Wilten & Sieglanger

Wissenswertes zu Wilten & Sieglanger

Wohlwollend archäologischen Funden folgend, könnte man Wilten als Innsbrucks Keimzelle bezeichnen. Funde zeigen, dass Wilten bereits in vorrömischer Zeit besiedelt war. Unter Kaiser Augustus wurde im Rahmen der römischen Eroberung der Alpennordseite das Castell Veldidena angelegt. Das sogenannte römische Klimaoptimum, eine europaweite Erwärmung, hatte dem mediterran verwöhnten Imperium die Besiedelung des Raums nördlich der Alpen schmackhaft gemacht. Das heutige Tirol wurde von den Römern am Fluss Ziller geteilt. Das Gebiet östlich des Ziller wurde Teil der Provinz Noricum, Innsbruck hingegen wurde ein Teil der Provinz Raetien. Sie reichte von der heutigen Innerschweiz mit dem Gotthardmassiv im Westen bis zum Alpenvorland nördlich des Bodensees, dem Brenner im Süden und eben dem Ziller im Osten. Der Ziller als Grenze hat im kirchenrechtlichen Sinn bei der Einteilung Tirols bis heute Bestand. Das Gebiet östlich des Ziller gehört zum Bistum Salzburg, während Tirol westlich vom Ziller zum Bistum Innsbruck zählt. Das Gebiet Innsbrucks war wichtig für Verkehr, Durchgang und Handel am äußeren Rand des Imperium Romanum ab 15 vor Christus. Der Handelsweg Rom – Verona – Augsburg, die Via Claudia Augusta, führte über den Brenner. Etwas über fünf Meter breit verlief sie vom Brenner bis zur Ferrariwiese, wo später das Gericht Sonnenburgerhof stehen sollte über den Berg Isel bis zum heutigen Gasthaus Haymon. Einen der römischen Meilensteine kann man in der Wiesengasse in der Nähe des Tivolistadions besichtigen. Über diese Straße war Veldidena in einen Wirtschaftsraum von Großbritannien über das Baltikum bis Nordafrika eingebunden. Das Militärlager bestand zwischen der Sill im Osten, dem Südring Norden und der Stafflerstraße im Westen. Vier mächtige Wachtürme und eine über 2 m dicke Mauer begrenzten das Castell, in dem mehr als 500 Soldaten stationiert waren. Rund um das Castell Veldidena entstand ein Handelsstützpunkt, ein Dorf mit Schenke, Handwerk und einer Niederlassung der neuen Religion, des Christentums. Die Römer brachten viele ihrer Kulturleistungen wie Glas- und Ziegelproduktion, die romanische Sprache, Schule und Bildung oder Wein mit über den Brenner. Der Kern des Leuthauses neben dem Stift Wilten geht auf die Römerzeit zurück. Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches 476 n.Chr. kam Tirol langsam und schleichend unter die Kontrolle des Herzogtums Bayern. Zu dieser Zeit waren Christentum und das Stift Wilten allerdings bereits etabliert und diente als lokale Administrationsstelle, kirchlich wie auch politisch. Als die Grafen von Andechs 1180 am südlichen Innufer begannen, den Markt, aus dem Innsbruck entstehen sollte, anzulegen, hatte Wilten bereits an die 1000 Jahre am Buckel. Innsbruck war in vielerlei Hinsicht von der Gemeinde südlich der Stadt abhängig. Im 13. Jahrhundert war es rund um Innsbruck wie in vielen Teilen Europas zu frühen großen und langfristigen Eingriffen des Menschen für wirtschaftliche Zwecke in die Natur gekommen. Anders als oft dargestellt, war das Mittelalter keine primitive Zeit des Stillstands, während der Menschen sich zum Allmächtigen betend den unerklärlichen Naturgewalten aussetzten. Es war eine dynamische Zeit, vor allem ab dem 12. Jahrhundert verließ man sich nicht mehr auf Gebete und Gottes Gnade, um den Auswirkungen regelmäßig auftretender Ernteausfälle zu entkommen. Bis ins Hochmittelalter war das Inntal wesentlich stärker bewaldet gewesen. Durch das Städtewachstum und den Bevölkerungsaufstieg stieg auch der Bedarf nach Nahrungsmitteln. Das Land musste gerodet werden. Dort wo heute der Fluss Sill neben der Baustelle des Brennerbasistunnels die Sillschlucht verlässt, entstand der Sillkanal, der die Stadt mit Wasser versorgte. Anfangs vor allem zum Brandschutz gedacht, machten sich die Betriebe an diesem künstlich angelegten Kanal das fließende Wasser bald für den Betrieb von Mühlen zur Energiegewinnung dienstbar. Über 20 Betriebe nutzten den Kanal um 1900. Der Lärm und die Abgase der Motoren waren für die Anrainer die Hölle, wie ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1912 zeigt:

„Entrüstung ruft bei den Bewohnern des nächst dem Hauptbahnhofe gelegenen Stadtteiles der seit einiger Zeit in der hibler´schen Feigenkaffeefabrik aufgestellte Explosionsmotor hervor. Der Lärm, welchen diese Maschine fast den ganzen Tag ununterbrochen verbreitet, stört die ganz Umgebung in der empfindlichsten Weise und muß die umliegenden Wohnungen entwerten. In den am Bahnhofplatze liegenden Hotels sind die früher so gesuchten und beliebten Gartenzimmer kaum mehr zu vermieten. Noch schlimmer als der ruhestörende Lärm aber ist der Qualm und Gestank der neuen Maschine…“

