Umstellen?
Ein Wort an kluge Eltern und Mädchen
Erschienen: Allgemeiner Tiroler Anzeiger / 7. September 1931
Über diesen Text...
Der Artikel aus dem Jahr Krisenjahr 1931 stellt die Haltung konservativer Tiroler Kreise gegenüber vielen gesellschaftlichen Themen der Zeit anhand des Beispiels der Erziehung und Ausbildung junger Frauen dar. Der Tiroler Mädchenverband beklagt sich darüber, dass es immer weniger heranwachsende Mädchen an den heimischen Herd, sondern viel mehr in die Arbeitswelt zieht. „…dabei geht langsam aber unaufhaltsam etwas vom Kostbarsten verloren, was immer noch das Leben wie etwas Heiliges verklärte: das umsorgte, liebe Daheim.“ Die Auflösung der Familien werde über kurz oder lang zur „…bolschewikischen, familienauflösenden Kollektivwirtschaft, der Massenverelendung…“ führen, fürchtet der Autor der Zeilen. Nur die Rückbesinnung auf die klassische Rollenverteilung könne die Familie als Rückgrat der Wirtschaft stärken.
Kurze Zeit später, sollte sich der Konservativismus in Person von Engelbert Dollfuß an der Staatsspitze festsetzen, bevor die Nationalsozialisten ihre Vorstellungen von Gesellschaft, Frau und Familie abseits des verheerenden Einflusses der verderbten Stadt installierten. Auch die Nachkriegsgeneration blieb in diesen Normen verhaftet, bevor langsam ein Umdenken begann, das bis heute nicht abgeschlossen scheint.
Der Artikel
Eine merkwürdige Erscheinung tritt immer mehr zutage, die nachdenklich machen könnte. Eine Rundfrage in sämtlichen Haushaltungsschulen des Landes und darüber hinaus ergibt das Resultat, daß die Mädchen beinahe überallhin eher zur Ausbildung gehen als in die eigentlich fraulichen Schulen, die Haushaltungsschulen. Die Handelsschulen, heißt es, seien überfüllt; die höheren Studienanstalten entlassen alljährlich eine gute Anzahl von Absolventinnen; anderseits stellen Fabriken und Büros auch auf weiblicher Seite viele, viele Arbeitslose: fragt man aber nach Mädchen, die sich in der Hauswirtschaft ertüchtigen, so sind sie selten, werden scheinbar immer seltener.
Warum dies? „Ach“, hört man, „Hausgehilfin will ich doch nicht werden!“ „Gute Posten als Stütze sind sehr rar!“ „Wer wird denn selber kochen, wo es doch Speisehäuser. Gemeinschaftsküchen usw. gibt, wo man alles viel schneller und bequemer haben kann!“ „Na, überhaupt eine eigene Wirtschaft, das zahlt sich wirklich nimmer aus!“
So sind die modernen Gedankengänge und dabei geht langsam aber unaufhaltsam etwas vom Kostbarsten verloren, was immer noch das Leben wie etwas Heiliges verklärte: das umsorgte, liebe Daheim. Gewiß, in vielen, sehr vielen Fällen hat es schon die harte Not zerstört, hat selbst dort, wo noch ehrlicher Heimwille lebt, häßliche Oede aufgerissen und Hast und Unsicherheit hingesetzt, wo feine Besinnlichkeit und umsichtige kluge Tüchtigkeit und Liebe ihres Amtes walten sollten. Hunderte und Hunderte gehen verdienen, weil es daheim nicht reicht, und mit dem Verdienten weiß man nicht hauszuhalten. Man hat es nicht gelernt, und wozu soll man es denn tun? — es geht ja auch so bergab! Viele klagen still und laut über die wirtschaftliche Notlage, aber dort, wo man im kleinen mit der Besserung anfangen könnte, dort macht auch das heimische, das tirolische Denken kehrt!
