er-möglichten diese Vereine auch ein touristisches Wachstum. Das Wegenetz wuchs durch dessen Erschließung ebenso wie die Zahl an Hütten, die Gäste beherbergen konnten. Die Alpenvereine bildeten auch Bergführer aus. Der Tiroler Theologe Franz Senn (1831 – 1884) und der Schriftsteller Adolf Pichler (1819 – 1900) waren maßgeblich an der Vermessung Tirols und der Erstel-lung von Kartenmaterial beteiligt. Anders als gerne behauptet waren die Tiroler nicht geborene Bergsteiger, sondern mussten sich die Fähigkeiten die Bergwelt zu erobern erst beibringen lassen. Bis dato waren Berge vor allem eins: gefährlich und mühsam im landwirtschaftlichen Alltag. Sie zu besteigen, war zuvor kaum jemandem in den Sinn gekommen. Ab der Jahrhundertwende kam der Skisport in Mode. Lifte gab es noch nicht, um auf die Berge zu gelangen, musste man sich der Felle bedienen, die heute noch auf Tourenski geklebt werden. Mit dem Grand Hotel Europa hatte 1869 auch in Innsbruck ein Haus ersten Ranges geöffnet und löste die Gasthöfe in der Altstadt ab. 1892 folgte mit dem Reformhotel Habsburger Hof ein zweiter großer Betrieb, der mit der Nähe zum Bahnhof warb. Was heute eher als Wettbewerbsnachteil angesehen würde, war zu dieser Zeit ein Verkaufsargument. Bahnhöfe waren die Zentren moderner Städte. Die Bahnhofsplätze waren keine überfüllten Verkehrsknotenpunkte wie heute, sondern mondäne und gepflegte Orte vor den architektonisch anspruchsvoll gestalteten Hallen, in denen die Züge ankamen. Der Habsburger Hof konnte seinen Gästen auch bereits elektrisches Licht bieten, eine absolute Sensation. Bis dahin waren es vor allem die Umlandgemeinden gewesen, die von den Gästen profitierten. Vor allem Igls war als Kurort für Sommerfrischler bekannt. Der Igler Hof, damals Grandhotel Igler Hof und das Sporthotel Igls, verströmen heute noch teilweise den Chic dieser Zeit. Michael Obexer, der Gründer des Kurortes Igls und Besitzer des Grandhotels, war ein Tourismuspionier. Auch das Kuren, die frühe Form der Wellness, bei der betuchte Kunden sich in alpinem Umfeld von unterschiedlichsten Krankheiten erholen konnten, war in Innsbruck möglich. Am heutigen Stadtgebiet Innsbrucks, in Egerdach zwischen Amras und Ampass und in Mühlau, gab es zwei Kurbäder. So schick wie die Hotspots der Zeit in Bad Ischl, Marienbad oder Baden bei Wien waren die Anlagen nicht, wie man auf alten Fotos und Postkarten sehen kann, die Anwendungen mit Sole, Dampf, Gymnastik, sogar Magne-tismus, entsprachen aber dem damaligen Standard dessen, was heute teilweise noch bei Kur- und Wellnessurlaubern beliebt ist. Bad Egerdach bei Innsbruck war als Heilquelle seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Die Quelle sollte Gicht, Hautkrankheiten, Anämie, ja sogar die im 19. Jahrhundert als Vorgängerin des Burnouts als Neurasthenie bekannte Nervenkrankheit be-heben. Die Kapelle der Anstalt besteht bis heute gegenüber dem SOS Kin-derdorf. Die Badeanstalt in Mühlau existierte seit 1768 und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Gasthaus mit Kuranstalt ganz im Stil der Zeit umgebaut. Das Viertel in direkter Nähe zu den Villas des Saggen rund um die alte Kettenbrücke und die Hungerburgbahn, die Innsbruck mit dem Luftkurort über der Stadt verband, war zur Jahrhundertwende das schicke und moderne Zentrum der Stadt. Heute ist das schicke Gebäude als Wohn-haus in der Anton-Rauch-Straße noch zu besichtigen. 1888 gründeten die Profiteure des Fremdenverkehrs in Innsbruck eine Kom-mission zur Förderung des Tourismus, den Vorgänger des heutigen Tourismus-verbands. Durch vereinte Kräfte in Werbung und Qualitätssicherung bei den Beherbergungsbetrieben hofften die einzelnen Player, den Tourismus weiter anzukurbeln. Ab 1880 sorgten neben der Werbung auch Postkarten dafür, dass Innsbruck als Reiseziel an Bekanntheit gewann. Für Digital Natives, die mit Social Media aufwuchsen, ist es nur schwer vorstellbar, dass man Urlaubsgrüße noch mit Karton und Briefmarke versandte. Postkarten waren die ersten massentauglichen Influencer der Tourismusgeschichte. Viele Betriebe ließen ihre eigenen Postkarten drucken. Daneben gab es die offiziell von den Verlagen verkauften. Es ist interessant zu sehen, was damals als sehenswert galt und auf den Karten abgebildet wurde. Anders als heute waren es vor allem die neuen Errungenschaften der Stadt wie der Leopoldbrunnen, das Stadtcafé beim Theater, die neu errichtete Kettenbrücke, die 1845 eröffnete Stefansbrücke an der Brennerstraße, die als Steinbogen aus Quadern die Sill überquerte, die Hungerburgbahn, der Gasthof Schupfen in dem Andreas Hofer sein Hauptquartier hatte und der Berg Isel mit dem großen Andreas-Hofer-Denkmal. Andreas Hofer selbst war bereits damals ein gut funktionierendes Testimonial. Mit dem Ersten Weltkrieg versandete die erste touristische Welle. 1914 gab es in Innsbruck 17 Hotels, die Gäste anlockten. Dazu kamen die Sommer- und Winterfrischler in Igls und dem Stubaital. Der Krieg zerstörte dies alles mit abrupt. Gerade als sich der Fremdenverkehr Ende der 1920er Jahre langsam wieder erholt hatte, kamen mit der Wirtschaftskrise und Hitlers 1000 Mark Sperre, mit der er die österreichische Regierung 1933 unter Druck setzen wollte, um das Verbot der NSDAP zu beenden, die nächsten Dämpfer. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Flughafen vom Osten der Stadt an seinen heutigen Standort in der Höttinger Au verlegt. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg erholte sich auch der Tourismus wieder. Nach den beschwerlichen 1950er Jahren konnten Tirol und Innsbruck den Frem-denverkehr langsam, aber stetig als verlässlichen Motor der Wirtschaft stabil etablieren.