Die kleine Sill floss knapp 3 Kilometer von Wilten zur Innenstadt zum Gebiet der heutigen Ing.-Etzel-Straße im Saggen und Dreiheiligen bis zur Pradler Brücke, wo sie sich wieder mit dem Hauptfluss vereinigte. Knapp 700 Jahre lang versorgte der Sillkanal Innsbruck mit Wasser und Energie. Erst in den 1970er Jahren verschwanden die letzten Teile davon, nachdem Bombentreffer ihn während des Zweiten Weltkriegs beschädigt hatten. Da der Kanal durch die Ländereien des Stiftes Wilten floss, hatte der Abt bis ins 16. Jahrhundert wie über so vieles andere die Verfügungsgewalt über das Nutzungsrecht. Innsbrucker Bauern mit Getreide mussten im Mittelalter zu den Wiltener Mühlen an der Sill pilgern, um ihr Korn zu mahlen. Da Getreide über Jahrhunderte hinweg das zentrale Element des Speiseplans des allergrößten Teils der Gesellschaft war, gab dies den Wiltenern einen gewissen Machtanspruch über das eigentlich größere Innsbruck. Ging mittelalterlichen Städten das Brot aus, drohten Unruhen und Aufstände. Das Stift hatte das Mühlrecht, Innsbruck jedoch nicht.  Wichtig war Wilten durch die Jahrhunderte auch als kirchliche Instanz. Die Pfarrkirche St. Jakob war lediglich eine Filiale des Stiftes Wilten. Bis 1560 schafften es das Stift Wilten auch, jegliches Kloster in Innsbruck zu verhindern und ihren Einflussbereich aufrechtzuerhalten. Erst in der Reformationszeit beschloss der Landesfürst auch in der Stadt ein Kloster anzusiedeln. 1561 kamen die Jesuiten auf Begehr Kaisers Ferdinand I. nach Innsbruck, kurz darauf folgten die Franziskaner. Die Messen hoher Feiertage wie Ostern oder Maria Himmelfahrt oder Taufen wurden trotzdem in Wilten gefeiert. Gasthäuser nahe dem Stift freuten sich über das regelmäßige Publikum. Der Abt hob den Zehenten ein, eine Steuer, die der Kirche zustand. Diese steuerlichen und finanziellen Fragen sorgten zu ständiger Konkurrenz zwischen Wilten und Innsbruck.

Die Eingemeindung Wiltens erfolgte 1904 im Zuge einer Modernisierung der Stadt Innsbruck unter Bürgermeister Wilhelm Greil. Wasser und Strom veränderten damals den Alltag der Menschen. Wilten hatte um 1900 nur eine Schule für 9.000 Einwohner, Innsbruck hingegen 6 für 25.000. Die Modernisierung der Infrastruktur allerdings wäre für die einzelnen Stadtteile schwer zu bewältigen gewesen. 1905 fuhr die erste Straßenbahn vom Berg Isel an den Hauptbahnhof. Johann von Sieberer ließ zur Feier der Vereinigung von Wilten und Innsbruck den Vereinigungsbrunnen am Bahnhof errichten, der leider im Zweiten Weltkrieg entfernt wurde. Die Leopoldstraße im Süden Wiltens führte von der Innenstadt bis zum Kloster Wilten. Hier entwickelte sich das moderne Wilten. Das Wiltener Platzl und der Kaiserschützenplatz verbanden das südlich gelegene Stift Wilten über die Leopoldstraße mit der Innenstadt, die bei der Triumphpforte beginnt. Die Einwohnerzahl Wiltens verdreifachte sich innerhalb weniger Jahrzehnte bis 1900 auf 12.000. Viele der Häuser zeugen von der Erweiterung um die Jahrhundertwende. Die Straßennamen deuten auf ein nationalistisches Verständnis der Stadtregierung um Bürgermeister Wilhelm Greil im Tiroler Sinn hin. In Wilten sind bis heute die „Helden“ der Tiroler Erhebung von 1809 in Straßennamen wie Andreas-Hofer-Straße, Speckbacherstraße oder Haspingerstraße verewigt. Westlich wuchs die Stadt entlang der Anichstraße bis zur Klinik und dem Westfriedhof in dieser Zeit ebenfalls. Die Gründerzeithäuser sind ebenso sehenswert wie die Südtirolersiedlung nahe dem Südring in der Speckbacherstraße. Ein kurzer Spaziergang von der Anichstraße durch die Kaiser-Josef-Straße, die Speckbacherstraße, die Stafflerstraße bis zur Sonnenburgstraße, besonders die Häuser 17 und 19 sind sehenswert, gibt einen guten Eindruck vom Städtebau zwischen 1880 und 1945.

Heute ist Wilten ein abwechslungsreiches und lebendiges Stadtviertel. Zwischen dem Oberdorf rund um das Gasthaus Haymon, Wilten West beim Friedhof und der Triumphpforte findet man traditionelles und neues Stadtleben in direkter Nachbarschaft. Zweckdienlicher Wohnbau aus den 1960er und 1970er Jahren trifft auf barocke Bürgerhäuser. Das neugestaltete Wiltener Platzl wird dank geschickter Planung mit Gastronomie und kleinen Geschäften gut angenommen und beheimatet jeden Samstag einen kleinen lokalen Markt. Die Gebäude rund um den kleinen Platz mit Brunnen an der Kreuzung Stafflerstraße / Sonnenburgstraße sind wunderbare Beispiele für die klassizistische Architektur der Gründerzeit um 1900. Die Nähe zu Universität und Klinik in Kombination mit den geräumigen Altbauwohnungen machen Wilten für Studenten attraktiv. In urigen Kneipen wie dem Jolly treffen alteingesessene Wiltener auf junges Publikum.