Die Haushaltungsschulen stehen beinahe leer. Ist der Ausbau, der Lehrplan schuld daran? Wird zu viel Theorie gelehrt, die den Mädchen mit praktischem Sinne weniger liegt? Kann man das schulmäßig Gelernte im Leben nicht brauchen? Paßt sich der Unterricht zu wenig den tatsächlichen Verhältnissen einzelner Mädchengruppen an und wird der Unterschied zwischen bäuerlicher und städtischer, der derben Schwerarbeiterküche und jener des Geistesarbeitenden nicht genug ins Auge gefaßt? Vielleicht braucht es da hin und wieder noch ein Umstellen, ein Umlernen: ganz sicher ist aber auch ein Umstellen seitens mancher Eltern und Mädchen notwendig, daß dem Wirtschaftsaufbau im großen zuerst im kleinen und kleinsten vorgearbeitet werde. Erst wenn der Einzelhaushalt rationell, sparsam und doch zuträglich geführt wird, und solche Haushalte in Stadt und Land sich mehren, ist ein tragfähiger Unterbau für eine auswärtsstrebende gesunde Volkswirtschaft vorhanden. Andernfalls steuern wir der bolschewikischen, familienauflösenden Kollektivwirtschaft, der Massenverelendung zu.
Kluge Eltern mögen sich fragen, ob es nicht am Platze wäre, ihre Töchter ein ordentliches Wirtschaftsjahr (nicht nur ein gelegentliches Nippen, wie es neben den übrigen Hauptschulfächern beispielsweise nicht anders möglich ist!) durchleben zu lassen, ehe sie in eine Berufsstellung gehen, und kluge Mädchen mögen überlegen, ob es nicht trotz allem Entgegenstehenden noch möglich wäre, ein solches Jahr einzuschalten, bevor man als Maschinfräulein oder in irgendwelchen anderen Beruf eintritt, wenn dies schon sein muß. In vielen Fällen wird ja der Verzicht auf das Mitverdienen oder Selbstverdienen der jungen Mädchen nicht leichtfallen, aber ganz sicher ist es, daß sie mit der hauswirtschaftlichen Ausbildung dann lebenstüchtiger und gefestigter an ihrem modernen Arbeitsposten stehen, als ohne diese. Und wenn früher oder später das Mädchen doch eine eigene Familie gründet? — Was wird ihr dann mehr zugute kommen? Also Voraussicht! Umlernen müssen viele in unserer Zeit. Warum nicht auch in aller Stille die Eltern, die weibliche Jugend und Hand in Hand mit ihnen, wo es not tut, auch die hauswirtschaftliche Schule!
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Anschließend an obige, nicht von der Hand zu weisende Gedanken sei auf die Möglichkeiten zu hauswirtschaftlicher Ausbildung hingewiesen, die wir in Tirol haben. Abgesehen von der fachlichen höheren Ausbildung, die durch das Haushaltungsseminar der ehrw. Frauen Ursulinen in Innsbruck und in der höheren Lehranstalt für wirtschaftliche und gewerbliche Frauenberufe (gleichfalls in Innsbruck) die sogenannte „Ferrarischule“ in der Fabriksgasse in mehrjährigen Lehrgängen geboten wird, bestehen Haushaltungsschulen mit zehn-Monatlichem Unterrichte in den beiden vorgenannten Anstalten, ferner im Mädcheninstitute in Pfaffenhofen, bei den ehrw. Terziarschwestern in Hall (städtische Schule!) eine private Haushaltungsschule mit eigenem Lehrplan im Zufluchtshause in Hall. Winterkurse mit beiläufig fünfmonatlicher Unterrichtdauer mit hauswirtschaftlicher Betonung für die bäuerliche Mädchenwelt bieten die landwirtschaftlichen Landeslehranstalten: ein dreimonatlicher Tageskurs mit durchaus praktischer Einstellung, besonders für Mädchen des Mittelstandes, beginnt im September in Innsbruck bei den Frauen Ursulinen. Sechs- bis achtwöchentliche interne Winterkurse zum Nähen und Kochenlernen mit dem notwendigsten theoretischen Unterricht bietet den Mädchen das Vinzenzheim in Ried und das Kloster der Barmherzigen Schwestern in Ried, ausschließlich praktisch gehaltene Kochkurse sind über Winter bei Fräulein Staudacher in Stams. So ist zweifellos für jede einschlägige Forderung im Lande Möglichkeit genug geboten. Mochten die durchgehends strebsamen und leistungsfähigen Leitungen derselben doch auch die Genugtuung erfahren, daß ihre Bemühungen vom Volke und allen Kreisen desselben entsprechend unserer Notzeit gewürdigt werden!
Vom Tiroler Mädchenverband.